Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.Hamerling der Philosoph der Gattung. Die GatKmg ist es, die mir Liebe einflößt. El" liebevolles Können wir auch die Weltansicht Hamerlings gerade in den wesentlichsten Das Buch liest sich von Anfang bis zu Ende angenehm und erhält den Hamerling der Philosoph der Gattung. Die GatKmg ist es, die mir Liebe einflößt. El» liebevolles Können wir auch die Weltansicht Hamerlings gerade in den wesentlichsten Das Buch liest sich von Anfang bis zu Ende angenehm und erhält den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0488" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210355"/> <fw type="header" place="top"> Hamerling der Philosoph</fw><lb/> <p xml:id="ID_1351" prev="#ID_1350"> der Gattung. Die GatKmg ist es, die mir Liebe einflößt. El» liebevolles<lb/> Herz ist das Herz der Gattung. Das persönliche Wesen nur als Persönliches<lb/> liebt nicht; es ist mir ausscheidend und abstoßend; die Person streng gefaßt<lb/> als Person kann nur hassen, trennen, entzweien." Gerade umgekehrt kann<lb/> ich nur lieben als Person, die Liebe hat eine» Sinn nnr, so weit der, den<lb/> ich liebe, ein andrer ist als ich. In jenem pflanzen- oder polypenartigen<lb/> Znsannnenhängen mit andern, wie es sich in Familien und Sippen zeigt, be¬<lb/> steht keineswegs die höchste Blüte des Lebens, vielmehr ist das, als erweiterte<lb/> und veredelte Selbstsucht, erst ihr Anfang.</p><lb/> <p xml:id="ID_1352"> Können wir auch die Weltansicht Hamerlings gerade in den wesentlichsten<lb/> Punkten nicht teilen, so hat er doch dnrch die Art und Weise, wie er sie dar¬<lb/> stellt und begründet, aufs neue unsre Zuneigung und Hochschntznng gewonnen,<lb/> denn auch hier offenbart er seine gesunde, heitere Natur, sein zartes und edles<lb/> Gemüt, seine ehrliche, unerschrockene Wahrheitsliebe. Wollten wir auf seine<lb/> Naturphilosophie eingehen, so würden wir in den meisten Stücken unsre Über¬<lb/> einstimmung mit ihm bezeugen müssen. Wir Pflichten sowohl seiner Atomistik<lb/> bei, die der von Lotze sehr nahe verwandt ist, wie der Bedeutung, die er der<lb/> Polarität beimißt. Seine kecke Kritik hergebrachter physikalischer Lehrsätze<lb/> wirkt ungemein erfrischend und verdient von den Vertretern der Naturwissen-<lb/> schaft reiflich erwogen zu werden. So z. B. bestreitet er mit einleuchtenden<lb/> Gründen das Gesetz der Trägheit und sagt über den Luftdruck sehr gut: „Daß<lb/> die Moleküle unsers Leibes durch den ans uns lastenden ungeheuern Luftdruck<lb/> deshalb uicht zermalmt werden, weil die von allen Seiten her einwirkenden<lb/> Druckkräfte der Atmosphäre sich wechselseitig das Gleichgewicht halten, mag<lb/> richtig sein, aber der Ausdruck ist uicht klar. Deal ein Gegenstand, der sich<lb/> zwischen gleichen und entgegengesetzt wirkenden Druckkräften befindet, wird, so<lb/> viel ich weiß, zerquetscht."</p><lb/> <p xml:id="ID_1353"> Das Buch liest sich von Anfang bis zu Ende angenehm und erhält den<lb/> Leser sogar in Spannung. Daß der Ausdruck hie und da uicht ganz ein-<lb/> wandfrei ist, erklärt sich zur Genüge aus dein körperlichen Zustande des Ver¬<lb/> fassers und daraus, daß es dem Verfasser nicht vergönnt war, die letzte Hand<lb/> an sein Werk zu legen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0488]
Hamerling der Philosoph
der Gattung. Die GatKmg ist es, die mir Liebe einflößt. El» liebevolles
Herz ist das Herz der Gattung. Das persönliche Wesen nur als Persönliches
liebt nicht; es ist mir ausscheidend und abstoßend; die Person streng gefaßt
als Person kann nur hassen, trennen, entzweien." Gerade umgekehrt kann
ich nur lieben als Person, die Liebe hat eine» Sinn nnr, so weit der, den
ich liebe, ein andrer ist als ich. In jenem pflanzen- oder polypenartigen
Znsannnenhängen mit andern, wie es sich in Familien und Sippen zeigt, be¬
steht keineswegs die höchste Blüte des Lebens, vielmehr ist das, als erweiterte
und veredelte Selbstsucht, erst ihr Anfang.
Können wir auch die Weltansicht Hamerlings gerade in den wesentlichsten
Punkten nicht teilen, so hat er doch dnrch die Art und Weise, wie er sie dar¬
stellt und begründet, aufs neue unsre Zuneigung und Hochschntznng gewonnen,
denn auch hier offenbart er seine gesunde, heitere Natur, sein zartes und edles
Gemüt, seine ehrliche, unerschrockene Wahrheitsliebe. Wollten wir auf seine
Naturphilosophie eingehen, so würden wir in den meisten Stücken unsre Über¬
einstimmung mit ihm bezeugen müssen. Wir Pflichten sowohl seiner Atomistik
bei, die der von Lotze sehr nahe verwandt ist, wie der Bedeutung, die er der
Polarität beimißt. Seine kecke Kritik hergebrachter physikalischer Lehrsätze
wirkt ungemein erfrischend und verdient von den Vertretern der Naturwissen-
schaft reiflich erwogen zu werden. So z. B. bestreitet er mit einleuchtenden
Gründen das Gesetz der Trägheit und sagt über den Luftdruck sehr gut: „Daß
die Moleküle unsers Leibes durch den ans uns lastenden ungeheuern Luftdruck
deshalb uicht zermalmt werden, weil die von allen Seiten her einwirkenden
Druckkräfte der Atmosphäre sich wechselseitig das Gleichgewicht halten, mag
richtig sein, aber der Ausdruck ist uicht klar. Deal ein Gegenstand, der sich
zwischen gleichen und entgegengesetzt wirkenden Druckkräften befindet, wird, so
viel ich weiß, zerquetscht."
Das Buch liest sich von Anfang bis zu Ende angenehm und erhält den
Leser sogar in Spannung. Daß der Ausdruck hie und da uicht ganz ein-
wandfrei ist, erklärt sich zur Genüge aus dein körperlichen Zustande des Ver¬
fassers und daraus, daß es dem Verfasser nicht vergönnt war, die letzte Hand
an sein Werk zu legen.
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