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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Schweizer Briefe aus der Revolutionszeit

der Offiziere, zumal im Vergleich mit den "französischen Beutelfchneidern und
Windmachern, die Generale heißen," und "bloß für Fressen" Unsummen ge¬
fordert haben, sich manches dreimal haben bezahlen lassen. Daß das Schweizer-
Volk mir ein Jahr lang nicht regiert, sondern zu regieren geschienen hat, hat
es in unendliche Labyrinthe gestürzt, daß es sich gar uicht mehr zu helfen
weiß. Ihm wäre bald jede Regierungsform recht, wenn sie nur mit Festig¬
keit gehandhabt würde. "Der verwünschte Raisonnirgeist hat alle Lust und
Kraft zum Gehorsam, zur Unterwerfung unter das Gesetz gelähmt und aus¬
gedorrt." Als Beispiel zitirt er ein allerdings köstliches Schriftstück, das
einige Bauern an den Erzherzog gerichtet hatten, und das sie "Morial"
nannten. Sie erklären ihm, kein Kontingent stellen zu wollen. "Fünfzig
Prügel einem jeden -- meint Müller -- wäre eine vernehmliche Antwort ge¬
wesen"; aber einer von den "Dapetirten" hat erzählt, sie seien zwar Rebellen
und Unruhstifter genannt, die ernsthafteste Züchtigung verdienten, doch übrigens
höflich und freundlich empfangen worden. Was die Trnppenstellnngen betrifft,
so rettet Glarus die schweizerische Ehre. Im allgemeinen aber herrscht die
größte Uneinigkeit. Es verlautet, daß "die Gemeine Herrschaften wieder
Landvögte erhalten sollen." Darüber sind Thurgau und Se. Galle" sehr
unruhig, und "es hat schon ernsthafte Austritte gegeben." Hingegen wünschen
Sargans, Uznnch n. a. wieder in ihre alten Verbindungen eintreten zu können.
"Zürich würde die alte Verfassung wohl wieder einführen, wenn nur uicht
wir das Beispiel gegeben hätten" u. s. w. Mitte August 1799 treffen die
ersten Russen ein. Sie gefallen den Schweizern nicht übel, nur plündern sie
in Gärten und Weinbergen alles unreife Obst. Bald folgen Klagen über den
General Korsatow, der roh und unbelehrbar und widerspenstig gegen die Be¬
fehle des Erzherzogs Karl ist. Mit den Offizieren kommt man aus, aber die
Offiziersbnrschen, die meistens vor den Thüren, auf dem nackten Boden schlafen
müssen, sind sehr unsauber, und man muß ihnen auf die Finger sehen.
Schwerer lastet auf dem Briefschreiber die Ahnung, daß der Zwist zwischen
den österreichischen und den russischen Führern und die Hindernisse, die dem
Erzherzog und angeblich auch dem zu ihm haltenden General Holze (einem
Schweizer von Geburt, der als Offizier der Reichsarmee bei Roßbach gefangen
in preußische Dienste, nach Kunersdorf in russische Dienste getreten und von
Joseph it. in österreichische gezogen worden war) vom Hofkriegsrate bereitet
werden, den Franzosen zu nutze sein werden. Die Wiedereroberung Zürichs
bestätigt das. ,,Die ganze russische Armee ist in der größten Verwirrung,
gänzlich geschlagen und gänzlich auf der Flucht, und die Alliirten haben keinen
Fuß breit mehr in der Schweiz. Durch wen das? Durch die allen Glauben
übersteigende Dummheit, Eigensinn oder Verräterei des verfluchten Kvrsakow."
Er giebt eine Menge von Einzelheiten als Beweise der Unfähigkeit dieses
Generals und zwar, wie er versichert, nnr verbürgte Thatsachen.


Schweizer Briefe aus der Revolutionszeit

der Offiziere, zumal im Vergleich mit den „französischen Beutelfchneidern und
Windmachern, die Generale heißen," und „bloß für Fressen" Unsummen ge¬
fordert haben, sich manches dreimal haben bezahlen lassen. Daß das Schweizer-
Volk mir ein Jahr lang nicht regiert, sondern zu regieren geschienen hat, hat
es in unendliche Labyrinthe gestürzt, daß es sich gar uicht mehr zu helfen
weiß. Ihm wäre bald jede Regierungsform recht, wenn sie nur mit Festig¬
keit gehandhabt würde. „Der verwünschte Raisonnirgeist hat alle Lust und
Kraft zum Gehorsam, zur Unterwerfung unter das Gesetz gelähmt und aus¬
gedorrt." Als Beispiel zitirt er ein allerdings köstliches Schriftstück, das
einige Bauern an den Erzherzog gerichtet hatten, und das sie „Morial"
nannten. Sie erklären ihm, kein Kontingent stellen zu wollen. „Fünfzig
Prügel einem jeden — meint Müller — wäre eine vernehmliche Antwort ge¬
wesen"; aber einer von den „Dapetirten" hat erzählt, sie seien zwar Rebellen
und Unruhstifter genannt, die ernsthafteste Züchtigung verdienten, doch übrigens
höflich und freundlich empfangen worden. Was die Trnppenstellnngen betrifft,
so rettet Glarus die schweizerische Ehre. Im allgemeinen aber herrscht die
größte Uneinigkeit. Es verlautet, daß „die Gemeine Herrschaften wieder
Landvögte erhalten sollen." Darüber sind Thurgau und Se. Galle» sehr
unruhig, und „es hat schon ernsthafte Austritte gegeben." Hingegen wünschen
Sargans, Uznnch n. a. wieder in ihre alten Verbindungen eintreten zu können.
„Zürich würde die alte Verfassung wohl wieder einführen, wenn nur uicht
wir das Beispiel gegeben hätten" u. s. w. Mitte August 1799 treffen die
ersten Russen ein. Sie gefallen den Schweizern nicht übel, nur plündern sie
in Gärten und Weinbergen alles unreife Obst. Bald folgen Klagen über den
General Korsatow, der roh und unbelehrbar und widerspenstig gegen die Be¬
fehle des Erzherzogs Karl ist. Mit den Offizieren kommt man aus, aber die
Offiziersbnrschen, die meistens vor den Thüren, auf dem nackten Boden schlafen
müssen, sind sehr unsauber, und man muß ihnen auf die Finger sehen.
Schwerer lastet auf dem Briefschreiber die Ahnung, daß der Zwist zwischen
den österreichischen und den russischen Führern und die Hindernisse, die dem
Erzherzog und angeblich auch dem zu ihm haltenden General Holze (einem
Schweizer von Geburt, der als Offizier der Reichsarmee bei Roßbach gefangen
in preußische Dienste, nach Kunersdorf in russische Dienste getreten und von
Joseph it. in österreichische gezogen worden war) vom Hofkriegsrate bereitet
werden, den Franzosen zu nutze sein werden. Die Wiedereroberung Zürichs
bestätigt das. ,,Die ganze russische Armee ist in der größten Verwirrung,
gänzlich geschlagen und gänzlich auf der Flucht, und die Alliirten haben keinen
Fuß breit mehr in der Schweiz. Durch wen das? Durch die allen Glauben
übersteigende Dummheit, Eigensinn oder Verräterei des verfluchten Kvrsakow."
Er giebt eine Menge von Einzelheiten als Beweise der Unfähigkeit dieses
Generals und zwar, wie er versichert, nnr verbürgte Thatsachen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/574>, abgerufen am 24.07.2024.