Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Aussprache des Altgriechische"

ein sich, dein Gewühlten an sich festhalten. Die Leidenschaftlichkeit, mit der
im Reichstage und im preußischen Landtage Bismarcks Plan mit einem Volks-
wirtschaftsrate bekämpft wurde, zeigte aufs deutlichste die Vefaugenheit in den
alten Vorstellungen und die Furcht der gewerbsmäßigen Politiker vor Leuten,
die vielleicht wenig von hoher Politik, desto mehr aber von bestimmten Partien
des praktischen Lebens verstehen. Mit sich selbst in Widerspruch geratend be¬
haupteten die Redner, in den Parlamenten säßen ja auch Fachmänner in ge¬
nügender Zahl. Diese Behauptung würde aber eine genaue Untersuchung
wohl kaum irgendwo bestätigen, und sollte sie in einem Falle zutreffen, so
wäre das nur dein Zufall zu verdanken, da die Betreffenden doch nicht in
ihrer Eigenschaft als Fachmänner, sondern als Anhänger einer politischen Partei
gewählt worden wären. Und abgesehen hiervon ist es ja eine große Selbst¬
täuschung, wenn irgend jemand sich frei glaubt von allen Sonderiuteressen,
wäre es schließlich auch nur das Interesse, wiedergewählt zu werden. Wie
viel kürzer würden die Sessionen sein, wenn nur zur Sache, nur für die Ver¬
sammlung gesprochen würde und nicht für die Partei, für die Wähler, für die
Zeitung! Klarer und einfacher lägen die Verhältnisse auf jeden Fall, wenn
die Abgeordneten die Vertreter ihrer Standes- und Verufsgeiwsseu würeu und
sich auch nicht zu scheuen brauchten, sich als solche zu bekennen. Zwischen
den Sonderinteressen zu unterscheiden, durch Abwägen die Maßregeln zu finden,
die den meisten Nutzen, den wenigsten Nachteil mit sich bringen -- das ist
überhaupt nicht Sache der Parlamente, sondern der Regierungen.

Die verschiednen Vorschläge, die zu diesem Zwecke schon gemacht worden
sind, zu prüfen, ist hier nicht unsre Aufgabe. Auch dieses System würde
Mängel ausweisen, das versteht sich von selbst. Aber der nützlichen Arbeit in
den Vertretuugskörperu würde es dienlich sein, und es würde die Gefahr einer
neuen brutalen Klassenherrschaft ausschließen, die die allgemeine gleiche Kopf¬
zahlwahl uns bescheren kann.




Zur Aussprache des Altgriechischen

l
e die Zeitungen gemeldet haben, beabsichtigen die in Athen
lebenden Deutschen, eine Petition an deu Kaiser Wilhelm zu
senden, in der um Einführung der neugriechischen Aussprache
für das Altgriechische an deu deutschen Gymnasien gebeten wird.
Also noch ein neuer Gegenstand für die Verhandlungen über
Schulreform! Glücklicherweise ist die angeregte Frage weder jetzt brennend,
noch wird sie es in absehbarer Zeit werden. Die Petition kann, wenn sie


Zur Aussprache des Altgriechische»

ein sich, dein Gewühlten an sich festhalten. Die Leidenschaftlichkeit, mit der
im Reichstage und im preußischen Landtage Bismarcks Plan mit einem Volks-
wirtschaftsrate bekämpft wurde, zeigte aufs deutlichste die Vefaugenheit in den
alten Vorstellungen und die Furcht der gewerbsmäßigen Politiker vor Leuten,
die vielleicht wenig von hoher Politik, desto mehr aber von bestimmten Partien
des praktischen Lebens verstehen. Mit sich selbst in Widerspruch geratend be¬
haupteten die Redner, in den Parlamenten säßen ja auch Fachmänner in ge¬
nügender Zahl. Diese Behauptung würde aber eine genaue Untersuchung
wohl kaum irgendwo bestätigen, und sollte sie in einem Falle zutreffen, so
wäre das nur dein Zufall zu verdanken, da die Betreffenden doch nicht in
ihrer Eigenschaft als Fachmänner, sondern als Anhänger einer politischen Partei
gewählt worden wären. Und abgesehen hiervon ist es ja eine große Selbst¬
täuschung, wenn irgend jemand sich frei glaubt von allen Sonderiuteressen,
wäre es schließlich auch nur das Interesse, wiedergewählt zu werden. Wie
viel kürzer würden die Sessionen sein, wenn nur zur Sache, nur für die Ver¬
sammlung gesprochen würde und nicht für die Partei, für die Wähler, für die
Zeitung! Klarer und einfacher lägen die Verhältnisse auf jeden Fall, wenn
die Abgeordneten die Vertreter ihrer Standes- und Verufsgeiwsseu würeu und
sich auch nicht zu scheuen brauchten, sich als solche zu bekennen. Zwischen
den Sonderinteressen zu unterscheiden, durch Abwägen die Maßregeln zu finden,
die den meisten Nutzen, den wenigsten Nachteil mit sich bringen — das ist
überhaupt nicht Sache der Parlamente, sondern der Regierungen.

Die verschiednen Vorschläge, die zu diesem Zwecke schon gemacht worden
sind, zu prüfen, ist hier nicht unsre Aufgabe. Auch dieses System würde
Mängel ausweisen, das versteht sich von selbst. Aber der nützlichen Arbeit in
den Vertretuugskörperu würde es dienlich sein, und es würde die Gefahr einer
neuen brutalen Klassenherrschaft ausschließen, die die allgemeine gleiche Kopf¬
zahlwahl uns bescheren kann.




Zur Aussprache des Altgriechischen

l
e die Zeitungen gemeldet haben, beabsichtigen die in Athen
lebenden Deutschen, eine Petition an deu Kaiser Wilhelm zu
senden, in der um Einführung der neugriechischen Aussprache
für das Altgriechische an deu deutschen Gymnasien gebeten wird.
Also noch ein neuer Gegenstand für die Verhandlungen über
Schulreform! Glücklicherweise ist die angeregte Frage weder jetzt brennend,
noch wird sie es in absehbarer Zeit werden. Die Petition kann, wenn sie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0362" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210229"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Aussprache des Altgriechische»</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_999" prev="#ID_998"> ein sich, dein Gewühlten an sich festhalten. Die Leidenschaftlichkeit, mit der<lb/>
im Reichstage und im preußischen Landtage Bismarcks Plan mit einem Volks-<lb/>
wirtschaftsrate bekämpft wurde, zeigte aufs deutlichste die Vefaugenheit in den<lb/>
alten Vorstellungen und die Furcht der gewerbsmäßigen Politiker vor Leuten,<lb/>
die vielleicht wenig von hoher Politik, desto mehr aber von bestimmten Partien<lb/>
des praktischen Lebens verstehen. Mit sich selbst in Widerspruch geratend be¬<lb/>
haupteten die Redner, in den Parlamenten säßen ja auch Fachmänner in ge¬<lb/>
nügender Zahl. Diese Behauptung würde aber eine genaue Untersuchung<lb/>
wohl kaum irgendwo bestätigen, und sollte sie in einem Falle zutreffen, so<lb/>
wäre das nur dein Zufall zu verdanken, da die Betreffenden doch nicht in<lb/>
ihrer Eigenschaft als Fachmänner, sondern als Anhänger einer politischen Partei<lb/>
gewählt worden wären. Und abgesehen hiervon ist es ja eine große Selbst¬<lb/>
täuschung, wenn irgend jemand sich frei glaubt von allen Sonderiuteressen,<lb/>
wäre es schließlich auch nur das Interesse, wiedergewählt zu werden. Wie<lb/>
viel kürzer würden die Sessionen sein, wenn nur zur Sache, nur für die Ver¬<lb/>
sammlung gesprochen würde und nicht für die Partei, für die Wähler, für die<lb/>
Zeitung! Klarer und einfacher lägen die Verhältnisse auf jeden Fall, wenn<lb/>
die Abgeordneten die Vertreter ihrer Standes- und Verufsgeiwsseu würeu und<lb/>
sich auch nicht zu scheuen brauchten, sich als solche zu bekennen. Zwischen<lb/>
den Sonderinteressen zu unterscheiden, durch Abwägen die Maßregeln zu finden,<lb/>
die den meisten Nutzen, den wenigsten Nachteil mit sich bringen &#x2014; das ist<lb/>
überhaupt nicht Sache der Parlamente, sondern der Regierungen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1000"> Die verschiednen Vorschläge, die zu diesem Zwecke schon gemacht worden<lb/>
sind, zu prüfen, ist hier nicht unsre Aufgabe. Auch dieses System würde<lb/>
Mängel ausweisen, das versteht sich von selbst. Aber der nützlichen Arbeit in<lb/>
den Vertretuugskörperu würde es dienlich sein, und es würde die Gefahr einer<lb/>
neuen brutalen Klassenherrschaft ausschließen, die die allgemeine gleiche Kopf¬<lb/>
zahlwahl uns bescheren kann.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zur Aussprache des Altgriechischen</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1001" next="#ID_1002"> l<lb/>
e die Zeitungen gemeldet haben, beabsichtigen die in Athen<lb/>
lebenden Deutschen, eine Petition an deu Kaiser Wilhelm zu<lb/>
senden, in der um Einführung der neugriechischen Aussprache<lb/>
für das Altgriechische an deu deutschen Gymnasien gebeten wird.<lb/>
Also noch ein neuer Gegenstand für die Verhandlungen über<lb/>
Schulreform! Glücklicherweise ist die angeregte Frage weder jetzt brennend,<lb/>
noch wird sie es in absehbarer Zeit werden.  Die Petition kann, wenn sie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0362] Zur Aussprache des Altgriechische» ein sich, dein Gewühlten an sich festhalten. Die Leidenschaftlichkeit, mit der im Reichstage und im preußischen Landtage Bismarcks Plan mit einem Volks- wirtschaftsrate bekämpft wurde, zeigte aufs deutlichste die Vefaugenheit in den alten Vorstellungen und die Furcht der gewerbsmäßigen Politiker vor Leuten, die vielleicht wenig von hoher Politik, desto mehr aber von bestimmten Partien des praktischen Lebens verstehen. Mit sich selbst in Widerspruch geratend be¬ haupteten die Redner, in den Parlamenten säßen ja auch Fachmänner in ge¬ nügender Zahl. Diese Behauptung würde aber eine genaue Untersuchung wohl kaum irgendwo bestätigen, und sollte sie in einem Falle zutreffen, so wäre das nur dein Zufall zu verdanken, da die Betreffenden doch nicht in ihrer Eigenschaft als Fachmänner, sondern als Anhänger einer politischen Partei gewählt worden wären. Und abgesehen hiervon ist es ja eine große Selbst¬ täuschung, wenn irgend jemand sich frei glaubt von allen Sonderiuteressen, wäre es schließlich auch nur das Interesse, wiedergewählt zu werden. Wie viel kürzer würden die Sessionen sein, wenn nur zur Sache, nur für die Ver¬ sammlung gesprochen würde und nicht für die Partei, für die Wähler, für die Zeitung! Klarer und einfacher lägen die Verhältnisse auf jeden Fall, wenn die Abgeordneten die Vertreter ihrer Standes- und Verufsgeiwsseu würeu und sich auch nicht zu scheuen brauchten, sich als solche zu bekennen. Zwischen den Sonderinteressen zu unterscheiden, durch Abwägen die Maßregeln zu finden, die den meisten Nutzen, den wenigsten Nachteil mit sich bringen — das ist überhaupt nicht Sache der Parlamente, sondern der Regierungen. Die verschiednen Vorschläge, die zu diesem Zwecke schon gemacht worden sind, zu prüfen, ist hier nicht unsre Aufgabe. Auch dieses System würde Mängel ausweisen, das versteht sich von selbst. Aber der nützlichen Arbeit in den Vertretuugskörperu würde es dienlich sein, und es würde die Gefahr einer neuen brutalen Klassenherrschaft ausschließen, die die allgemeine gleiche Kopf¬ zahlwahl uns bescheren kann. Zur Aussprache des Altgriechischen l e die Zeitungen gemeldet haben, beabsichtigen die in Athen lebenden Deutschen, eine Petition an deu Kaiser Wilhelm zu senden, in der um Einführung der neugriechischen Aussprache für das Altgriechische an deu deutschen Gymnasien gebeten wird. Also noch ein neuer Gegenstand für die Verhandlungen über Schulreform! Glücklicherweise ist die angeregte Frage weder jetzt brennend, noch wird sie es in absehbarer Zeit werden. Die Petition kann, wenn sie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/362
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/362>, abgerufen am 24.07.2024.