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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Das Stenographieunwesen

wie verdorbnes Bier, zum Unterricht wird alles gepreßt, was nur zu packen
ist, denn auch im Gevatter Schneider und Handschuhmacher wird ein teures
Haupt für die Statistik gewonnen. Es ist doch eine Tollheit, Arbeiter, Hand¬
werker, Kleinkrämer und andre Leute, die der Stenographie gar nicht bedürfen,
die froh sind, wenn sie mit der gewöhnlichen Schrift einigermaßen umgehen
können, mit der Stenographie zu behelligen. Halten sie wirklich beim Unter¬
richt aus, so mangelt ihnen doch die Gelegenheit zur Verwertung und Be¬
festigung des Gelernten. Sie treten den Stenographenvereinen bei und quälen
sich dort, mit ihrer harten Hand ein schläfriges Diktat stenographisch aufs
Papier zu malen. Solche Leute verschwenden mit der Stenographie ihre kost¬
bare Freizeit, die sie nutzbringend auf Erholung, Körperbewegung oder Lesen
guter Bücher verwenden sollten. Das charakteristische Merkmal der Steno¬
graphenvereine aber ist das Vorherrschen der Subalternität. Sie überwiegt
an Zahl, hat vielfach die Leitung an sich gebracht und drückt höhere Be¬
strebungen durch Widerstand oder Teilnahmlosigkeit an die Wand. Aus
den Vereinsberichten einiger Fachblütter greifen wir folgende Berufsbezeich-
nnngen von Vereinsgrößen aufs Geratewohl heraus: Vüreauassisteut, Diätist,
Expedient, Werkmeister, Kontorist, Kopist, Registrator, Sekretär, Unteroffizier,
Feldwebel, Kasscnassistent. Das ist der Typus der deutschen Stenographen-
Vereine! Solche Männer stehen natürlich nicht über der Sache, die sie in den
Vereinen vertreten, sondern werden von ihr beherrscht. Mir Höhergebildete
ist die Stenographie einfach ein Werkzeug, das sie sich zur Förderung ihrer
Zwecke dienstbar machen. Die Masse der Vereinsmitglieder kann sich aber
nicht über die Sache erheben, sondern blickt zur Stenographie in die Höhe,
wie zu etwas Großartigen und Ehrwürdigen. Hier findet man wahre Pracht¬
exemplare von Stenvgraphienarren. Einzelne Vereine bilden zwar rühmliche
Ausnahmen und stehen durch ihre leitenden geistigen Kräfte im verdienten
Ansehen. Diese Ausnahmen dienen jedoch nur zur Bestätigung der Regel,
daß die Stenographenvereine im allgemeinen Tummelplätze der Gehaltlosigkeit
und des Schwätzertums sind. Da werden große Worte gemacht, man
debattirt mit viel Behagen über kleinliche Formalitäten und pflegt ein selbst¬
gefälliges Vergöttern desjenigen Stenographiesystems, das man durch irgend
einen Zufall gerade gelernt hat, während über andre Systeme, von denen
man selten etwas versteht, abfällige Urteile in fanatischer Weise geflissentlich
in Umlauf gesetzt werden. Hieraus entspringt die allbekannte stenographische
Unduldsamkeit, die schon förmlich zum Gespött geworden ist.

Bei solchen Verhältnissen ist es nicht verwunderlich, wenn Männer andern
Schlages an dem Treiben der Stenographenvereine keinen Gefallen finden und
ihr Interesse für die Sache erkalten küssen. Wie soll auch z. B. ein höherer
Beamter, der etwa gleichzeitig Offizier der Reserve ist, ohne sich bloßzustellen,
an Bercinssitzungeu teilnehmen, in denen Schreiber seines Gerichtes, Unteroffiziere


Das Stenographieunwesen

wie verdorbnes Bier, zum Unterricht wird alles gepreßt, was nur zu packen
ist, denn auch im Gevatter Schneider und Handschuhmacher wird ein teures
Haupt für die Statistik gewonnen. Es ist doch eine Tollheit, Arbeiter, Hand¬
werker, Kleinkrämer und andre Leute, die der Stenographie gar nicht bedürfen,
die froh sind, wenn sie mit der gewöhnlichen Schrift einigermaßen umgehen
können, mit der Stenographie zu behelligen. Halten sie wirklich beim Unter¬
richt aus, so mangelt ihnen doch die Gelegenheit zur Verwertung und Be¬
festigung des Gelernten. Sie treten den Stenographenvereinen bei und quälen
sich dort, mit ihrer harten Hand ein schläfriges Diktat stenographisch aufs
Papier zu malen. Solche Leute verschwenden mit der Stenographie ihre kost¬
bare Freizeit, die sie nutzbringend auf Erholung, Körperbewegung oder Lesen
guter Bücher verwenden sollten. Das charakteristische Merkmal der Steno¬
graphenvereine aber ist das Vorherrschen der Subalternität. Sie überwiegt
an Zahl, hat vielfach die Leitung an sich gebracht und drückt höhere Be¬
strebungen durch Widerstand oder Teilnahmlosigkeit an die Wand. Aus
den Vereinsberichten einiger Fachblütter greifen wir folgende Berufsbezeich-
nnngen von Vereinsgrößen aufs Geratewohl heraus: Vüreauassisteut, Diätist,
Expedient, Werkmeister, Kontorist, Kopist, Registrator, Sekretär, Unteroffizier,
Feldwebel, Kasscnassistent. Das ist der Typus der deutschen Stenographen-
Vereine! Solche Männer stehen natürlich nicht über der Sache, die sie in den
Vereinen vertreten, sondern werden von ihr beherrscht. Mir Höhergebildete
ist die Stenographie einfach ein Werkzeug, das sie sich zur Förderung ihrer
Zwecke dienstbar machen. Die Masse der Vereinsmitglieder kann sich aber
nicht über die Sache erheben, sondern blickt zur Stenographie in die Höhe,
wie zu etwas Großartigen und Ehrwürdigen. Hier findet man wahre Pracht¬
exemplare von Stenvgraphienarren. Einzelne Vereine bilden zwar rühmliche
Ausnahmen und stehen durch ihre leitenden geistigen Kräfte im verdienten
Ansehen. Diese Ausnahmen dienen jedoch nur zur Bestätigung der Regel,
daß die Stenographenvereine im allgemeinen Tummelplätze der Gehaltlosigkeit
und des Schwätzertums sind. Da werden große Worte gemacht, man
debattirt mit viel Behagen über kleinliche Formalitäten und pflegt ein selbst¬
gefälliges Vergöttern desjenigen Stenographiesystems, das man durch irgend
einen Zufall gerade gelernt hat, während über andre Systeme, von denen
man selten etwas versteht, abfällige Urteile in fanatischer Weise geflissentlich
in Umlauf gesetzt werden. Hieraus entspringt die allbekannte stenographische
Unduldsamkeit, die schon förmlich zum Gespött geworden ist.

Bei solchen Verhältnissen ist es nicht verwunderlich, wenn Männer andern
Schlages an dem Treiben der Stenographenvereine keinen Gefallen finden und
ihr Interesse für die Sache erkalten küssen. Wie soll auch z. B. ein höherer
Beamter, der etwa gleichzeitig Offizier der Reserve ist, ohne sich bloßzustellen,
an Bercinssitzungeu teilnehmen, in denen Schreiber seines Gerichtes, Unteroffiziere


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[0626] Das Stenographieunwesen wie verdorbnes Bier, zum Unterricht wird alles gepreßt, was nur zu packen ist, denn auch im Gevatter Schneider und Handschuhmacher wird ein teures Haupt für die Statistik gewonnen. Es ist doch eine Tollheit, Arbeiter, Hand¬ werker, Kleinkrämer und andre Leute, die der Stenographie gar nicht bedürfen, die froh sind, wenn sie mit der gewöhnlichen Schrift einigermaßen umgehen können, mit der Stenographie zu behelligen. Halten sie wirklich beim Unter¬ richt aus, so mangelt ihnen doch die Gelegenheit zur Verwertung und Be¬ festigung des Gelernten. Sie treten den Stenographenvereinen bei und quälen sich dort, mit ihrer harten Hand ein schläfriges Diktat stenographisch aufs Papier zu malen. Solche Leute verschwenden mit der Stenographie ihre kost¬ bare Freizeit, die sie nutzbringend auf Erholung, Körperbewegung oder Lesen guter Bücher verwenden sollten. Das charakteristische Merkmal der Steno¬ graphenvereine aber ist das Vorherrschen der Subalternität. Sie überwiegt an Zahl, hat vielfach die Leitung an sich gebracht und drückt höhere Be¬ strebungen durch Widerstand oder Teilnahmlosigkeit an die Wand. Aus den Vereinsberichten einiger Fachblütter greifen wir folgende Berufsbezeich- nnngen von Vereinsgrößen aufs Geratewohl heraus: Vüreauassisteut, Diätist, Expedient, Werkmeister, Kontorist, Kopist, Registrator, Sekretär, Unteroffizier, Feldwebel, Kasscnassistent. Das ist der Typus der deutschen Stenographen- Vereine! Solche Männer stehen natürlich nicht über der Sache, die sie in den Vereinen vertreten, sondern werden von ihr beherrscht. Mir Höhergebildete ist die Stenographie einfach ein Werkzeug, das sie sich zur Förderung ihrer Zwecke dienstbar machen. Die Masse der Vereinsmitglieder kann sich aber nicht über die Sache erheben, sondern blickt zur Stenographie in die Höhe, wie zu etwas Großartigen und Ehrwürdigen. Hier findet man wahre Pracht¬ exemplare von Stenvgraphienarren. Einzelne Vereine bilden zwar rühmliche Ausnahmen und stehen durch ihre leitenden geistigen Kräfte im verdienten Ansehen. Diese Ausnahmen dienen jedoch nur zur Bestätigung der Regel, daß die Stenographenvereine im allgemeinen Tummelplätze der Gehaltlosigkeit und des Schwätzertums sind. Da werden große Worte gemacht, man debattirt mit viel Behagen über kleinliche Formalitäten und pflegt ein selbst¬ gefälliges Vergöttern desjenigen Stenographiesystems, das man durch irgend einen Zufall gerade gelernt hat, während über andre Systeme, von denen man selten etwas versteht, abfällige Urteile in fanatischer Weise geflissentlich in Umlauf gesetzt werden. Hieraus entspringt die allbekannte stenographische Unduldsamkeit, die schon förmlich zum Gespött geworden ist. Bei solchen Verhältnissen ist es nicht verwunderlich, wenn Männer andern Schlages an dem Treiben der Stenographenvereine keinen Gefallen finden und ihr Interesse für die Sache erkalten küssen. Wie soll auch z. B. ein höherer Beamter, der etwa gleichzeitig Offizier der Reserve ist, ohne sich bloßzustellen, an Bercinssitzungeu teilnehmen, in denen Schreiber seines Gerichtes, Unteroffiziere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/626>, abgerufen am 24.07.2024.