Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Talleyrands Memoiren

worfenen Bilde von dem Leben in den Provinzen vor Ausbruch der Revo¬
lution. Der Widerspruch zwischen diesen Schilderungen und Tallehmnds
Verherrlichungen der Revolution kann uns nicht mehr befremden. Ohne um
seine Neigung befragt zu werden, wurde er zum Kleriker bestimmt, und seine
Gaben müssen sich bald so bemerkbar gemacht haben, daß ihn der Erzbischof
von Rheims 1775 zum geistlichen Fiskal ernannte (eine Stellung. in der er
jeden Priester, der sich etwas hatte zu schulden kommen lassei,, zur Rechen¬
schaft ziehen und außerdem die Rechte, die Freiheit und die Disziplin der
Kirche wahren und verteidigen mußte), und bald darauf wurde er einer von
den beiden Generalvertretern des gesamten französischen Klerus, den Organen
des Klerus gegenüber der Negierung. Er war erst einundzwanzig Jahre alt,
und damals begann die Zeit, die "das eigentümliche hatte, daß jeder das
Bedürfnis fühlte, ein Talent zu zeigen, das außerhalb seiner Stellung lag."
Dabei war er eiugestandenermaßen höchst ehrgeizig; "übrigens war mein Ehr¬
geiz damals noch reiner Natur; ich strebte hoch hinauf, aber mit der redlichen
Absicht, das Gute zu fördern." Dies "damals noch" muß ihm unbemerkt
ans der Feder geschlüpft sein! Zwei Jahre lang besuchte er die Svrboune
und beschäftigte sich "mit allen möglichen Dingen, ausgenommen mit der
Theologie." Dann richtete er sich in Paris ein Haus ein und suchte die
Bekanntschaft ausgezeichneter Personen, von denen er bei dieser und spätern
Gelegenheiten eine Meuge aufzählt, vielfach solche, deren Namen längst ver¬
gessen sind. Als seine täglichen Frühstücksgäste werden neben manchen andern
genannt Chamfort und Mirabeau, und das ist, wenn wir nicht irren, das
einzigemal, wo Mirabecius Name in diesen Memoiren Erwähnung findet.

Sehr ergötzlich sind zum Teil d!e Schilderungen der vornehmen Pariser
Gesellschaft in der Zeit, wo diese noch mit der Revolution spielte. "Hohes
Spiel und Schöngeisterei" hatten eine Vermischung der Stände zu Wege gebracht.
Junge Frauen von oberflächlicher Bildung sprachen keck über Regierung und
Verwaltung; Talleyrand behauptet auf einem Balle mitangehört zu haben,
wie Damen, darunter die kaum zwanzigjährige Fran von Staöl, ihren Tänzern
Vortrüge über die französische Marine, über Eingangszölle und Tabaksteuer
hielten. Und er selbst gesteht, dnrch die Dreistigkeit, mit der er Necker staats¬
männisches und Verwaltungstnleut absprach, Aufmerksamkeit erregt zu haben.
Auch will er schon damals ein entschiedener Gegner der Kolonialpolitik ge¬
wesen sein, insofern ihr Ziel jenseits des Ozeans lag, und verbreitet sich aus¬
führlich über die Notwendigkeit, Frankreich zum Herrn des Mittelmeeres zu
'"ander, "in Verbindung mit seinem natürlichen Verbündeten Spanien."

Die Einberufung oder doch die Znsammensetzung der Geuernlstaateu
unterzieht er einer scharfen Kritik, immer mit der Miene, als hätte er schon
damals die geläuterten Ansichten wie im Alter gehabt. Man hätte den
dritten Stand mit seinen vielen Advokaten, "die bekanntlich durch ihre Pro-


Talleyrands Memoiren

worfenen Bilde von dem Leben in den Provinzen vor Ausbruch der Revo¬
lution. Der Widerspruch zwischen diesen Schilderungen und Tallehmnds
Verherrlichungen der Revolution kann uns nicht mehr befremden. Ohne um
seine Neigung befragt zu werden, wurde er zum Kleriker bestimmt, und seine
Gaben müssen sich bald so bemerkbar gemacht haben, daß ihn der Erzbischof
von Rheims 1775 zum geistlichen Fiskal ernannte (eine Stellung. in der er
jeden Priester, der sich etwas hatte zu schulden kommen lassei,, zur Rechen¬
schaft ziehen und außerdem die Rechte, die Freiheit und die Disziplin der
Kirche wahren und verteidigen mußte), und bald darauf wurde er einer von
den beiden Generalvertretern des gesamten französischen Klerus, den Organen
des Klerus gegenüber der Negierung. Er war erst einundzwanzig Jahre alt,
und damals begann die Zeit, die „das eigentümliche hatte, daß jeder das
Bedürfnis fühlte, ein Talent zu zeigen, das außerhalb seiner Stellung lag."
Dabei war er eiugestandenermaßen höchst ehrgeizig; „übrigens war mein Ehr¬
geiz damals noch reiner Natur; ich strebte hoch hinauf, aber mit der redlichen
Absicht, das Gute zu fördern." Dies „damals noch" muß ihm unbemerkt
ans der Feder geschlüpft sein! Zwei Jahre lang besuchte er die Svrboune
und beschäftigte sich „mit allen möglichen Dingen, ausgenommen mit der
Theologie." Dann richtete er sich in Paris ein Haus ein und suchte die
Bekanntschaft ausgezeichneter Personen, von denen er bei dieser und spätern
Gelegenheiten eine Meuge aufzählt, vielfach solche, deren Namen längst ver¬
gessen sind. Als seine täglichen Frühstücksgäste werden neben manchen andern
genannt Chamfort und Mirabeau, und das ist, wenn wir nicht irren, das
einzigemal, wo Mirabecius Name in diesen Memoiren Erwähnung findet.

Sehr ergötzlich sind zum Teil d!e Schilderungen der vornehmen Pariser
Gesellschaft in der Zeit, wo diese noch mit der Revolution spielte. „Hohes
Spiel und Schöngeisterei" hatten eine Vermischung der Stände zu Wege gebracht.
Junge Frauen von oberflächlicher Bildung sprachen keck über Regierung und
Verwaltung; Talleyrand behauptet auf einem Balle mitangehört zu haben,
wie Damen, darunter die kaum zwanzigjährige Fran von Staöl, ihren Tänzern
Vortrüge über die französische Marine, über Eingangszölle und Tabaksteuer
hielten. Und er selbst gesteht, dnrch die Dreistigkeit, mit der er Necker staats¬
männisches und Verwaltungstnleut absprach, Aufmerksamkeit erregt zu haben.
Auch will er schon damals ein entschiedener Gegner der Kolonialpolitik ge¬
wesen sein, insofern ihr Ziel jenseits des Ozeans lag, und verbreitet sich aus¬
führlich über die Notwendigkeit, Frankreich zum Herrn des Mittelmeeres zu
'"ander, „in Verbindung mit seinem natürlichen Verbündeten Spanien."

Die Einberufung oder doch die Znsammensetzung der Geuernlstaateu
unterzieht er einer scharfen Kritik, immer mit der Miene, als hätte er schon
damals die geläuterten Ansichten wie im Alter gehabt. Man hätte den
dritten Stand mit seinen vielen Advokaten, „die bekanntlich durch ihre Pro-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0085" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209952"/>
          <fw type="header" place="top"> Talleyrands Memoiren</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_221" prev="#ID_220"> worfenen Bilde von dem Leben in den Provinzen vor Ausbruch der Revo¬<lb/>
lution. Der Widerspruch zwischen diesen Schilderungen und Tallehmnds<lb/>
Verherrlichungen der Revolution kann uns nicht mehr befremden. Ohne um<lb/>
seine Neigung befragt zu werden, wurde er zum Kleriker bestimmt, und seine<lb/>
Gaben müssen sich bald so bemerkbar gemacht haben, daß ihn der Erzbischof<lb/>
von Rheims 1775 zum geistlichen Fiskal ernannte (eine Stellung. in der er<lb/>
jeden Priester, der sich etwas hatte zu schulden kommen lassei,, zur Rechen¬<lb/>
schaft ziehen und außerdem die Rechte, die Freiheit und die Disziplin der<lb/>
Kirche wahren und verteidigen mußte), und bald darauf wurde er einer von<lb/>
den beiden Generalvertretern des gesamten französischen Klerus, den Organen<lb/>
des Klerus gegenüber der Negierung. Er war erst einundzwanzig Jahre alt,<lb/>
und damals begann die Zeit, die &#x201E;das eigentümliche hatte, daß jeder das<lb/>
Bedürfnis fühlte, ein Talent zu zeigen, das außerhalb seiner Stellung lag."<lb/>
Dabei war er eiugestandenermaßen höchst ehrgeizig; &#x201E;übrigens war mein Ehr¬<lb/>
geiz damals noch reiner Natur; ich strebte hoch hinauf, aber mit der redlichen<lb/>
Absicht, das Gute zu fördern." Dies &#x201E;damals noch" muß ihm unbemerkt<lb/>
ans der Feder geschlüpft sein! Zwei Jahre lang besuchte er die Svrboune<lb/>
und beschäftigte sich &#x201E;mit allen möglichen Dingen, ausgenommen mit der<lb/>
Theologie." Dann richtete er sich in Paris ein Haus ein und suchte die<lb/>
Bekanntschaft ausgezeichneter Personen, von denen er bei dieser und spätern<lb/>
Gelegenheiten eine Meuge aufzählt, vielfach solche, deren Namen längst ver¬<lb/>
gessen sind. Als seine täglichen Frühstücksgäste werden neben manchen andern<lb/>
genannt Chamfort und Mirabeau, und das ist, wenn wir nicht irren, das<lb/>
einzigemal, wo Mirabecius Name in diesen Memoiren Erwähnung findet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_222"> Sehr ergötzlich sind zum Teil d!e Schilderungen der vornehmen Pariser<lb/>
Gesellschaft in der Zeit, wo diese noch mit der Revolution spielte. &#x201E;Hohes<lb/>
Spiel und Schöngeisterei" hatten eine Vermischung der Stände zu Wege gebracht.<lb/>
Junge Frauen von oberflächlicher Bildung sprachen keck über Regierung und<lb/>
Verwaltung; Talleyrand behauptet auf einem Balle mitangehört zu haben,<lb/>
wie Damen, darunter die kaum zwanzigjährige Fran von Staöl, ihren Tänzern<lb/>
Vortrüge über die französische Marine, über Eingangszölle und Tabaksteuer<lb/>
hielten. Und er selbst gesteht, dnrch die Dreistigkeit, mit der er Necker staats¬<lb/>
männisches und Verwaltungstnleut absprach, Aufmerksamkeit erregt zu haben.<lb/>
Auch will er schon damals ein entschiedener Gegner der Kolonialpolitik ge¬<lb/>
wesen sein, insofern ihr Ziel jenseits des Ozeans lag, und verbreitet sich aus¬<lb/>
führlich über die Notwendigkeit, Frankreich zum Herrn des Mittelmeeres zu<lb/>
'"ander, &#x201E;in Verbindung mit seinem natürlichen Verbündeten Spanien."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_223" next="#ID_224"> Die Einberufung oder doch die Znsammensetzung der Geuernlstaateu<lb/>
unterzieht er einer scharfen Kritik, immer mit der Miene, als hätte er schon<lb/>
damals die geläuterten Ansichten wie im Alter gehabt. Man hätte den<lb/>
dritten Stand mit seinen vielen Advokaten, &#x201E;die bekanntlich durch ihre Pro-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0085] Talleyrands Memoiren worfenen Bilde von dem Leben in den Provinzen vor Ausbruch der Revo¬ lution. Der Widerspruch zwischen diesen Schilderungen und Tallehmnds Verherrlichungen der Revolution kann uns nicht mehr befremden. Ohne um seine Neigung befragt zu werden, wurde er zum Kleriker bestimmt, und seine Gaben müssen sich bald so bemerkbar gemacht haben, daß ihn der Erzbischof von Rheims 1775 zum geistlichen Fiskal ernannte (eine Stellung. in der er jeden Priester, der sich etwas hatte zu schulden kommen lassei,, zur Rechen¬ schaft ziehen und außerdem die Rechte, die Freiheit und die Disziplin der Kirche wahren und verteidigen mußte), und bald darauf wurde er einer von den beiden Generalvertretern des gesamten französischen Klerus, den Organen des Klerus gegenüber der Negierung. Er war erst einundzwanzig Jahre alt, und damals begann die Zeit, die „das eigentümliche hatte, daß jeder das Bedürfnis fühlte, ein Talent zu zeigen, das außerhalb seiner Stellung lag." Dabei war er eiugestandenermaßen höchst ehrgeizig; „übrigens war mein Ehr¬ geiz damals noch reiner Natur; ich strebte hoch hinauf, aber mit der redlichen Absicht, das Gute zu fördern." Dies „damals noch" muß ihm unbemerkt ans der Feder geschlüpft sein! Zwei Jahre lang besuchte er die Svrboune und beschäftigte sich „mit allen möglichen Dingen, ausgenommen mit der Theologie." Dann richtete er sich in Paris ein Haus ein und suchte die Bekanntschaft ausgezeichneter Personen, von denen er bei dieser und spätern Gelegenheiten eine Meuge aufzählt, vielfach solche, deren Namen längst ver¬ gessen sind. Als seine täglichen Frühstücksgäste werden neben manchen andern genannt Chamfort und Mirabeau, und das ist, wenn wir nicht irren, das einzigemal, wo Mirabecius Name in diesen Memoiren Erwähnung findet. Sehr ergötzlich sind zum Teil d!e Schilderungen der vornehmen Pariser Gesellschaft in der Zeit, wo diese noch mit der Revolution spielte. „Hohes Spiel und Schöngeisterei" hatten eine Vermischung der Stände zu Wege gebracht. Junge Frauen von oberflächlicher Bildung sprachen keck über Regierung und Verwaltung; Talleyrand behauptet auf einem Balle mitangehört zu haben, wie Damen, darunter die kaum zwanzigjährige Fran von Staöl, ihren Tänzern Vortrüge über die französische Marine, über Eingangszölle und Tabaksteuer hielten. Und er selbst gesteht, dnrch die Dreistigkeit, mit der er Necker staats¬ männisches und Verwaltungstnleut absprach, Aufmerksamkeit erregt zu haben. Auch will er schon damals ein entschiedener Gegner der Kolonialpolitik ge¬ wesen sein, insofern ihr Ziel jenseits des Ozeans lag, und verbreitet sich aus¬ führlich über die Notwendigkeit, Frankreich zum Herrn des Mittelmeeres zu '"ander, „in Verbindung mit seinem natürlichen Verbündeten Spanien." Die Einberufung oder doch die Znsammensetzung der Geuernlstaateu unterzieht er einer scharfen Kritik, immer mit der Miene, als hätte er schon damals die geläuterten Ansichten wie im Alter gehabt. Man hätte den dritten Stand mit seinen vielen Advokaten, „die bekanntlich durch ihre Pro-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/85
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/85>, abgerufen am 04.07.2024.