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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Schweizer Briefe aus der Revolutionszeit

zosen nach Ausrottung der Jakobiner "erst den wahren Enthusiasmus be¬
kommen" werden, und fragt, was die Schweiz bei einem Einbruch von 20
bis 30 000 Mann thun solle? "Wir sind nicht mehr in den Zeiten von
Sempach oder Murten, wo ein bis zwei Schlachten dem Krieg ein Ende
machten: Entweder zehren sie also das arme Land aus, oder wir müssen fremde
Truppen zu Hilfe rufen, nud die Schweiz wird der Kampfplatz zweier Armeen.
Ein größeres Unglück für uns konnte ich mir nicht gedenken. Oder sollen
die Schweizer in Frankreich einbrechen? (jun> xr-rstsxtu? Und was da thun?"
In einem Angriffskriege würden sich die ohnehin schwierigen Landleute schlecht
halten, bei der Verteidigung aber "xro u-ris se locis streiten nud sich respek¬
tabel genug machen." Wie in dieser Wendung, geht er auch mit einem "Votum"
von vier Punkten dem Bruder ein wenig satirisch zu Leibe. Er null die ent¬
lassenen Schweizer-Regimenter zur Besetzung der Grenze benutzt, strenge Neu-
tralität gehalten, denen, die bei den Emigrirten Dienste nehmen, das Bürger¬
recht aberkannt und gleichzeitig ein Manifest erlassen wissen, durch das jede
Verbindung mit den Jakobinern für Hochverrat erklärt werde.

Doch stören solche Meinungsverschiedenheiten das Einvernehmen der Brüder
nicht, und trotz der politischen Erregung teilen sie einander ihre Ansichten über
Bücher und Menschen mit, und Johann Georg ermüdet nicht, an die Fort¬
setzung der Geschichte der Schweiz zu mahnen. Er hat unverkennbar keine
rechte Freude an der sogenannten glänzenden Karriere des Bruders. Über
Fritz Dalberg, den schöngeistigen jüngern Bruder des spätern Primas n. s. w.,
urteilt er: "Ein geistvoller Schwäzer und gutmüthig. Übrigens nicht mein
Mann. . . . Seine Art hat etwas Geistiges, schwebendes, etwas Waukeudes
und so gar wenig Fürstliches." Über Georg Förster: "Ich traue den Schwimmern
in Empfindung, den Fliegern in Ideen immer weniger. Es ist nur Rauch,
nicht Feuer, nur Samkoru auf Felsen. Zweierlei Leute findet man allent¬
halben der Revolution günstig, 1. die Idealisten, 2. die Irreligiösen. Dies
ist so selbst unter dem Pöbel, und eben keine gute Pnrthie für die neue Sache."
Und über Matthisson: ,,M. ist doch ein äußerst wunderlicher, saurer, mi߬
vergnügter Mensch, so süß und lieblich anch seine Gedichte sind. Aber so
werden alle schönen Geister, die keine Ketten des Berufs tragen wollen."
Von dem "stets exaltirten" Baggesen hat er die verrückte Äußerung ver¬
nommen, er wünsche sich den süßen Tod, von der Spitze des Straßburger
Münsters in die Arme eines fühlenden Mädchens zu fallen. Johannes wünscht
Nachrichten über das Treiben ,,Meßmers" in Schaffhausen, den er einen Erz-
demvlraten und in seiner Religion ganz neufranzösisch nennt. Die Antwort
lautet dcchiu, Mesmer wolle von Demokratismus gar nichts wissen, und be¬
haupte, in Wien bloß darum in diesen Verdacht gekommen zu sein, weil sein
Hund sehr oft des Nachts gebellt habe, wenn jemand am Hause vorüberging,
"woraus man geschlossen, es seyen Leute im Haus, Clubisten u. s. w. . . .


Schweizer Briefe aus der Revolutionszeit

zosen nach Ausrottung der Jakobiner „erst den wahren Enthusiasmus be¬
kommen" werden, und fragt, was die Schweiz bei einem Einbruch von 20
bis 30 000 Mann thun solle? „Wir sind nicht mehr in den Zeiten von
Sempach oder Murten, wo ein bis zwei Schlachten dem Krieg ein Ende
machten: Entweder zehren sie also das arme Land aus, oder wir müssen fremde
Truppen zu Hilfe rufen, nud die Schweiz wird der Kampfplatz zweier Armeen.
Ein größeres Unglück für uns konnte ich mir nicht gedenken. Oder sollen
die Schweizer in Frankreich einbrechen? (jun> xr-rstsxtu? Und was da thun?"
In einem Angriffskriege würden sich die ohnehin schwierigen Landleute schlecht
halten, bei der Verteidigung aber „xro u-ris se locis streiten nud sich respek¬
tabel genug machen." Wie in dieser Wendung, geht er auch mit einem „Votum"
von vier Punkten dem Bruder ein wenig satirisch zu Leibe. Er null die ent¬
lassenen Schweizer-Regimenter zur Besetzung der Grenze benutzt, strenge Neu-
tralität gehalten, denen, die bei den Emigrirten Dienste nehmen, das Bürger¬
recht aberkannt und gleichzeitig ein Manifest erlassen wissen, durch das jede
Verbindung mit den Jakobinern für Hochverrat erklärt werde.

Doch stören solche Meinungsverschiedenheiten das Einvernehmen der Brüder
nicht, und trotz der politischen Erregung teilen sie einander ihre Ansichten über
Bücher und Menschen mit, und Johann Georg ermüdet nicht, an die Fort¬
setzung der Geschichte der Schweiz zu mahnen. Er hat unverkennbar keine
rechte Freude an der sogenannten glänzenden Karriere des Bruders. Über
Fritz Dalberg, den schöngeistigen jüngern Bruder des spätern Primas n. s. w.,
urteilt er: „Ein geistvoller Schwäzer und gutmüthig. Übrigens nicht mein
Mann. . . . Seine Art hat etwas Geistiges, schwebendes, etwas Waukeudes
und so gar wenig Fürstliches." Über Georg Förster: „Ich traue den Schwimmern
in Empfindung, den Fliegern in Ideen immer weniger. Es ist nur Rauch,
nicht Feuer, nur Samkoru auf Felsen. Zweierlei Leute findet man allent¬
halben der Revolution günstig, 1. die Idealisten, 2. die Irreligiösen. Dies
ist so selbst unter dem Pöbel, und eben keine gute Pnrthie für die neue Sache."
Und über Matthisson: ,,M. ist doch ein äußerst wunderlicher, saurer, mi߬
vergnügter Mensch, so süß und lieblich anch seine Gedichte sind. Aber so
werden alle schönen Geister, die keine Ketten des Berufs tragen wollen."
Von dem „stets exaltirten" Baggesen hat er die verrückte Äußerung ver¬
nommen, er wünsche sich den süßen Tod, von der Spitze des Straßburger
Münsters in die Arme eines fühlenden Mädchens zu fallen. Johannes wünscht
Nachrichten über das Treiben ,,Meßmers" in Schaffhausen, den er einen Erz-
demvlraten und in seiner Religion ganz neufranzösisch nennt. Die Antwort
lautet dcchiu, Mesmer wolle von Demokratismus gar nichts wissen, und be¬
haupte, in Wien bloß darum in diesen Verdacht gekommen zu sein, weil sein
Hund sehr oft des Nachts gebellt habe, wenn jemand am Hause vorüberging,
„woraus man geschlossen, es seyen Leute im Haus, Clubisten u. s. w. . . .


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[0570] Schweizer Briefe aus der Revolutionszeit zosen nach Ausrottung der Jakobiner „erst den wahren Enthusiasmus be¬ kommen" werden, und fragt, was die Schweiz bei einem Einbruch von 20 bis 30 000 Mann thun solle? „Wir sind nicht mehr in den Zeiten von Sempach oder Murten, wo ein bis zwei Schlachten dem Krieg ein Ende machten: Entweder zehren sie also das arme Land aus, oder wir müssen fremde Truppen zu Hilfe rufen, nud die Schweiz wird der Kampfplatz zweier Armeen. Ein größeres Unglück für uns konnte ich mir nicht gedenken. Oder sollen die Schweizer in Frankreich einbrechen? (jun> xr-rstsxtu? Und was da thun?" In einem Angriffskriege würden sich die ohnehin schwierigen Landleute schlecht halten, bei der Verteidigung aber „xro u-ris se locis streiten nud sich respek¬ tabel genug machen." Wie in dieser Wendung, geht er auch mit einem „Votum" von vier Punkten dem Bruder ein wenig satirisch zu Leibe. Er null die ent¬ lassenen Schweizer-Regimenter zur Besetzung der Grenze benutzt, strenge Neu- tralität gehalten, denen, die bei den Emigrirten Dienste nehmen, das Bürger¬ recht aberkannt und gleichzeitig ein Manifest erlassen wissen, durch das jede Verbindung mit den Jakobinern für Hochverrat erklärt werde. Doch stören solche Meinungsverschiedenheiten das Einvernehmen der Brüder nicht, und trotz der politischen Erregung teilen sie einander ihre Ansichten über Bücher und Menschen mit, und Johann Georg ermüdet nicht, an die Fort¬ setzung der Geschichte der Schweiz zu mahnen. Er hat unverkennbar keine rechte Freude an der sogenannten glänzenden Karriere des Bruders. Über Fritz Dalberg, den schöngeistigen jüngern Bruder des spätern Primas n. s. w., urteilt er: „Ein geistvoller Schwäzer und gutmüthig. Übrigens nicht mein Mann. . . . Seine Art hat etwas Geistiges, schwebendes, etwas Waukeudes und so gar wenig Fürstliches." Über Georg Förster: „Ich traue den Schwimmern in Empfindung, den Fliegern in Ideen immer weniger. Es ist nur Rauch, nicht Feuer, nur Samkoru auf Felsen. Zweierlei Leute findet man allent¬ halben der Revolution günstig, 1. die Idealisten, 2. die Irreligiösen. Dies ist so selbst unter dem Pöbel, und eben keine gute Pnrthie für die neue Sache." Und über Matthisson: ,,M. ist doch ein äußerst wunderlicher, saurer, mi߬ vergnügter Mensch, so süß und lieblich anch seine Gedichte sind. Aber so werden alle schönen Geister, die keine Ketten des Berufs tragen wollen." Von dem „stets exaltirten" Baggesen hat er die verrückte Äußerung ver¬ nommen, er wünsche sich den süßen Tod, von der Spitze des Straßburger Münsters in die Arme eines fühlenden Mädchens zu fallen. Johannes wünscht Nachrichten über das Treiben ,,Meßmers" in Schaffhausen, den er einen Erz- demvlraten und in seiner Religion ganz neufranzösisch nennt. Die Antwort lautet dcchiu, Mesmer wolle von Demokratismus gar nichts wissen, und be¬ haupte, in Wien bloß darum in diesen Verdacht gekommen zu sein, weil sein Hund sehr oft des Nachts gebellt habe, wenn jemand am Hause vorüberging, „woraus man geschlossen, es seyen Leute im Haus, Clubisten u. s. w. . . .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/570>, abgerufen am 24.07.2024.