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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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einläuft, ruhig zu den Akten kommen und mag dort ein ungestörtes Dasein
führen, bis ruhigere Zeiten eine Erwägung darüber gestatten werden, in
welchen Punkten unsre Aussprache des Altgriechischen eine Verbesserung nötig
hat. Die Reform dürfte dann freilich eine ganz andre Richtung einschlagen,
als die Bittsteller in Athen vermuten.

Was sie zur Stützung ihres Antrages vorbringen, ist unbedeutend, wenn
anders die Zeitungen den Inhalt der Gründe richtig und vollständig mitgeteilt
haben. Der Hinweis ans das Beispiel andrer Staaten zieht nicht; ob die
Behauptung zutrifft, man sei in England teilweise von der crasmischen zu der
neugriechischen Aussprache übergegangen, müßte erst noch bewiesen werden,
denn von andrer Seite wird behauptet, es sei vielmehr die neugriechische Aus¬
sprache, die sich von den Anfangszeiten des Humanismus her in England
stellenweise uoch erhalten habe, zu gunsten der crasmischen gänzlich auf¬
gegeben worden.

Höchst gespannt sind wir auf die in der Petition enthaltenen "wissen¬
schaftlichen Forschungen," aus denen hervorgehen soll, daß die altgriechische
Aussprache der neugriechischen "nahezu gleichkomme." Was der Grieche
Papadimitrakopnlos in einem vor zwei Jahren in Athen erschienenen dicken
Buche -- der Ladenpreis dafür ist 9 Mark! -- und neuerdings in einer
kleinern französischen Schrift nicht hat nachweisen können, das wollen die Bitt¬
steller auf den wenigen Blättern ihrer Eingabe thun! Da müßten sie doch
wahre Tausendkünstler sein! Ehe sie behaupteten. Emsmns habe eine "ganz
willkürliche Aussprache der griechischen Vokale" aufgestellt, Hütten sie lieber erst
den 1528 erschienenen Bären- und Löwendialog des gelehrten Humanisten v<z
rsotg. latwi graeeiciuo 8örwvm8 vronunviMono zur Hand nehmen und nach¬
lesen sollen, wie viel wohlerwogene Gründe Erasmus für seiue Ansicht beibringt.

Die Ausspielung der Mitglieder des Deutschen archäologischen Instituts
in Athen, denen es "eine große Pein" sei, nach jahrelangem in Deutschland
betriebenen Studium des Griechischen bei der Ankunft in Athen die Aussprache
uoch einmal umlernen zu müssen, ist hoffentlich ohne Vorwissen und Bewilligung
des Instituts erfolgt. Es wäre doch ein gar zu klägliches tWtiiuouiniu
pcwpörtutis, das sich diese Gelehrten damit ausgestellt hätten! Wer jetzt in
Griechenland leben will, kann mit dem Altgriechischen nichts anfangen, sondern
muß das Neugriechische lernen, und dazu gehört auch die Aneignung der Aus¬
sprache, die mir den allergeringsten Teil der Schwierigkeiten ausmacht und
für Männer von wissenschaftlicher Bildung überhaupt nicht in Frage kommt.

Die von den Bittstellern erwähnte Übereinstimmung zwischen der alt- und
der neugriechischen Sprache besteht nnr auf dem Papiere, d. h. nnr in der
uuter Anlehnung an das Altgriechische künstlich geschaffenen Lilteratursprache,
die von niemand gesprochen wird. Die Umgangssprache der Gebildeten und
noch mehr die Mundart der großen Menge ist ganz wesentlich davon ver-


einläuft, ruhig zu den Akten kommen und mag dort ein ungestörtes Dasein
führen, bis ruhigere Zeiten eine Erwägung darüber gestatten werden, in
welchen Punkten unsre Aussprache des Altgriechischen eine Verbesserung nötig
hat. Die Reform dürfte dann freilich eine ganz andre Richtung einschlagen,
als die Bittsteller in Athen vermuten.

Was sie zur Stützung ihres Antrages vorbringen, ist unbedeutend, wenn
anders die Zeitungen den Inhalt der Gründe richtig und vollständig mitgeteilt
haben. Der Hinweis ans das Beispiel andrer Staaten zieht nicht; ob die
Behauptung zutrifft, man sei in England teilweise von der crasmischen zu der
neugriechischen Aussprache übergegangen, müßte erst noch bewiesen werden,
denn von andrer Seite wird behauptet, es sei vielmehr die neugriechische Aus¬
sprache, die sich von den Anfangszeiten des Humanismus her in England
stellenweise uoch erhalten habe, zu gunsten der crasmischen gänzlich auf¬
gegeben worden.

Höchst gespannt sind wir auf die in der Petition enthaltenen „wissen¬
schaftlichen Forschungen," aus denen hervorgehen soll, daß die altgriechische
Aussprache der neugriechischen „nahezu gleichkomme." Was der Grieche
Papadimitrakopnlos in einem vor zwei Jahren in Athen erschienenen dicken
Buche — der Ladenpreis dafür ist 9 Mark! — und neuerdings in einer
kleinern französischen Schrift nicht hat nachweisen können, das wollen die Bitt¬
steller auf den wenigen Blättern ihrer Eingabe thun! Da müßten sie doch
wahre Tausendkünstler sein! Ehe sie behaupteten. Emsmns habe eine „ganz
willkürliche Aussprache der griechischen Vokale" aufgestellt, Hütten sie lieber erst
den 1528 erschienenen Bären- und Löwendialog des gelehrten Humanisten v<z
rsotg. latwi graeeiciuo 8örwvm8 vronunviMono zur Hand nehmen und nach¬
lesen sollen, wie viel wohlerwogene Gründe Erasmus für seiue Ansicht beibringt.

Die Ausspielung der Mitglieder des Deutschen archäologischen Instituts
in Athen, denen es „eine große Pein" sei, nach jahrelangem in Deutschland
betriebenen Studium des Griechischen bei der Ankunft in Athen die Aussprache
uoch einmal umlernen zu müssen, ist hoffentlich ohne Vorwissen und Bewilligung
des Instituts erfolgt. Es wäre doch ein gar zu klägliches tWtiiuouiniu
pcwpörtutis, das sich diese Gelehrten damit ausgestellt hätten! Wer jetzt in
Griechenland leben will, kann mit dem Altgriechischen nichts anfangen, sondern
muß das Neugriechische lernen, und dazu gehört auch die Aneignung der Aus¬
sprache, die mir den allergeringsten Teil der Schwierigkeiten ausmacht und
für Männer von wissenschaftlicher Bildung überhaupt nicht in Frage kommt.

Die von den Bittstellern erwähnte Übereinstimmung zwischen der alt- und
der neugriechischen Sprache besteht nnr auf dem Papiere, d. h. nnr in der
uuter Anlehnung an das Altgriechische künstlich geschaffenen Lilteratursprache,
die von niemand gesprochen wird. Die Umgangssprache der Gebildeten und
noch mehr die Mundart der großen Menge ist ganz wesentlich davon ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/363>, abgerufen am 24.07.2024.