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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Talleyraiids Memoiren

fessivn "ut die damit Verbundene Geistesrichtung sehr gefährlich sind/' schwächen
und unschädlich machen müssen, entweder durch Beschränkung des aktiven und
passiven Wahlrechts, "sodaß immer uur die ersten und bedeutendsten eines
jeden Standes gewählt werde" konnten" (!), oder "durch Bildung einer Pairie
aus den beiden ersten Ständen/' Er geht so weit, auszusprechen, auf diesem
Wege Hütte Necker "vielleicht" den Umsturz des Thrones und die Greuel der
Revolution verhindern können. Und das sagt er unmittelbar, nachdem er die
Verbreitung der "neuen Ideen," der Lehren der Encyklopädie gerade unter
den höhern Ständen betont hat, und angesichts der Thatsache, daß gerade er
mit wenigen andern von Adel sich in der Nationalversammlung dem dritten
Stande angeschlossen hat!

Hier darf eine Episode nicht unerwähnt bleiben, die in drei nicht wesentlich
von einander abweichenden Darstellungen vorliegt, einmal im Texte der Me¬
moiren, dann in den als Anhang gedruckten Berichten eines Herrn von Ba-
court und eines Legitimisten Baron Nitrvlles, denen Talleyrand den Borfall
erzählt hatte. Talleyrand und einige Genossen wollten, als sich der dritte
Stand als die alleinige Volksvertretung proklamirt hatte, dem Könige die
Auflösung der Generalstaaten vorschlagen, sie wurden an den Grafen von Ar-
tois gewiesen, der jedoch den Schritt zu gewagt fand. Nun heißt es in den
Memoiren: "Da sah ich ein, daß ich nicht mehr helfen konnte, und überhaupt
zu nichts mehr zu gebrauchen war, und hielt es für gerate", uur an mich
selbst zu denken." Rückhaltloser äußerte er sich gegen Bitrolles, der 1814
nach Nancy an den Grafen von Artois geschickt worden war, um ihn zu be¬
wegen, sich als Generalleutnant des Königreiches an die Spitze der Negierung
zu stellen. Talleyrand beauftragte ihn, den Prinzen an die erwähnte Unter¬
redung zu erinnern, und erzählte: ,,Nach der Weigerung des Prinzen baten
wir ihn, uns zu erlauben, ihm ohne Rückhalt zu erklären, daß, wenn dieser
Schritt, den uns die Stimme unsers Gewissens und das aufrichtige Staats-
interesse eingegeben Meter^, erfolglos bleiben sollte, Se. Hoheit sich nicht ver¬
wundern müsse, wenn wir uns dem Revolutionssturm, den wir doch uicht zu
hemmen imstande seien, anschlössen, und uns den neuen Ideen anbequemten."
Bitrolles fährt fort, der Prinz habe den Inhalt der Unterredung bestätigt,
drückt aber sein Erstaunen über "die diplomatische Schlauheit dieses Mannes"
aus, der mit so naivem Gesichte und so unbefangen eine fernliegende Er¬
innerung zu einer Beschönigung, wouicht zu einer Rechtfertigung seines
ganzen revolutionären Lebens geschickt benutzte; "mie hier, so wird er auch
leicht für hundert andre Vorwürfe eine Ausflucht gefunden haben." Diesen
Ton findet Herr von Vacourt, an den der Brief gerichtet ist, "etwas ge-
hässig."

Ein langer Exkurs über den Herzog Philipp von Orleans (Egalito) ent¬
hält kaum etwas bemerkenswertes; die Wahrheit, daß sich dieser Mensch in


Talleyraiids Memoiren

fessivn »ut die damit Verbundene Geistesrichtung sehr gefährlich sind/' schwächen
und unschädlich machen müssen, entweder durch Beschränkung des aktiven und
passiven Wahlrechts, „sodaß immer uur die ersten und bedeutendsten eines
jeden Standes gewählt werde» konnten" (!), oder „durch Bildung einer Pairie
aus den beiden ersten Ständen/' Er geht so weit, auszusprechen, auf diesem
Wege Hütte Necker „vielleicht" den Umsturz des Thrones und die Greuel der
Revolution verhindern können. Und das sagt er unmittelbar, nachdem er die
Verbreitung der „neuen Ideen," der Lehren der Encyklopädie gerade unter
den höhern Ständen betont hat, und angesichts der Thatsache, daß gerade er
mit wenigen andern von Adel sich in der Nationalversammlung dem dritten
Stande angeschlossen hat!

Hier darf eine Episode nicht unerwähnt bleiben, die in drei nicht wesentlich
von einander abweichenden Darstellungen vorliegt, einmal im Texte der Me¬
moiren, dann in den als Anhang gedruckten Berichten eines Herrn von Ba-
court und eines Legitimisten Baron Nitrvlles, denen Talleyrand den Borfall
erzählt hatte. Talleyrand und einige Genossen wollten, als sich der dritte
Stand als die alleinige Volksvertretung proklamirt hatte, dem Könige die
Auflösung der Generalstaaten vorschlagen, sie wurden an den Grafen von Ar-
tois gewiesen, der jedoch den Schritt zu gewagt fand. Nun heißt es in den
Memoiren: „Da sah ich ein, daß ich nicht mehr helfen konnte, und überhaupt
zu nichts mehr zu gebrauchen war, und hielt es für gerate», uur an mich
selbst zu denken." Rückhaltloser äußerte er sich gegen Bitrolles, der 1814
nach Nancy an den Grafen von Artois geschickt worden war, um ihn zu be¬
wegen, sich als Generalleutnant des Königreiches an die Spitze der Negierung
zu stellen. Talleyrand beauftragte ihn, den Prinzen an die erwähnte Unter¬
redung zu erinnern, und erzählte: ,,Nach der Weigerung des Prinzen baten
wir ihn, uns zu erlauben, ihm ohne Rückhalt zu erklären, daß, wenn dieser
Schritt, den uns die Stimme unsers Gewissens und das aufrichtige Staats-
interesse eingegeben Meter^, erfolglos bleiben sollte, Se. Hoheit sich nicht ver¬
wundern müsse, wenn wir uns dem Revolutionssturm, den wir doch uicht zu
hemmen imstande seien, anschlössen, und uns den neuen Ideen anbequemten."
Bitrolles fährt fort, der Prinz habe den Inhalt der Unterredung bestätigt,
drückt aber sein Erstaunen über „die diplomatische Schlauheit dieses Mannes"
aus, der mit so naivem Gesichte und so unbefangen eine fernliegende Er¬
innerung zu einer Beschönigung, wouicht zu einer Rechtfertigung seines
ganzen revolutionären Lebens geschickt benutzte; „mie hier, so wird er auch
leicht für hundert andre Vorwürfe eine Ausflucht gefunden haben." Diesen
Ton findet Herr von Vacourt, an den der Brief gerichtet ist, „etwas ge-
hässig."

Ein langer Exkurs über den Herzog Philipp von Orleans (Egalito) ent¬
hält kaum etwas bemerkenswertes; die Wahrheit, daß sich dieser Mensch in


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[0086] Talleyraiids Memoiren fessivn »ut die damit Verbundene Geistesrichtung sehr gefährlich sind/' schwächen und unschädlich machen müssen, entweder durch Beschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts, „sodaß immer uur die ersten und bedeutendsten eines jeden Standes gewählt werde» konnten" (!), oder „durch Bildung einer Pairie aus den beiden ersten Ständen/' Er geht so weit, auszusprechen, auf diesem Wege Hütte Necker „vielleicht" den Umsturz des Thrones und die Greuel der Revolution verhindern können. Und das sagt er unmittelbar, nachdem er die Verbreitung der „neuen Ideen," der Lehren der Encyklopädie gerade unter den höhern Ständen betont hat, und angesichts der Thatsache, daß gerade er mit wenigen andern von Adel sich in der Nationalversammlung dem dritten Stande angeschlossen hat! Hier darf eine Episode nicht unerwähnt bleiben, die in drei nicht wesentlich von einander abweichenden Darstellungen vorliegt, einmal im Texte der Me¬ moiren, dann in den als Anhang gedruckten Berichten eines Herrn von Ba- court und eines Legitimisten Baron Nitrvlles, denen Talleyrand den Borfall erzählt hatte. Talleyrand und einige Genossen wollten, als sich der dritte Stand als die alleinige Volksvertretung proklamirt hatte, dem Könige die Auflösung der Generalstaaten vorschlagen, sie wurden an den Grafen von Ar- tois gewiesen, der jedoch den Schritt zu gewagt fand. Nun heißt es in den Memoiren: „Da sah ich ein, daß ich nicht mehr helfen konnte, und überhaupt zu nichts mehr zu gebrauchen war, und hielt es für gerate», uur an mich selbst zu denken." Rückhaltloser äußerte er sich gegen Bitrolles, der 1814 nach Nancy an den Grafen von Artois geschickt worden war, um ihn zu be¬ wegen, sich als Generalleutnant des Königreiches an die Spitze der Negierung zu stellen. Talleyrand beauftragte ihn, den Prinzen an die erwähnte Unter¬ redung zu erinnern, und erzählte: ,,Nach der Weigerung des Prinzen baten wir ihn, uns zu erlauben, ihm ohne Rückhalt zu erklären, daß, wenn dieser Schritt, den uns die Stimme unsers Gewissens und das aufrichtige Staats- interesse eingegeben Meter^, erfolglos bleiben sollte, Se. Hoheit sich nicht ver¬ wundern müsse, wenn wir uns dem Revolutionssturm, den wir doch uicht zu hemmen imstande seien, anschlössen, und uns den neuen Ideen anbequemten." Bitrolles fährt fort, der Prinz habe den Inhalt der Unterredung bestätigt, drückt aber sein Erstaunen über „die diplomatische Schlauheit dieses Mannes" aus, der mit so naivem Gesichte und so unbefangen eine fernliegende Er¬ innerung zu einer Beschönigung, wouicht zu einer Rechtfertigung seines ganzen revolutionären Lebens geschickt benutzte; „mie hier, so wird er auch leicht für hundert andre Vorwürfe eine Ausflucht gefunden haben." Diesen Ton findet Herr von Vacourt, an den der Brief gerichtet ist, „etwas ge- hässig." Ein langer Exkurs über den Herzog Philipp von Orleans (Egalito) ent¬ hält kaum etwas bemerkenswertes; die Wahrheit, daß sich dieser Mensch in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/86>, abgerufen am 04.07.2024.