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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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GeschichtsphilosoMche Gedanken

schaftsbilder, die den Anwohner nicht in düsteres Brüten versinken lassen,
bestandig in innre Kampfe verwickelt, die zum Ersinner von allerlei Listen,
zur Ausbildung der Disputirfertigkeit zwangen, in häufiger Berührung mit
Fremden, die niemals in einem abgeschlossnen Vorstellungskreise zu erstarren
gestattete, durch alles dieses zusammengenommen zu großer Beweglichkeit
und Gewandtheit erzogen. Nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt, den Geist der
Humanität, wie wir das nennen, hervorgebracht und in Denkmälern und
Handschriften aufgespeichert hatten, da waren sie als eigenartiges Volk nicht
mehr nötig, und es wäre wiederum zweckwidrig gewesen, wenn sie die Kraft
gehabt hätten, Neubildungen zu verhindern, die ebenfalls im Plane der Vor¬
sehung lagen. Es galt, dem Christentum die Wiege zu bereiten, der Welt¬
religion eine Weltwiege. Zu diesem Zwecke mußte Alexander, in dessen Person
das von ihm besiegte Griechenvolk seinen höchsten Triumph feierte, griechische
Sprache und griechisches Wesen über den ganzen Orient verbreiten und jene
Verschmelzung der jüdischen Weltweisheit mit der christlichen anbahnen, die
dem Logos zu seiner Verkörperung die geeignete Materie darbot. Sodann
mußten alle Mittelmeerländer in einem Reiche vereinigt werden, dessen Pro¬
vinzen in guter Verbindung und lebhaftem Verkehr miteinander standen, sodaß
der raschen Verbreitung der neuen Lehre und Gemeinschaft kein Hindernis im
Wege stand. In die äußern Formen dieses Reiches endlich, nus dem die
Römer, die es geschaffen hatten, hinwegschwanden, mußte die neue Gemein¬
schaft hineinwachsen, um mit dem Panzer einer wohlgefügten Kirchenverfassung
verwahrt den Stürmen der Völkerwanderung trotzen und durch sie hindurch
nicht allein das Christentum, souderu alle Schätze der ältern Kultur in die
Zeiten der neuen hinüberretten zu können. Ohne die griechische Weltsprache,
die Verschmelzung des jüdischen Ideenkreises mit dem griechischen und das
römische Weltreich ist weder die christliche Kirche noch die moderne Kultur
denkbar. Was war es nun weiter für ein Unglück, daß die griechischen
Stätlein von Mazedonien und dann von Rom verschlungen wurden? Was
Hütte die Welt und was hätten die Griechen selbst davon gehabt, wenn nicht
ein Mazedonier, sondern ein Athener oder Spartaner ein Königreich Maze¬
donien gegründet hätte? Das eigentliche Griechenland wäre politisch auf alle
Fälle nur ein unbedeutendes Anhängsel davon gewesen; und seine Rolle als
Weltschulmeister hatte das Völkchen ausgespielt, sobald seine Bildung in der
Welt verbreitet war. Was fortan in dieser Hinsicht noch zu thun übrig blieb,
dazu waren nicht mehr seine Personen, sondern nur noch seine Werke nötig.
Die Personen lebten übrigens fort, und ihre Nachkommen leben hente noch.
Nicht wenige von ihnen leben sogar als Weinbauern und Ziegenhirten eine
ganz homerische Idylle, in alter Sitteneinfalt, Gastfreundschaft übend und
am Feierabend fröhliche Tänze aufführend; nur mit dem Unterschiede, daß sie
nicht mehr den Zeus und die Pallas Athene, sondern Gott Vater und die


Grcnzbvwl II. 1891 7g
GeschichtsphilosoMche Gedanken

schaftsbilder, die den Anwohner nicht in düsteres Brüten versinken lassen,
bestandig in innre Kampfe verwickelt, die zum Ersinner von allerlei Listen,
zur Ausbildung der Disputirfertigkeit zwangen, in häufiger Berührung mit
Fremden, die niemals in einem abgeschlossnen Vorstellungskreise zu erstarren
gestattete, durch alles dieses zusammengenommen zu großer Beweglichkeit
und Gewandtheit erzogen. Nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt, den Geist der
Humanität, wie wir das nennen, hervorgebracht und in Denkmälern und
Handschriften aufgespeichert hatten, da waren sie als eigenartiges Volk nicht
mehr nötig, und es wäre wiederum zweckwidrig gewesen, wenn sie die Kraft
gehabt hätten, Neubildungen zu verhindern, die ebenfalls im Plane der Vor¬
sehung lagen. Es galt, dem Christentum die Wiege zu bereiten, der Welt¬
religion eine Weltwiege. Zu diesem Zwecke mußte Alexander, in dessen Person
das von ihm besiegte Griechenvolk seinen höchsten Triumph feierte, griechische
Sprache und griechisches Wesen über den ganzen Orient verbreiten und jene
Verschmelzung der jüdischen Weltweisheit mit der christlichen anbahnen, die
dem Logos zu seiner Verkörperung die geeignete Materie darbot. Sodann
mußten alle Mittelmeerländer in einem Reiche vereinigt werden, dessen Pro¬
vinzen in guter Verbindung und lebhaftem Verkehr miteinander standen, sodaß
der raschen Verbreitung der neuen Lehre und Gemeinschaft kein Hindernis im
Wege stand. In die äußern Formen dieses Reiches endlich, nus dem die
Römer, die es geschaffen hatten, hinwegschwanden, mußte die neue Gemein¬
schaft hineinwachsen, um mit dem Panzer einer wohlgefügten Kirchenverfassung
verwahrt den Stürmen der Völkerwanderung trotzen und durch sie hindurch
nicht allein das Christentum, souderu alle Schätze der ältern Kultur in die
Zeiten der neuen hinüberretten zu können. Ohne die griechische Weltsprache,
die Verschmelzung des jüdischen Ideenkreises mit dem griechischen und das
römische Weltreich ist weder die christliche Kirche noch die moderne Kultur
denkbar. Was war es nun weiter für ein Unglück, daß die griechischen
Stätlein von Mazedonien und dann von Rom verschlungen wurden? Was
Hütte die Welt und was hätten die Griechen selbst davon gehabt, wenn nicht
ein Mazedonier, sondern ein Athener oder Spartaner ein Königreich Maze¬
donien gegründet hätte? Das eigentliche Griechenland wäre politisch auf alle
Fälle nur ein unbedeutendes Anhängsel davon gewesen; und seine Rolle als
Weltschulmeister hatte das Völkchen ausgespielt, sobald seine Bildung in der
Welt verbreitet war. Was fortan in dieser Hinsicht noch zu thun übrig blieb,
dazu waren nicht mehr seine Personen, sondern nur noch seine Werke nötig.
Die Personen lebten übrigens fort, und ihre Nachkommen leben hente noch.
Nicht wenige von ihnen leben sogar als Weinbauern und Ziegenhirten eine
ganz homerische Idylle, in alter Sitteneinfalt, Gastfreundschaft übend und
am Feierabend fröhliche Tänze aufführend; nur mit dem Unterschiede, daß sie
nicht mehr den Zeus und die Pallas Athene, sondern Gott Vater und die


Grcnzbvwl II. 1891 7g
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[0605] GeschichtsphilosoMche Gedanken schaftsbilder, die den Anwohner nicht in düsteres Brüten versinken lassen, bestandig in innre Kampfe verwickelt, die zum Ersinner von allerlei Listen, zur Ausbildung der Disputirfertigkeit zwangen, in häufiger Berührung mit Fremden, die niemals in einem abgeschlossnen Vorstellungskreise zu erstarren gestattete, durch alles dieses zusammengenommen zu großer Beweglichkeit und Gewandtheit erzogen. Nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt, den Geist der Humanität, wie wir das nennen, hervorgebracht und in Denkmälern und Handschriften aufgespeichert hatten, da waren sie als eigenartiges Volk nicht mehr nötig, und es wäre wiederum zweckwidrig gewesen, wenn sie die Kraft gehabt hätten, Neubildungen zu verhindern, die ebenfalls im Plane der Vor¬ sehung lagen. Es galt, dem Christentum die Wiege zu bereiten, der Welt¬ religion eine Weltwiege. Zu diesem Zwecke mußte Alexander, in dessen Person das von ihm besiegte Griechenvolk seinen höchsten Triumph feierte, griechische Sprache und griechisches Wesen über den ganzen Orient verbreiten und jene Verschmelzung der jüdischen Weltweisheit mit der christlichen anbahnen, die dem Logos zu seiner Verkörperung die geeignete Materie darbot. Sodann mußten alle Mittelmeerländer in einem Reiche vereinigt werden, dessen Pro¬ vinzen in guter Verbindung und lebhaftem Verkehr miteinander standen, sodaß der raschen Verbreitung der neuen Lehre und Gemeinschaft kein Hindernis im Wege stand. In die äußern Formen dieses Reiches endlich, nus dem die Römer, die es geschaffen hatten, hinwegschwanden, mußte die neue Gemein¬ schaft hineinwachsen, um mit dem Panzer einer wohlgefügten Kirchenverfassung verwahrt den Stürmen der Völkerwanderung trotzen und durch sie hindurch nicht allein das Christentum, souderu alle Schätze der ältern Kultur in die Zeiten der neuen hinüberretten zu können. Ohne die griechische Weltsprache, die Verschmelzung des jüdischen Ideenkreises mit dem griechischen und das römische Weltreich ist weder die christliche Kirche noch die moderne Kultur denkbar. Was war es nun weiter für ein Unglück, daß die griechischen Stätlein von Mazedonien und dann von Rom verschlungen wurden? Was Hütte die Welt und was hätten die Griechen selbst davon gehabt, wenn nicht ein Mazedonier, sondern ein Athener oder Spartaner ein Königreich Maze¬ donien gegründet hätte? Das eigentliche Griechenland wäre politisch auf alle Fälle nur ein unbedeutendes Anhängsel davon gewesen; und seine Rolle als Weltschulmeister hatte das Völkchen ausgespielt, sobald seine Bildung in der Welt verbreitet war. Was fortan in dieser Hinsicht noch zu thun übrig blieb, dazu waren nicht mehr seine Personen, sondern nur noch seine Werke nötig. Die Personen lebten übrigens fort, und ihre Nachkommen leben hente noch. Nicht wenige von ihnen leben sogar als Weinbauern und Ziegenhirten eine ganz homerische Idylle, in alter Sitteneinfalt, Gastfreundschaft übend und am Feierabend fröhliche Tänze aufführend; nur mit dem Unterschiede, daß sie nicht mehr den Zeus und die Pallas Athene, sondern Gott Vater und die Grcnzbvwl II. 1891 7g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/605>, abgerufen am 24.07.2024.