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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Ich bin nicht gerne um ihn, er macht mir todlange Zeit, besonders wenn er
vom Magnetismus redet, den ich gar nicht leiden mag." Er scheine in Paris
zum Charlatan geworden zu sein, "da es in dieser windichten Stadt ohne
dieses niemand glückt." Darauf folgt eine lange Abhandlung über den Ein¬
fluß der revolutionären Strömung auf das Studium der Theologie, die All¬
gemeine deutsche Bibliothek, die Wolfenbütteler Fragmente, Bahrdt, dessen
Schriften namentlich in Österreich verschlungen wurden: "und du weißt, wie
leicht der Übergang vom Catholieismus zu völligem Unglauben ist."

1796 rückt der Schweiz die Gefahr nahe. Die Tagsatzung hat allen
französischen Emigranten aufgetragen, bis zum 1. Oktober das Land zu
verlassen. Und so sehr Johann Georg die Einzelnen bedauert, möchte er doch
die Menge lieber in Australien als irgendwo in Europa sehen. Übermut,
Adelsstolz, Undankbarkeit seien eine unheilbare Krankheit dieser Leute, die die
erste und größte Schuld an der Revolution und dem verheerenden Kriege
trügen. Später hat er öfter Anlaß, über die schlimme Thätigkeit von
Emigranten bitter zu klagen, nämlich von den Schweizer:?, die ihr Vaterland
aus Furcht vor den Franzosen und vor staatlichen Neuerungen verlassen
haben und von außen her, schüren und konspiriren. Die Aussicht auf die
Republikauisirung Italiens macht ihm ernste Sorge. "Fällt der Papst, so
fällt bald anch der .Katholicismus, und füllt dieser, der in einem so großen
Theil der Welt das Christenthum noch einzig unter dem Volke erhält, wie viel
wird nicht mit ihm fallen. Denn es ist kein Luther da, der für das Zerstörte
sogleich etwas besseres geben könnte. Dies ist auch der große Unterschied
zwischen der damaligen Revolution und der jetzigen, die offt so ungeschickt
mit einander verglichen werden." Doch die von Frankreich drohende Gefahr
steht näher. Es scheint ihm zwar ein langer Bestand einer so großen
Demokratie gegen die menschliche Natur zu sein, aber niemand weiß, wie
der Zustand, vor dein ihm mehr graut, als vor der uneingeschränktesten
Monarchie, vorübergehen, ob "die gräßliche Nation mit ihren Wolfsklauen"
die Schweiz anfallen werde oder nicht. Eine Verfassung nach französischem
Muster, wie "der Ochs in Paris" (Peter Ochs, der spätere Direktor der
Helvetischen Republik) sie deu Schweizern aufdrängen wolle, würden sie nie
annehmen, und so bleibe uur vollständiger Sieg oder das Schicksal Hollands,
oder der Vendoe, schreibt er im Februar 1798. Aber die Schweiz ist durch¬
wühlt, Streber suchen in der Verwirrung ihren Vorteil ("Ich habe es schon
oft bemerkt, nichts macht die Menschen des ächten Patriotismus und anderer
Heldentugenden so unfähig, als die Eitelkeit"), und die Prophezeiung in
dem früher erwähnten Briefe geht in Erfüllung, das Land wird der Kampf¬
platz für fremde Nationen. In Aarau herrschen die Bauern, und zwar so,
daß Müller seufzt, er Hütte nimmermehr geglaubt, daß der schweizerische
Geradsinn in so gar kurzer Zeit von der gallikanischen Phraseologie verdrängt


Ich bin nicht gerne um ihn, er macht mir todlange Zeit, besonders wenn er
vom Magnetismus redet, den ich gar nicht leiden mag." Er scheine in Paris
zum Charlatan geworden zu sein, „da es in dieser windichten Stadt ohne
dieses niemand glückt." Darauf folgt eine lange Abhandlung über den Ein¬
fluß der revolutionären Strömung auf das Studium der Theologie, die All¬
gemeine deutsche Bibliothek, die Wolfenbütteler Fragmente, Bahrdt, dessen
Schriften namentlich in Österreich verschlungen wurden: „und du weißt, wie
leicht der Übergang vom Catholieismus zu völligem Unglauben ist."

1796 rückt der Schweiz die Gefahr nahe. Die Tagsatzung hat allen
französischen Emigranten aufgetragen, bis zum 1. Oktober das Land zu
verlassen. Und so sehr Johann Georg die Einzelnen bedauert, möchte er doch
die Menge lieber in Australien als irgendwo in Europa sehen. Übermut,
Adelsstolz, Undankbarkeit seien eine unheilbare Krankheit dieser Leute, die die
erste und größte Schuld an der Revolution und dem verheerenden Kriege
trügen. Später hat er öfter Anlaß, über die schlimme Thätigkeit von
Emigranten bitter zu klagen, nämlich von den Schweizer:?, die ihr Vaterland
aus Furcht vor den Franzosen und vor staatlichen Neuerungen verlassen
haben und von außen her, schüren und konspiriren. Die Aussicht auf die
Republikauisirung Italiens macht ihm ernste Sorge. „Fällt der Papst, so
fällt bald anch der .Katholicismus, und füllt dieser, der in einem so großen
Theil der Welt das Christenthum noch einzig unter dem Volke erhält, wie viel
wird nicht mit ihm fallen. Denn es ist kein Luther da, der für das Zerstörte
sogleich etwas besseres geben könnte. Dies ist auch der große Unterschied
zwischen der damaligen Revolution und der jetzigen, die offt so ungeschickt
mit einander verglichen werden." Doch die von Frankreich drohende Gefahr
steht näher. Es scheint ihm zwar ein langer Bestand einer so großen
Demokratie gegen die menschliche Natur zu sein, aber niemand weiß, wie
der Zustand, vor dein ihm mehr graut, als vor der uneingeschränktesten
Monarchie, vorübergehen, ob „die gräßliche Nation mit ihren Wolfsklauen"
die Schweiz anfallen werde oder nicht. Eine Verfassung nach französischem
Muster, wie „der Ochs in Paris" (Peter Ochs, der spätere Direktor der
Helvetischen Republik) sie deu Schweizern aufdrängen wolle, würden sie nie
annehmen, und so bleibe uur vollständiger Sieg oder das Schicksal Hollands,
oder der Vendoe, schreibt er im Februar 1798. Aber die Schweiz ist durch¬
wühlt, Streber suchen in der Verwirrung ihren Vorteil („Ich habe es schon
oft bemerkt, nichts macht die Menschen des ächten Patriotismus und anderer
Heldentugenden so unfähig, als die Eitelkeit"), und die Prophezeiung in
dem früher erwähnten Briefe geht in Erfüllung, das Land wird der Kampf¬
platz für fremde Nationen. In Aarau herrschen die Bauern, und zwar so,
daß Müller seufzt, er Hütte nimmermehr geglaubt, daß der schweizerische
Geradsinn in so gar kurzer Zeit von der gallikanischen Phraseologie verdrängt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/571>, abgerufen am 24.07.2024.