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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Schweizer Briefe aus der Revolutionszeit

vor allem vor der Huldigung nichts zuzugestehen. Er seht aber, und dies
ist für ihn bezeichnend, hinzu: "Im übrigen, dieses unter uns. Das vor¬
gehende kannst dn vertrauten Herren wol sagen." Solcher Vorsicht befleißigt
er sich fast immer, wenn er die Vorgänge in der Schweiz, meistens etwas
von oben herab, beurteilt, und doch schützt sie ihn nicht vor gelegentlichen
Weiterungen, da er nicht blos; dem verschwiegenen Bruder seine Ratschläge
zukommen läßt. Im Mai 1790 schärft er dem Bruder von neuem ein, "nicht
nur als die beste Politik, sonder" selbst als ein Werk der Barmherzigkeit gegen
bethörte Unterthauen, aufrührerischen Geist nicht zu Kräften kommen zu lasse",
sondern durch überraschend schnelle Maaßregeln zu schrecken"; die Stadt müsse
den Mut zu züchtigen zeigen.

Ein lauger, uudatirter, aber offenbar in den Anfang des September 17!)2
(nach der Niedermetzelung der Schweizer Garden) zu setzender Brief, worin
Johannes das verhängnisvolle langsame Vorgehen der verbündeten Heere zu
rechtfertigen sucht, wird hier vervollständigt durch die Stellen über die Schweiz
wiedergegeben. Er wägt sehr bedächtig die Möglichkeiten ab, sieht die günsti¬
geren Folgen durchweg auf der Seite der Beteiligung der Schweiz um Kriege
gegen Frankreich, da ihr im Fall eines ungünstigen Atisfalles nicht viel
andres geschehen könne, als wenn "die Schweitzer stillgesessen haben," und
giebt schließlich sein Votum dahin ub, "1. die Franzosen itzt bloß anfznfvderu,
fördersamst alle unsere Regimenter sicher auf die Grciutze zu liefern, 2. nnter
dem Vorwand nöthiger Landwehre indessen alles zu rüste", und mit den großen
Höfen in el" Concert zu treten, um wenn es Zeit ist, loszubrechen, und
den Franzosen, seyn sie frey oder nicht, den helvetischen Namen respeetabel zu
machen. Hiebey -- setzt der Diplomat hinzu -- ist auch der Vorteil, daß, da
es sich ein paar Monate verziehet? würde, die Mächte den Willen sähen, wir
aber den Fortgang ihrer Waffen beurtheile"?, und nach diesem uus immer noch
benehmen könnte"." Neutralität wäre wohl das beste, allein die Franzose"
würden den Schweizern uur unter der Bedingung gestatten, neutral zu bleibe",
daß sie mit sich machen ließen, was jene wollten.

Darauf antwortet der gesunde Menschenverstand des Bruders. Johann
Georg ist nußer sich über die Ermordung von 120 Priestern. "Das ist Balles
frommer Wunsch: eine Republik von Atheisten! Das sind die Tvlerauz-
prediger! Die Jünger Rousseaus und Voltaires! . . . Und der ist um kein
Haar besser als sie, der noch ein Wort davou spricht, daß der Herzog spor
Brauuschweigj gegen die Freiheit zu Felde ziehe." Ihm erscheinen die in
Paris hiugeschlachteteu Garden wie ein "noch gnädiges Sühnopfer für die
Sünden, die der französische Dienst muss Vaterland ^die Schweiz! gebracht."
Dann aber wendet er sich sehr entschieden gegen den Gedanken, mit den Mächten
in ein Konzert zu treten und die Offensive zu ergreifen. Er erinnert an das
Sprichwort vom Kirschenessen mit großen Herren, sieht voraus, daß die Fran-


Schweizer Briefe aus der Revolutionszeit

vor allem vor der Huldigung nichts zuzugestehen. Er seht aber, und dies
ist für ihn bezeichnend, hinzu: „Im übrigen, dieses unter uns. Das vor¬
gehende kannst dn vertrauten Herren wol sagen." Solcher Vorsicht befleißigt
er sich fast immer, wenn er die Vorgänge in der Schweiz, meistens etwas
von oben herab, beurteilt, und doch schützt sie ihn nicht vor gelegentlichen
Weiterungen, da er nicht blos; dem verschwiegenen Bruder seine Ratschläge
zukommen läßt. Im Mai 1790 schärft er dem Bruder von neuem ein, „nicht
nur als die beste Politik, sonder» selbst als ein Werk der Barmherzigkeit gegen
bethörte Unterthauen, aufrührerischen Geist nicht zu Kräften kommen zu lasse»,
sondern durch überraschend schnelle Maaßregeln zu schrecken"; die Stadt müsse
den Mut zu züchtigen zeigen.

Ein lauger, uudatirter, aber offenbar in den Anfang des September 17!)2
(nach der Niedermetzelung der Schweizer Garden) zu setzender Brief, worin
Johannes das verhängnisvolle langsame Vorgehen der verbündeten Heere zu
rechtfertigen sucht, wird hier vervollständigt durch die Stellen über die Schweiz
wiedergegeben. Er wägt sehr bedächtig die Möglichkeiten ab, sieht die günsti¬
geren Folgen durchweg auf der Seite der Beteiligung der Schweiz um Kriege
gegen Frankreich, da ihr im Fall eines ungünstigen Atisfalles nicht viel
andres geschehen könne, als wenn „die Schweitzer stillgesessen haben," und
giebt schließlich sein Votum dahin ub, „1. die Franzosen itzt bloß anfznfvderu,
fördersamst alle unsere Regimenter sicher auf die Grciutze zu liefern, 2. nnter
dem Vorwand nöthiger Landwehre indessen alles zu rüste», und mit den großen
Höfen in el» Concert zu treten, um wenn es Zeit ist, loszubrechen, und
den Franzosen, seyn sie frey oder nicht, den helvetischen Namen respeetabel zu
machen. Hiebey — setzt der Diplomat hinzu — ist auch der Vorteil, daß, da
es sich ein paar Monate verziehet? würde, die Mächte den Willen sähen, wir
aber den Fortgang ihrer Waffen beurtheile«?, und nach diesem uus immer noch
benehmen könnte»." Neutralität wäre wohl das beste, allein die Franzose»
würden den Schweizern uur unter der Bedingung gestatten, neutral zu bleibe»,
daß sie mit sich machen ließen, was jene wollten.

Darauf antwortet der gesunde Menschenverstand des Bruders. Johann
Georg ist nußer sich über die Ermordung von 120 Priestern. „Das ist Balles
frommer Wunsch: eine Republik von Atheisten! Das sind die Tvlerauz-
prediger! Die Jünger Rousseaus und Voltaires! . . . Und der ist um kein
Haar besser als sie, der noch ein Wort davou spricht, daß der Herzog spor
Brauuschweigj gegen die Freiheit zu Felde ziehe." Ihm erscheinen die in
Paris hiugeschlachteteu Garden wie ein „noch gnädiges Sühnopfer für die
Sünden, die der französische Dienst muss Vaterland ^die Schweiz! gebracht."
Dann aber wendet er sich sehr entschieden gegen den Gedanken, mit den Mächten
in ein Konzert zu treten und die Offensive zu ergreifen. Er erinnert an das
Sprichwort vom Kirschenessen mit großen Herren, sieht voraus, daß die Fran-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/569>, abgerufen am 24.07.2024.