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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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sodami sey die Frage, ol, nicht bisweilen ein Wort ein die Gesetzgeber selbst
nöthig sein dürffte? ze. Habe aber noch keine Antwort." Hier wird ein Punkt
berührt, der much hente noch volle Beachtung verdient. Wer zum Volke reden
will, muß unter ihm leben oder doch gelebt haben. Darum haben die von
Kaplänen und die vou ehemalige" Arbeitern geschriebenen Blätter so großen
Einfluß. Jenes Unternehmen fiel denn auch schlecht aus. Pestalozzi schrieb
"einfältig und kindisch" u. s. w.

Bald darauf geraten die Brüder in starken Zwiespalt. Johannes hat
über das Einschreiten der Regierung gegen die Nnterwaldner nid dem Wald,
die sich von den Kapuzinern haben bestimmen lassen, den Eid auf die vorher
vou ihnen angenommene Verfassung zu verweigern, "einen entsetzlichen Brief"
geschrieben, den der Empfänger vernichtet hat, dessen Inhalt aber ans der
Antwort zu erkennen ist. Johann Georg stellt die Thorheit dar, daß kaum
8000 Seelen meinten, sich mit Erfolg gegen die französische Macht auflehnen
zu können, und den Widerstand fortsetzten, nachdem die Truppen die Ein¬
stellung der Feindseligkeiten verkündigt hatten. Dann erinnert er daran, daß
die Schweiz von allen Nachbarn im Stiche gelassen worden sei. "Ohne sich
zu rühren, hat man uns ABC bis A sagen lassen: nun wir auch das Z
sagen mußten, steht alles wider uns auf, und schreit über die Allianz als
über eine greuliche, unerhörte Handlung! Werden wir die letzten seyn, die
dieser Sturm ergreift??? Ich wünsche es mehr als ichs hoffe -- ich wünsche
es, damit doch irgendwo in Europa noch ein Land sey, wo eine, nicht ans
philosophischen Theorien, sondern auf Jahrtausend alte Erfahrungen gebaute
Staatsverfassung sey -- wärs auch blos, um historische Vergleichunge"
machen zu können!" Ruch später (23. November 1798) bemerkt er, "im
Schooß des Friedens, und in der sichern Beglaubigung, daß es im zweiten
Auftritte besser gehen werde, als im ersten -- läßt sich wohl so ruhig sein,
wie der Herr Bruder belieben." Er ist schon geneigt, um einen dreimaldreißig¬
jährigen Krieg zu glauben, etwa mit Unterbrechungen wie von der Refor¬
mation bis zum westfälischen Frieden. Und was er am 20. Februar 1799
über das Unheil schreibt, das verblendete, leichtgläubige Emigranten anrichten,
die glauben, daß "in diesem Winkel Europas das große Spiel sich entscheiden
werde," ist unverkennbar mit an die Adresse des Bruders in Wien gerichtet.

Während der Franzosenuot macht Johannes dem Bruder wiederholt das
Anerbieten, zu ihm zu kommen, aber das Pflichtgefühl des Patrioten hält
diesen zurück. Als dann die Österreicher eingerückt sind, atmet er auf. "Erz¬
herzog Carl (weiß man das Wohl in Wien?) -- schreibt er im Juni 1799 --
gewinnt, wo er hinkommt, alle Herzen mit seiner Freundlichkeit, Menschlich¬
keit und goldreiuem Edelmut. Sollte er sterben, oder von der Armee weg¬
kommen, so würde eine verlohrne Hauptschlacht kaum so üble Folgen haben --
das sagen alle Offiziers und alle Soldaten." Er rühmt auch dus Betragen


Grenzboten 11 1891 72

sodami sey die Frage, ol, nicht bisweilen ein Wort ein die Gesetzgeber selbst
nöthig sein dürffte? ze. Habe aber noch keine Antwort." Hier wird ein Punkt
berührt, der much hente noch volle Beachtung verdient. Wer zum Volke reden
will, muß unter ihm leben oder doch gelebt haben. Darum haben die von
Kaplänen und die vou ehemalige» Arbeitern geschriebenen Blätter so großen
Einfluß. Jenes Unternehmen fiel denn auch schlecht aus. Pestalozzi schrieb
„einfältig und kindisch" u. s. w.

Bald darauf geraten die Brüder in starken Zwiespalt. Johannes hat
über das Einschreiten der Regierung gegen die Nnterwaldner nid dem Wald,
die sich von den Kapuzinern haben bestimmen lassen, den Eid auf die vorher
vou ihnen angenommene Verfassung zu verweigern, „einen entsetzlichen Brief"
geschrieben, den der Empfänger vernichtet hat, dessen Inhalt aber ans der
Antwort zu erkennen ist. Johann Georg stellt die Thorheit dar, daß kaum
8000 Seelen meinten, sich mit Erfolg gegen die französische Macht auflehnen
zu können, und den Widerstand fortsetzten, nachdem die Truppen die Ein¬
stellung der Feindseligkeiten verkündigt hatten. Dann erinnert er daran, daß
die Schweiz von allen Nachbarn im Stiche gelassen worden sei. „Ohne sich
zu rühren, hat man uns ABC bis A sagen lassen: nun wir auch das Z
sagen mußten, steht alles wider uns auf, und schreit über die Allianz als
über eine greuliche, unerhörte Handlung! Werden wir die letzten seyn, die
dieser Sturm ergreift??? Ich wünsche es mehr als ichs hoffe — ich wünsche
es, damit doch irgendwo in Europa noch ein Land sey, wo eine, nicht ans
philosophischen Theorien, sondern auf Jahrtausend alte Erfahrungen gebaute
Staatsverfassung sey — wärs auch blos, um historische Vergleichunge»
machen zu können!" Ruch später (23. November 1798) bemerkt er, „im
Schooß des Friedens, und in der sichern Beglaubigung, daß es im zweiten
Auftritte besser gehen werde, als im ersten — läßt sich wohl so ruhig sein,
wie der Herr Bruder belieben." Er ist schon geneigt, um einen dreimaldreißig¬
jährigen Krieg zu glauben, etwa mit Unterbrechungen wie von der Refor¬
mation bis zum westfälischen Frieden. Und was er am 20. Februar 1799
über das Unheil schreibt, das verblendete, leichtgläubige Emigranten anrichten,
die glauben, daß „in diesem Winkel Europas das große Spiel sich entscheiden
werde," ist unverkennbar mit an die Adresse des Bruders in Wien gerichtet.

Während der Franzosenuot macht Johannes dem Bruder wiederholt das
Anerbieten, zu ihm zu kommen, aber das Pflichtgefühl des Patrioten hält
diesen zurück. Als dann die Österreicher eingerückt sind, atmet er auf. „Erz¬
herzog Carl (weiß man das Wohl in Wien?) — schreibt er im Juni 1799 —
gewinnt, wo er hinkommt, alle Herzen mit seiner Freundlichkeit, Menschlich¬
keit und goldreiuem Edelmut. Sollte er sterben, oder von der Armee weg¬
kommen, so würde eine verlohrne Hauptschlacht kaum so üble Folgen haben —
das sagen alle Offiziers und alle Soldaten." Er rühmt auch dus Betragen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/573>, abgerufen am 24.07.2024.