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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Talleyrands Memoiren

jedem Lebensalter gleichgeblieben sei, kau" auf Neuheit leinen Anspruch machen.
Auch die Charakteristik der Iran von Genlis dürfte nur wenige Leser inter-
essiren. Mehr Wert hätte es, wenn Talleyrand über seine Beobachtungen in
Amerika etwas mitteilsamer gewesen wäre. Die Gewandtheit, mit der er sein
Thun als Minister Napoleons in ein ihm günstiges Licht stellt, seinen Eifer,
seine Weisheit und seine "Treue" hervorhebt und dabei immer seine Untreue
als Sorge für den Weltfrieden darzustellen weiß, erregt allerdings unsre Be¬
wunderung, doch schwachen die vielen Wiederholungen deu Eindruck ab.

Hier noch einige Beiträge für Sammler von "Lichtstrahlen."

"Die Leutseligkeit der Monarchen erweckt wohl Zuneigung, aber keine
Ehrfurcht, und die erstere erlischt bei dein geringsten Mißverständnis und bei
der unbedeutendsten Verwicklung. Dann will man auf die verlorene Macht
zurückgreifen und ernannt sich auch, aber nnr schwankend und vorübergehend;
denn die Energie ist dahin. Eine Regierung, die uicht mehr kräftig und selbst¬
bewußt handeln kann, fällt immer wieder in die alte Schwäche zurück. Sie
nimmt dann wohl zu einem Ministerwechsel ihre Zuflucht und glaubt damit
dem Übel zu steuern, aber sie befriedigt damit nur eine gewisse Partei, und
die Gesamtheit geht leer aus."

"Welch eine unsinnige Vermessenheit, die Welt dnrch Abstraktionen,
Analysen, dnrch die schwankenden Begriffe von Freiheit und Gleichheit und
durch eine rein metaphysische Moral regieren zu wollen!"

"Die alten Vorrechte der Geburt und des Ranges . . . konnten vielleicht
später zurückgegeben werden; denn in einer Monarchie ist daS Gleichheitsprinzip,
in seinem vollen Umfange angewendet, nichts weiter als eine vorübergehende
Krankheit, nicht eben allzu gefährlich, wenn man sie ihren ruhigen Verlauf
nehmen läßt; aber der einmal verlorene Grundbesitz war weit schwerer wieder¬
zuerlangen. . .. Was konnte dein Staate der Adel noch nützen, wenn er, der
früher eine der Hauptstützen der Monarchie gewesen, besitzlos geworden war?"

"Der Ackerbau kennt kein gewaltsames Vorgehen; der Handel dagegen ist
ein Eroberer, der stets von neuen Siegen träumt."

Dem Bande sind zwei Bildnisse, Talleyrand als Ubbo und als Minister,
fmier seine und Ludwigs des Achtzehnter Handschrift beigegeben.




Talleyrands Memoiren

jedem Lebensalter gleichgeblieben sei, kau» auf Neuheit leinen Anspruch machen.
Auch die Charakteristik der Iran von Genlis dürfte nur wenige Leser inter-
essiren. Mehr Wert hätte es, wenn Talleyrand über seine Beobachtungen in
Amerika etwas mitteilsamer gewesen wäre. Die Gewandtheit, mit der er sein
Thun als Minister Napoleons in ein ihm günstiges Licht stellt, seinen Eifer,
seine Weisheit und seine „Treue" hervorhebt und dabei immer seine Untreue
als Sorge für den Weltfrieden darzustellen weiß, erregt allerdings unsre Be¬
wunderung, doch schwachen die vielen Wiederholungen deu Eindruck ab.

Hier noch einige Beiträge für Sammler von „Lichtstrahlen."

„Die Leutseligkeit der Monarchen erweckt wohl Zuneigung, aber keine
Ehrfurcht, und die erstere erlischt bei dein geringsten Mißverständnis und bei
der unbedeutendsten Verwicklung. Dann will man auf die verlorene Macht
zurückgreifen und ernannt sich auch, aber nnr schwankend und vorübergehend;
denn die Energie ist dahin. Eine Regierung, die uicht mehr kräftig und selbst¬
bewußt handeln kann, fällt immer wieder in die alte Schwäche zurück. Sie
nimmt dann wohl zu einem Ministerwechsel ihre Zuflucht und glaubt damit
dem Übel zu steuern, aber sie befriedigt damit nur eine gewisse Partei, und
die Gesamtheit geht leer aus."

„Welch eine unsinnige Vermessenheit, die Welt dnrch Abstraktionen,
Analysen, dnrch die schwankenden Begriffe von Freiheit und Gleichheit und
durch eine rein metaphysische Moral regieren zu wollen!"

„Die alten Vorrechte der Geburt und des Ranges . . . konnten vielleicht
später zurückgegeben werden; denn in einer Monarchie ist daS Gleichheitsprinzip,
in seinem vollen Umfange angewendet, nichts weiter als eine vorübergehende
Krankheit, nicht eben allzu gefährlich, wenn man sie ihren ruhigen Verlauf
nehmen läßt; aber der einmal verlorene Grundbesitz war weit schwerer wieder¬
zuerlangen. . .. Was konnte dein Staate der Adel noch nützen, wenn er, der
früher eine der Hauptstützen der Monarchie gewesen, besitzlos geworden war?"

„Der Ackerbau kennt kein gewaltsames Vorgehen; der Handel dagegen ist
ein Eroberer, der stets von neuen Siegen träumt."

Dem Bande sind zwei Bildnisse, Talleyrand als Ubbo und als Minister,
fmier seine und Ludwigs des Achtzehnter Handschrift beigegeben.




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[0087] Talleyrands Memoiren jedem Lebensalter gleichgeblieben sei, kau» auf Neuheit leinen Anspruch machen. Auch die Charakteristik der Iran von Genlis dürfte nur wenige Leser inter- essiren. Mehr Wert hätte es, wenn Talleyrand über seine Beobachtungen in Amerika etwas mitteilsamer gewesen wäre. Die Gewandtheit, mit der er sein Thun als Minister Napoleons in ein ihm günstiges Licht stellt, seinen Eifer, seine Weisheit und seine „Treue" hervorhebt und dabei immer seine Untreue als Sorge für den Weltfrieden darzustellen weiß, erregt allerdings unsre Be¬ wunderung, doch schwachen die vielen Wiederholungen deu Eindruck ab. Hier noch einige Beiträge für Sammler von „Lichtstrahlen." „Die Leutseligkeit der Monarchen erweckt wohl Zuneigung, aber keine Ehrfurcht, und die erstere erlischt bei dein geringsten Mißverständnis und bei der unbedeutendsten Verwicklung. Dann will man auf die verlorene Macht zurückgreifen und ernannt sich auch, aber nnr schwankend und vorübergehend; denn die Energie ist dahin. Eine Regierung, die uicht mehr kräftig und selbst¬ bewußt handeln kann, fällt immer wieder in die alte Schwäche zurück. Sie nimmt dann wohl zu einem Ministerwechsel ihre Zuflucht und glaubt damit dem Übel zu steuern, aber sie befriedigt damit nur eine gewisse Partei, und die Gesamtheit geht leer aus." „Welch eine unsinnige Vermessenheit, die Welt dnrch Abstraktionen, Analysen, dnrch die schwankenden Begriffe von Freiheit und Gleichheit und durch eine rein metaphysische Moral regieren zu wollen!" „Die alten Vorrechte der Geburt und des Ranges . . . konnten vielleicht später zurückgegeben werden; denn in einer Monarchie ist daS Gleichheitsprinzip, in seinem vollen Umfange angewendet, nichts weiter als eine vorübergehende Krankheit, nicht eben allzu gefährlich, wenn man sie ihren ruhigen Verlauf nehmen läßt; aber der einmal verlorene Grundbesitz war weit schwerer wieder¬ zuerlangen. . .. Was konnte dein Staate der Adel noch nützen, wenn er, der früher eine der Hauptstützen der Monarchie gewesen, besitzlos geworden war?" „Der Ackerbau kennt kein gewaltsames Vorgehen; der Handel dagegen ist ein Eroberer, der stets von neuen Siegen träumt." Dem Bande sind zwei Bildnisse, Talleyrand als Ubbo und als Minister, fmier seine und Ludwigs des Achtzehnter Handschrift beigegeben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/87>, abgerufen am 05.07.2024.