Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
l)amerli"g der Philosoph

sagen, der andre und wir selbst seien einnnddasselbe Wesen. Ich begreife
nicht, wie geistreiche Leute Schopenhauer immer noch diesen Unsinn nach¬
sprechen können. Wenn sie damit Ernst machen wollen, müssen sie doch vor
allem Vegetarianer werden und im Benehmen gegen die Tiere alle Abge¬
schmacktheiten der Inder mitmachen. Aber anch abgesehen von der Notwendig¬
keit, die bisherigen Pflichten gegen die Menschen ans die Tiere und vielleicht
anch auf die Pflanzen, Steine und Gase auszudehnen (sodnß der Chemiker
als Frevler erscheinen würde, der Atome anseinander reißt, die sich liebend
suchen, und solche, die sich fliehen, an einander fesselt), ist es gar nicht wahr,
daß die Wesensidentität mit der Moral irgend etwas zu schaffen habe.

Auf die Gefahr hin, den Grenzboten eine Denunziation des Tierschutz¬
vereins und mir den Ruf eines Kannibalen zuzuziehen, will ich ein Geständnis
ablegen. Ich esse jede Woche ein paarmal Ochsen- und Schweinefleisch, habe
also ziemlich viel Atome im Leibe, die früher Ochsen und Schweinen angehört
haben; mithin besteht ein ziemlich hoher Grad der leiblichen Wesenseinheit
zwischen mir und den besagten beiden Klassen von Tierbrüderu. Dennoch
empfinde ich etwas dergleichen wie Zuneigung weder zu den Schweinen noch
zu den Ochsen, und wenn ich sehe, wie beim Schlachten nicht allzusanft mit
ihnen verfahren wird, so fühle ich -- nun kommt das kannibalische -- weder
Mitleid mit ihnen, noch Unwillen gegen die rohen Schlächter, sondern ich
denke: Dieses Vieh hats zeitlebens gutgehabt, warum soll es nicht vor seinem
Tode wenigstens fünf Minuten lang auch einmal das Elend des Daseins
kosten? Und die Fleischergeselleu betrachte ich als Werkzeug!! der ausgleichenden
Gerechtigkeit. Dagegen empört mich jede Mißhandlung eines Pferdes im
tiefsten Innern, obwohl ich niemals Pferdefleisch esse, ja den Genuß von
Pferdefleisch für eine barbarische Roheit erkläre, weil das Pferd dem, Menschen
geistig und kameradschaftlich so nahe steht, daß die Verwendung des Pferdes
als Nahrungsmittel halbe Menschenfresserei ist. Ein Tier nun, das seine
ganze Lebenszeit im Dienste des Menschen verbringt, das bei vernünftiger Be¬
handlung jedem seiner Winke gehorcht, und das so viel Verstand und feine
Empfindung zeigt, ein solches Tier anch noch mißhandeln, das ist in der That
abscheulich. Man sieht also, daß ich allerdings den Pflichtenkreis auch ans die Tiere
ausdehne, aber nur auf die höhern Tiere, und nicht deswegen, weil wir Menschen
mit ihnen im Stoffwechsel stehen, oder weil unsre und ihre Atome vielleicht Lebens-
äußerungen desselben Weltwcseus sind, sondern weil sie ein dein unsern ähn¬
liches Seelenleben haben und uns als Arbeitsgehilfen oder sonstwie nahe
stehen. Die Frage nach der Wesensidentität der Körperatome und der Seelen
hat lediglich ein theoretisches Interesse; auf die Empfindung und das sittliche
Verhalten übt die Art ihrer Beantwortung keinen Einfluß. Auch halte ich
folgende Sätze Feuerbachs für falsch, die Hmnerling in demselben Zusammenhange
lobend anführt: "Die Liebe ist nichts andres, als die Bethätigung der Einheit


l)amerli»g der Philosoph

sagen, der andre und wir selbst seien einnnddasselbe Wesen. Ich begreife
nicht, wie geistreiche Leute Schopenhauer immer noch diesen Unsinn nach¬
sprechen können. Wenn sie damit Ernst machen wollen, müssen sie doch vor
allem Vegetarianer werden und im Benehmen gegen die Tiere alle Abge¬
schmacktheiten der Inder mitmachen. Aber anch abgesehen von der Notwendig¬
keit, die bisherigen Pflichten gegen die Menschen ans die Tiere und vielleicht
anch auf die Pflanzen, Steine und Gase auszudehnen (sodnß der Chemiker
als Frevler erscheinen würde, der Atome anseinander reißt, die sich liebend
suchen, und solche, die sich fliehen, an einander fesselt), ist es gar nicht wahr,
daß die Wesensidentität mit der Moral irgend etwas zu schaffen habe.

Auf die Gefahr hin, den Grenzboten eine Denunziation des Tierschutz¬
vereins und mir den Ruf eines Kannibalen zuzuziehen, will ich ein Geständnis
ablegen. Ich esse jede Woche ein paarmal Ochsen- und Schweinefleisch, habe
also ziemlich viel Atome im Leibe, die früher Ochsen und Schweinen angehört
haben; mithin besteht ein ziemlich hoher Grad der leiblichen Wesenseinheit
zwischen mir und den besagten beiden Klassen von Tierbrüderu. Dennoch
empfinde ich etwas dergleichen wie Zuneigung weder zu den Schweinen noch
zu den Ochsen, und wenn ich sehe, wie beim Schlachten nicht allzusanft mit
ihnen verfahren wird, so fühle ich — nun kommt das kannibalische — weder
Mitleid mit ihnen, noch Unwillen gegen die rohen Schlächter, sondern ich
denke: Dieses Vieh hats zeitlebens gutgehabt, warum soll es nicht vor seinem
Tode wenigstens fünf Minuten lang auch einmal das Elend des Daseins
kosten? Und die Fleischergeselleu betrachte ich als Werkzeug!! der ausgleichenden
Gerechtigkeit. Dagegen empört mich jede Mißhandlung eines Pferdes im
tiefsten Innern, obwohl ich niemals Pferdefleisch esse, ja den Genuß von
Pferdefleisch für eine barbarische Roheit erkläre, weil das Pferd dem, Menschen
geistig und kameradschaftlich so nahe steht, daß die Verwendung des Pferdes
als Nahrungsmittel halbe Menschenfresserei ist. Ein Tier nun, das seine
ganze Lebenszeit im Dienste des Menschen verbringt, das bei vernünftiger Be¬
handlung jedem seiner Winke gehorcht, und das so viel Verstand und feine
Empfindung zeigt, ein solches Tier anch noch mißhandeln, das ist in der That
abscheulich. Man sieht also, daß ich allerdings den Pflichtenkreis auch ans die Tiere
ausdehne, aber nur auf die höhern Tiere, und nicht deswegen, weil wir Menschen
mit ihnen im Stoffwechsel stehen, oder weil unsre und ihre Atome vielleicht Lebens-
äußerungen desselben Weltwcseus sind, sondern weil sie ein dein unsern ähn¬
liches Seelenleben haben und uns als Arbeitsgehilfen oder sonstwie nahe
stehen. Die Frage nach der Wesensidentität der Körperatome und der Seelen
hat lediglich ein theoretisches Interesse; auf die Empfindung und das sittliche
Verhalten übt die Art ihrer Beantwortung keinen Einfluß. Auch halte ich
folgende Sätze Feuerbachs für falsch, die Hmnerling in demselben Zusammenhange
lobend anführt: „Die Liebe ist nichts andres, als die Bethätigung der Einheit


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0487" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210354"/>
          <fw type="header" place="top"> l)amerli»g der Philosoph</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1349" prev="#ID_1348"> sagen, der andre und wir selbst seien einnnddasselbe Wesen. Ich begreife<lb/>
nicht, wie geistreiche Leute Schopenhauer immer noch diesen Unsinn nach¬<lb/>
sprechen können. Wenn sie damit Ernst machen wollen, müssen sie doch vor<lb/>
allem Vegetarianer werden und im Benehmen gegen die Tiere alle Abge¬<lb/>
schmacktheiten der Inder mitmachen. Aber anch abgesehen von der Notwendig¬<lb/>
keit, die bisherigen Pflichten gegen die Menschen ans die Tiere und vielleicht<lb/>
anch auf die Pflanzen, Steine und Gase auszudehnen (sodnß der Chemiker<lb/>
als Frevler erscheinen würde, der Atome anseinander reißt, die sich liebend<lb/>
suchen, und solche, die sich fliehen, an einander fesselt), ist es gar nicht wahr,<lb/>
daß die Wesensidentität mit der Moral irgend etwas zu schaffen habe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1350" next="#ID_1351"> Auf die Gefahr hin, den Grenzboten eine Denunziation des Tierschutz¬<lb/>
vereins und mir den Ruf eines Kannibalen zuzuziehen, will ich ein Geständnis<lb/>
ablegen. Ich esse jede Woche ein paarmal Ochsen- und Schweinefleisch, habe<lb/>
also ziemlich viel Atome im Leibe, die früher Ochsen und Schweinen angehört<lb/>
haben; mithin besteht ein ziemlich hoher Grad der leiblichen Wesenseinheit<lb/>
zwischen mir und den besagten beiden Klassen von Tierbrüderu. Dennoch<lb/>
empfinde ich etwas dergleichen wie Zuneigung weder zu den Schweinen noch<lb/>
zu den Ochsen, und wenn ich sehe, wie beim Schlachten nicht allzusanft mit<lb/>
ihnen verfahren wird, so fühle ich &#x2014; nun kommt das kannibalische &#x2014; weder<lb/>
Mitleid mit ihnen, noch Unwillen gegen die rohen Schlächter, sondern ich<lb/>
denke: Dieses Vieh hats zeitlebens gutgehabt, warum soll es nicht vor seinem<lb/>
Tode wenigstens fünf Minuten lang auch einmal das Elend des Daseins<lb/>
kosten? Und die Fleischergeselleu betrachte ich als Werkzeug!! der ausgleichenden<lb/>
Gerechtigkeit. Dagegen empört mich jede Mißhandlung eines Pferdes im<lb/>
tiefsten Innern, obwohl ich niemals Pferdefleisch esse, ja den Genuß von<lb/>
Pferdefleisch für eine barbarische Roheit erkläre, weil das Pferd dem, Menschen<lb/>
geistig und kameradschaftlich so nahe steht, daß die Verwendung des Pferdes<lb/>
als Nahrungsmittel halbe Menschenfresserei ist. Ein Tier nun, das seine<lb/>
ganze Lebenszeit im Dienste des Menschen verbringt, das bei vernünftiger Be¬<lb/>
handlung jedem seiner Winke gehorcht, und das so viel Verstand und feine<lb/>
Empfindung zeigt, ein solches Tier anch noch mißhandeln, das ist in der That<lb/>
abscheulich. Man sieht also, daß ich allerdings den Pflichtenkreis auch ans die Tiere<lb/>
ausdehne, aber nur auf die höhern Tiere, und nicht deswegen, weil wir Menschen<lb/>
mit ihnen im Stoffwechsel stehen, oder weil unsre und ihre Atome vielleicht Lebens-<lb/>
äußerungen desselben Weltwcseus sind, sondern weil sie ein dein unsern ähn¬<lb/>
liches Seelenleben haben und uns als Arbeitsgehilfen oder sonstwie nahe<lb/>
stehen. Die Frage nach der Wesensidentität der Körperatome und der Seelen<lb/>
hat lediglich ein theoretisches Interesse; auf die Empfindung und das sittliche<lb/>
Verhalten übt die Art ihrer Beantwortung keinen Einfluß. Auch halte ich<lb/>
folgende Sätze Feuerbachs für falsch, die Hmnerling in demselben Zusammenhange<lb/>
lobend anführt: &#x201E;Die Liebe ist nichts andres, als die Bethätigung der Einheit</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0487] l)amerli»g der Philosoph sagen, der andre und wir selbst seien einnnddasselbe Wesen. Ich begreife nicht, wie geistreiche Leute Schopenhauer immer noch diesen Unsinn nach¬ sprechen können. Wenn sie damit Ernst machen wollen, müssen sie doch vor allem Vegetarianer werden und im Benehmen gegen die Tiere alle Abge¬ schmacktheiten der Inder mitmachen. Aber anch abgesehen von der Notwendig¬ keit, die bisherigen Pflichten gegen die Menschen ans die Tiere und vielleicht anch auf die Pflanzen, Steine und Gase auszudehnen (sodnß der Chemiker als Frevler erscheinen würde, der Atome anseinander reißt, die sich liebend suchen, und solche, die sich fliehen, an einander fesselt), ist es gar nicht wahr, daß die Wesensidentität mit der Moral irgend etwas zu schaffen habe. Auf die Gefahr hin, den Grenzboten eine Denunziation des Tierschutz¬ vereins und mir den Ruf eines Kannibalen zuzuziehen, will ich ein Geständnis ablegen. Ich esse jede Woche ein paarmal Ochsen- und Schweinefleisch, habe also ziemlich viel Atome im Leibe, die früher Ochsen und Schweinen angehört haben; mithin besteht ein ziemlich hoher Grad der leiblichen Wesenseinheit zwischen mir und den besagten beiden Klassen von Tierbrüderu. Dennoch empfinde ich etwas dergleichen wie Zuneigung weder zu den Schweinen noch zu den Ochsen, und wenn ich sehe, wie beim Schlachten nicht allzusanft mit ihnen verfahren wird, so fühle ich — nun kommt das kannibalische — weder Mitleid mit ihnen, noch Unwillen gegen die rohen Schlächter, sondern ich denke: Dieses Vieh hats zeitlebens gutgehabt, warum soll es nicht vor seinem Tode wenigstens fünf Minuten lang auch einmal das Elend des Daseins kosten? Und die Fleischergeselleu betrachte ich als Werkzeug!! der ausgleichenden Gerechtigkeit. Dagegen empört mich jede Mißhandlung eines Pferdes im tiefsten Innern, obwohl ich niemals Pferdefleisch esse, ja den Genuß von Pferdefleisch für eine barbarische Roheit erkläre, weil das Pferd dem, Menschen geistig und kameradschaftlich so nahe steht, daß die Verwendung des Pferdes als Nahrungsmittel halbe Menschenfresserei ist. Ein Tier nun, das seine ganze Lebenszeit im Dienste des Menschen verbringt, das bei vernünftiger Be¬ handlung jedem seiner Winke gehorcht, und das so viel Verstand und feine Empfindung zeigt, ein solches Tier anch noch mißhandeln, das ist in der That abscheulich. Man sieht also, daß ich allerdings den Pflichtenkreis auch ans die Tiere ausdehne, aber nur auf die höhern Tiere, und nicht deswegen, weil wir Menschen mit ihnen im Stoffwechsel stehen, oder weil unsre und ihre Atome vielleicht Lebens- äußerungen desselben Weltwcseus sind, sondern weil sie ein dein unsern ähn¬ liches Seelenleben haben und uns als Arbeitsgehilfen oder sonstwie nahe stehen. Die Frage nach der Wesensidentität der Körperatome und der Seelen hat lediglich ein theoretisches Interesse; auf die Empfindung und das sittliche Verhalten übt die Art ihrer Beantwortung keinen Einfluß. Auch halte ich folgende Sätze Feuerbachs für falsch, die Hmnerling in demselben Zusammenhange lobend anführt: „Die Liebe ist nichts andres, als die Bethätigung der Einheit

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/487
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/487>, abgerufen am 24.07.2024.