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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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gestorben. Fossilartige Überbleibsel dieser Narrenart werden selbst von den
Stenographen nur noch mit Kopfschtttteln betrachtet.

Und woher nun all die Wunderlichkeiten oonuu xudlioo? Weil an deu
beiden Stellen, wo das stenographische Leben sich der großen Welt vornehm¬
lich bemerkbar macht, in der Presse und im Vereinswesen, Unfähigkeit und
Unverstand vorherrschen. Der Büchermarkt wird mit Erzeugnissen des steno¬
graphischen Geistes überschüttet, es erscheinen im deutschen Sprachgebiete jähr¬
lich etwa 150 auf Stenographie bezügliche Schriften und 70 Fachzeitschriften.
In ihres Nichts durchbohrendem Gefühle pflegten sich diese äußerlich meist
winzigen Hervorbringungen früher in ein stenographisches Müntelchen zu hüllen,
damit kein Kritikus die Armseligkeit durchschauen könnte. Mit zunehmender
Verwendung des gewöhnlichen Typendrucks ist hier ein Läuteruugsprozeß ein-
getreten, die Federproben der kläglichsten Elemente wagen sich nicht mehr recht
hervor, und das ist schon ein Gewinn. Trotzdem kommt des eiteln und ge¬
haltloser Krams noch vollauf genug ans Tageslicht, nur vereinzelte Körner
befinden sich in der Spreu. Die neuen Auflagen bewährter Lehrbücher bilden
den Hauptbestandteil der wenigen tüchtigen Schriften, dazu treten einige ge¬
schickt redigirte Fachblätter, vor allen das "Magazin für Stenographie."
Solche Goldkörner wie O. Lehmanns") "Notenpsalterium," I. Brauns "Zehn
Thesen," Henles "Entwicklung der deutschen Kurzschrift" und A. Junges
"Vorgeschichte der Stenographie in Deutschland," die jeder wissenschaftlichen
Bibliothek zur Zierde gereichen, kommen nur aller paar Jahre einmal vor.
Wem: nicht alle Anzeichen trügen, sind diese verheißungsvoller Anfänge einer
bessern stenographischen Litteratur in der Zunahme begriffen. Das Ansehen
der Stenographie würde sehr gewinnen dnrch eine Fachlitteratur mit gediegenen
Leistungen, die vor dem Richterstuhle einer strengen wissenschaftlichen Kritik
ebenso ehrenvoll bestehen könnten wie die angeführten Bücher. Mit Massen
nichtigen Tantes aber wird der Sache bloß geschadet, der gehört in den


Bezirk, wo Gewürz und Pfeffer und Weihrauch
Feil ist, oder was sonst einhüllt unnützer Papierwust.

Noch größer ist die Gaukelei im Vereinswesen. Da wird alljährlich in
die staunende Welt hinaustrompetet, welchen Zuwachs die Anzahl der Stenv-
graphenvereine gewonnen habe, wieviel Mitglieder sich darin zusammenscharten,
und was für eine Menge von Neophyten durch Unterricht in die Geheim¬
nisse der Stenographie eingeführt worden sei. Du lieber Himmel, als ob es
ans die Quantität und nicht auf die Qualität ankäme! Immer wieder das
Prahlen mit Nullen! Im Sturmlauf der wettbewerbeuden Systeme bietet
man die Sache mit allen Lockmittelchen (bis zur Unentgeltlichkeit!) schon ans



*) Es ist das natürlich ein andrer als der oben erwähnte Leisleuschneidcr.

gestorben. Fossilartige Überbleibsel dieser Narrenart werden selbst von den
Stenographen nur noch mit Kopfschtttteln betrachtet.

Und woher nun all die Wunderlichkeiten oonuu xudlioo? Weil an deu
beiden Stellen, wo das stenographische Leben sich der großen Welt vornehm¬
lich bemerkbar macht, in der Presse und im Vereinswesen, Unfähigkeit und
Unverstand vorherrschen. Der Büchermarkt wird mit Erzeugnissen des steno¬
graphischen Geistes überschüttet, es erscheinen im deutschen Sprachgebiete jähr¬
lich etwa 150 auf Stenographie bezügliche Schriften und 70 Fachzeitschriften.
In ihres Nichts durchbohrendem Gefühle pflegten sich diese äußerlich meist
winzigen Hervorbringungen früher in ein stenographisches Müntelchen zu hüllen,
damit kein Kritikus die Armseligkeit durchschauen könnte. Mit zunehmender
Verwendung des gewöhnlichen Typendrucks ist hier ein Läuteruugsprozeß ein-
getreten, die Federproben der kläglichsten Elemente wagen sich nicht mehr recht
hervor, und das ist schon ein Gewinn. Trotzdem kommt des eiteln und ge¬
haltloser Krams noch vollauf genug ans Tageslicht, nur vereinzelte Körner
befinden sich in der Spreu. Die neuen Auflagen bewährter Lehrbücher bilden
den Hauptbestandteil der wenigen tüchtigen Schriften, dazu treten einige ge¬
schickt redigirte Fachblätter, vor allen das „Magazin für Stenographie."
Solche Goldkörner wie O. Lehmanns") „Notenpsalterium," I. Brauns „Zehn
Thesen," Henles „Entwicklung der deutschen Kurzschrift" und A. Junges
„Vorgeschichte der Stenographie in Deutschland," die jeder wissenschaftlichen
Bibliothek zur Zierde gereichen, kommen nur aller paar Jahre einmal vor.
Wem: nicht alle Anzeichen trügen, sind diese verheißungsvoller Anfänge einer
bessern stenographischen Litteratur in der Zunahme begriffen. Das Ansehen
der Stenographie würde sehr gewinnen dnrch eine Fachlitteratur mit gediegenen
Leistungen, die vor dem Richterstuhle einer strengen wissenschaftlichen Kritik
ebenso ehrenvoll bestehen könnten wie die angeführten Bücher. Mit Massen
nichtigen Tantes aber wird der Sache bloß geschadet, der gehört in den


Bezirk, wo Gewürz und Pfeffer und Weihrauch
Feil ist, oder was sonst einhüllt unnützer Papierwust.

Noch größer ist die Gaukelei im Vereinswesen. Da wird alljährlich in
die staunende Welt hinaustrompetet, welchen Zuwachs die Anzahl der Stenv-
graphenvereine gewonnen habe, wieviel Mitglieder sich darin zusammenscharten,
und was für eine Menge von Neophyten durch Unterricht in die Geheim¬
nisse der Stenographie eingeführt worden sei. Du lieber Himmel, als ob es
ans die Quantität und nicht auf die Qualität ankäme! Immer wieder das
Prahlen mit Nullen! Im Sturmlauf der wettbewerbeuden Systeme bietet
man die Sache mit allen Lockmittelchen (bis zur Unentgeltlichkeit!) schon ans



*) Es ist das natürlich ein andrer als der oben erwähnte Leisleuschneidcr.
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[0625] gestorben. Fossilartige Überbleibsel dieser Narrenart werden selbst von den Stenographen nur noch mit Kopfschtttteln betrachtet. Und woher nun all die Wunderlichkeiten oonuu xudlioo? Weil an deu beiden Stellen, wo das stenographische Leben sich der großen Welt vornehm¬ lich bemerkbar macht, in der Presse und im Vereinswesen, Unfähigkeit und Unverstand vorherrschen. Der Büchermarkt wird mit Erzeugnissen des steno¬ graphischen Geistes überschüttet, es erscheinen im deutschen Sprachgebiete jähr¬ lich etwa 150 auf Stenographie bezügliche Schriften und 70 Fachzeitschriften. In ihres Nichts durchbohrendem Gefühle pflegten sich diese äußerlich meist winzigen Hervorbringungen früher in ein stenographisches Müntelchen zu hüllen, damit kein Kritikus die Armseligkeit durchschauen könnte. Mit zunehmender Verwendung des gewöhnlichen Typendrucks ist hier ein Läuteruugsprozeß ein- getreten, die Federproben der kläglichsten Elemente wagen sich nicht mehr recht hervor, und das ist schon ein Gewinn. Trotzdem kommt des eiteln und ge¬ haltloser Krams noch vollauf genug ans Tageslicht, nur vereinzelte Körner befinden sich in der Spreu. Die neuen Auflagen bewährter Lehrbücher bilden den Hauptbestandteil der wenigen tüchtigen Schriften, dazu treten einige ge¬ schickt redigirte Fachblätter, vor allen das „Magazin für Stenographie." Solche Goldkörner wie O. Lehmanns") „Notenpsalterium," I. Brauns „Zehn Thesen," Henles „Entwicklung der deutschen Kurzschrift" und A. Junges „Vorgeschichte der Stenographie in Deutschland," die jeder wissenschaftlichen Bibliothek zur Zierde gereichen, kommen nur aller paar Jahre einmal vor. Wem: nicht alle Anzeichen trügen, sind diese verheißungsvoller Anfänge einer bessern stenographischen Litteratur in der Zunahme begriffen. Das Ansehen der Stenographie würde sehr gewinnen dnrch eine Fachlitteratur mit gediegenen Leistungen, die vor dem Richterstuhle einer strengen wissenschaftlichen Kritik ebenso ehrenvoll bestehen könnten wie die angeführten Bücher. Mit Massen nichtigen Tantes aber wird der Sache bloß geschadet, der gehört in den Bezirk, wo Gewürz und Pfeffer und Weihrauch Feil ist, oder was sonst einhüllt unnützer Papierwust. Noch größer ist die Gaukelei im Vereinswesen. Da wird alljährlich in die staunende Welt hinaustrompetet, welchen Zuwachs die Anzahl der Stenv- graphenvereine gewonnen habe, wieviel Mitglieder sich darin zusammenscharten, und was für eine Menge von Neophyten durch Unterricht in die Geheim¬ nisse der Stenographie eingeführt worden sei. Du lieber Himmel, als ob es ans die Quantität und nicht auf die Qualität ankäme! Immer wieder das Prahlen mit Nullen! Im Sturmlauf der wettbewerbeuden Systeme bietet man die Sache mit allen Lockmittelchen (bis zur Unentgeltlichkeit!) schon ans *) Es ist das natürlich ein andrer als der oben erwähnte Leisleuschneidcr.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/625>, abgerufen am 24.07.2024.