Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.<Lin Streifzug durch das Gestrüpp der Franeiifrage Übereinstimmung der Herzens- und Geistesrichtung für nicht minder wichtig Die strenge Trennung der Gesichtspunkte, von denen aus die Erziehung <Lin Streifzug durch das Gestrüpp der Franeiifrage Übereinstimmung der Herzens- und Geistesrichtung für nicht minder wichtig Die strenge Trennung der Gesichtspunkte, von denen aus die Erziehung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0090" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209957"/> <fw type="header" place="top"> <Lin Streifzug durch das Gestrüpp der Franeiifrage</fw><lb/> <p xml:id="ID_240" prev="#ID_239"> Übereinstimmung der Herzens- und Geistesrichtung für nicht minder wichtig<lb/> zu halten, als die der äußern Verhältnisse. Vielen widerstrebt es, selbst die<lb/> nötigen Schritte zu dieser Art der Versorgung zu thun oder sich von Dritten<lb/> verheiraten zu lassen; die eiuen weigern sich empört, im Abwarten ihren Beruf<lb/> zu erblicken, und tragen diesen Stolz in abstoßender Weise zur Schein, und<lb/> andre, über solche Kleinigkeiten erhaben, heiraten nur deshalb nicht, weil eben<lb/> die Männer uicht heiraten. Bei vielen Frauen setzt sich der Apparat der<lb/> Pflichterfüllung erst in Bewegung, wenn sie eine erwachsene Tochter im Hause<lb/> haben. Ein Lebenszweck wurde der Heranwachsenden entweder gar nicht oder<lb/> nur in Gestalt des zukünftigen Gatten gezeigt. Von den Kindern spricht man<lb/> nicht, und ob das Mädchen die nötigen Fähigkeiten besitzt oder erwirbt, um<lb/> Mann und Kinder glücklich zu machen und es mit ihnen zu werdeu, wird erst<lb/> überlegt, wenn kein Überlegen mehr etwas hilft. Es gelingt diesen Müttern,<lb/> entweder schnell oder nachdem sie ihre Ansprüche um einige Grade herab¬<lb/> geschraubt haben, ihr Kind „glücklich" zu versorgen, und der Schaden, den<lb/> sie damit unter den übrigen Mädchen und unter denen von den ins Auge<lb/> gefaßten Männern anrichten, die ihre Töchter nicht geheiratet haben, kümmert<lb/> sie ebenso wenig, wie der des eignen Kindes. Ein Mädchen, das solche Dinge<lb/> sehend und hörend miterlebt, verliert alle Unbefangenheit und leidet bewußt<lb/> oder unbewußt darunter; die Männer aber bekommen nach einigen derartigen<lb/> Erfahrungen ein verzeihliches Grauen vor heiratsfähigen Töchtern und deren<lb/> Müttern, das sie mit der Zeit auf die Ehe selbst übertragen. Es trifft also<lb/> viel Schuld die Mütter, und den Leichtsinn, mit dem sie so ernste Dinge<lb/> behandeln, haben wieder oft die Gatten und Väter auf dem Gewissen. Zu<lb/> häufig vertritt in der Familie der Mann einzig und allein die Theorie, die<lb/> Frau einzig und allein die Praxis. Sie vergessen, daß die Ehe uicht ein<lb/> Neben-, sondern ein Miteinandergehen sein soll, und daß die Ergänzung, von<lb/> der zwischen Eheleuten so oft die Rede ist, bei der Erziehung der Kinder eine<lb/> besonders wichtige Rolle spielt. Es müßte wohl zunächst ein Geschlecht von<lb/> Eltern erzogen werden, die sich bewußt sind, daß auch sie wieder Eltern, ge-<lb/> sund an Leib und Seele, zu erziehen haben, und dieses Bewußtsein dürfte<lb/> dann uicht wieder einschlafen.</p><lb/> <p xml:id="ID_241" next="#ID_242"> Die strenge Trennung der Gesichtspunkte, von denen aus die Erziehung<lb/> und Ausbildung der Knaben und die der Mädchen geleitet wird, muß fallen.<lb/> Erwerbsthätigkeit und Stellung im öffentlichen Leben auf der einen, Hans<lb/> und Familie auf der andern Seite werdeu und müssen zwar immer das eigentliche<lb/> Gebiet hier der Frau und dort des Mannes bleiben, aber sie dürfen nicht<lb/> ausschließlich dem einen oder dem andern Geschlechte zugewiesen werden. Der<lb/> Beruf darf beim Manne nicht alles Interesse verschlinge»; er hat Aufmerksam¬<lb/> keit, Fürsorge und Zeit auch seinem Haus und seiner Familie zu widmen,<lb/> wenn der richtige, segenbringende Geist dort herrschen soll. Eltern, die dies</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0090]
<Lin Streifzug durch das Gestrüpp der Franeiifrage
Übereinstimmung der Herzens- und Geistesrichtung für nicht minder wichtig
zu halten, als die der äußern Verhältnisse. Vielen widerstrebt es, selbst die
nötigen Schritte zu dieser Art der Versorgung zu thun oder sich von Dritten
verheiraten zu lassen; die eiuen weigern sich empört, im Abwarten ihren Beruf
zu erblicken, und tragen diesen Stolz in abstoßender Weise zur Schein, und
andre, über solche Kleinigkeiten erhaben, heiraten nur deshalb nicht, weil eben
die Männer uicht heiraten. Bei vielen Frauen setzt sich der Apparat der
Pflichterfüllung erst in Bewegung, wenn sie eine erwachsene Tochter im Hause
haben. Ein Lebenszweck wurde der Heranwachsenden entweder gar nicht oder
nur in Gestalt des zukünftigen Gatten gezeigt. Von den Kindern spricht man
nicht, und ob das Mädchen die nötigen Fähigkeiten besitzt oder erwirbt, um
Mann und Kinder glücklich zu machen und es mit ihnen zu werdeu, wird erst
überlegt, wenn kein Überlegen mehr etwas hilft. Es gelingt diesen Müttern,
entweder schnell oder nachdem sie ihre Ansprüche um einige Grade herab¬
geschraubt haben, ihr Kind „glücklich" zu versorgen, und der Schaden, den
sie damit unter den übrigen Mädchen und unter denen von den ins Auge
gefaßten Männern anrichten, die ihre Töchter nicht geheiratet haben, kümmert
sie ebenso wenig, wie der des eignen Kindes. Ein Mädchen, das solche Dinge
sehend und hörend miterlebt, verliert alle Unbefangenheit und leidet bewußt
oder unbewußt darunter; die Männer aber bekommen nach einigen derartigen
Erfahrungen ein verzeihliches Grauen vor heiratsfähigen Töchtern und deren
Müttern, das sie mit der Zeit auf die Ehe selbst übertragen. Es trifft also
viel Schuld die Mütter, und den Leichtsinn, mit dem sie so ernste Dinge
behandeln, haben wieder oft die Gatten und Väter auf dem Gewissen. Zu
häufig vertritt in der Familie der Mann einzig und allein die Theorie, die
Frau einzig und allein die Praxis. Sie vergessen, daß die Ehe uicht ein
Neben-, sondern ein Miteinandergehen sein soll, und daß die Ergänzung, von
der zwischen Eheleuten so oft die Rede ist, bei der Erziehung der Kinder eine
besonders wichtige Rolle spielt. Es müßte wohl zunächst ein Geschlecht von
Eltern erzogen werden, die sich bewußt sind, daß auch sie wieder Eltern, ge-
sund an Leib und Seele, zu erziehen haben, und dieses Bewußtsein dürfte
dann uicht wieder einschlafen.
Die strenge Trennung der Gesichtspunkte, von denen aus die Erziehung
und Ausbildung der Knaben und die der Mädchen geleitet wird, muß fallen.
Erwerbsthätigkeit und Stellung im öffentlichen Leben auf der einen, Hans
und Familie auf der andern Seite werdeu und müssen zwar immer das eigentliche
Gebiet hier der Frau und dort des Mannes bleiben, aber sie dürfen nicht
ausschließlich dem einen oder dem andern Geschlechte zugewiesen werden. Der
Beruf darf beim Manne nicht alles Interesse verschlinge»; er hat Aufmerksam¬
keit, Fürsorge und Zeit auch seinem Haus und seiner Familie zu widmen,
wenn der richtige, segenbringende Geist dort herrschen soll. Eltern, die dies
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