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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

Formsicherheit eines gesammelten Selbstgefühls, das auf den Überlieferungen
einer ehrwürdigen Kultur ruht.

Alle Vorteile einer ähnlichen sprachlichen und ästhetischen Erziehung suchte
Gottsched seinem deutschen Vaterlande zu sichern, als er es unternahm, aus
einer litterarischen Privatgesellschaft, die er in dem sächsischen Kleinparis vor¬
fand, eine Akademie nach dem Muster der französischen zu gestalten, deren
Wirksamkeit er unter einer königlichen oder kurfürstlichen Bestätigung über
das ganze Reich auszubreiten strebte. Aber wenn man ihm anch an einer
Reihe von kleinen Höfen vorübergehend wohlwollende Beachtung schenkte, so
gelang es ihm weder in Berlin, noch in Dresden, noch in Wien/') mit seinen
Akademieversuchen durchzudringen: er sah sich ganz auf private Thätigkeit
angewiesen. Seine grammatischen Arbeiten haben die Einheit unsrer Schrift¬
sprache nicht unbedeutend gefördert, Poetik und Rhetorik hat er in Lehrgebäude
gefaßt und durch Erneuerung litterarischer Schütze des Mittelalters auch
seinerseits zur Kräftigung des Nationalbewußtseins beigetragen; das von ihm
geplante Wörterbuch wurde von Adelung ausgeführt. Zahlreiche Tochter¬
gesellschaften standen mehr oder minder unter der Botmäßigkeit der Leipziger:
in Königsberg, Göttingen, Helmstedt, Wittenberg, Altorf, Jena, Halle, Frank¬
furt, Duisburg, Bremen, Kiel, Greifswald und Bernburg. Manche von ihnen
haben noch in unserm Jahrhundert lange bestanden. Jede dieser Gesellschaften
gab eigne Abhandlungen, Dichtungen oder Zeitschriften heraus, die Jenaer
machte den Entwurf zu einem von allen gemeinsam auszuarbeitenden Wörter¬
buche, und die Bremische gab ein sehr verdienstliches Vremisch-Niedersächsisches
Wörterbuch heraus. Kam auch die gehoffte Akademie uicht zu stände, so war hier
doch zum erstenmale gezeigt, wie man durch entschiedene Znsammeufnssuug
geteilter Bestrebungen einen Einfluß auf die Gesamtbewegung der litterarischen
Arbeit gewinnen könne; die Teilnahme eines großen Publikums war gewonnen,
und es stand nunmehr sest, daß die schöne Litteratur zur wirksamsten Ver¬
mittlerin des geistigen Fortschritts, der sogenannten Aufklärung, berufen sei.

Der Gedanke, für die litterarische Bewegung einen maßgebenden Mittel¬
punkt in einer deutschen Hauptstadt zu schaffen, gewann einen neuen Schwung,
als Friedrich II. 1740 deu preußischen Thron bestieg. Berlin begann auf
junge Talente mehr und mehr Anziehung zu üben, und um 1759 finden wir
hier Lessing, Mendelssohn, Nicolai, Kleist, Sulzer, Ramler, Mylius, Sack,
Spalding u. n. zusammen, man macht einen vergeblichen Versuch, auch Klopstock



In Wien hatte Gottscheds Akademieversuch nicht nnr an dem von Leibniz einen ver¬
geblichen Borläufer, sondern auch an einem von Karl Gustav Heraus am Anfange des acht¬
zehnten Jahrhunderts eingereichten Entwürfe zur Errichtung einer Karolinischeu Akademie, den
Gottsched 1732 in seinen Beiträgen zur kritischen Historie der deutschen Sprache (S, 269) zum
Abdruck brachte ("Karl Gustav Heräi Uuvorgreisliche Gedanken über die Auf- und Einrichtung
einer Deutschen Sprachgesellschaft, wie solche einem vornehmen Minister sind überreichet worden").
Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

Formsicherheit eines gesammelten Selbstgefühls, das auf den Überlieferungen
einer ehrwürdigen Kultur ruht.

Alle Vorteile einer ähnlichen sprachlichen und ästhetischen Erziehung suchte
Gottsched seinem deutschen Vaterlande zu sichern, als er es unternahm, aus
einer litterarischen Privatgesellschaft, die er in dem sächsischen Kleinparis vor¬
fand, eine Akademie nach dem Muster der französischen zu gestalten, deren
Wirksamkeit er unter einer königlichen oder kurfürstlichen Bestätigung über
das ganze Reich auszubreiten strebte. Aber wenn man ihm anch an einer
Reihe von kleinen Höfen vorübergehend wohlwollende Beachtung schenkte, so
gelang es ihm weder in Berlin, noch in Dresden, noch in Wien/') mit seinen
Akademieversuchen durchzudringen: er sah sich ganz auf private Thätigkeit
angewiesen. Seine grammatischen Arbeiten haben die Einheit unsrer Schrift¬
sprache nicht unbedeutend gefördert, Poetik und Rhetorik hat er in Lehrgebäude
gefaßt und durch Erneuerung litterarischer Schütze des Mittelalters auch
seinerseits zur Kräftigung des Nationalbewußtseins beigetragen; das von ihm
geplante Wörterbuch wurde von Adelung ausgeführt. Zahlreiche Tochter¬
gesellschaften standen mehr oder minder unter der Botmäßigkeit der Leipziger:
in Königsberg, Göttingen, Helmstedt, Wittenberg, Altorf, Jena, Halle, Frank¬
furt, Duisburg, Bremen, Kiel, Greifswald und Bernburg. Manche von ihnen
haben noch in unserm Jahrhundert lange bestanden. Jede dieser Gesellschaften
gab eigne Abhandlungen, Dichtungen oder Zeitschriften heraus, die Jenaer
machte den Entwurf zu einem von allen gemeinsam auszuarbeitenden Wörter¬
buche, und die Bremische gab ein sehr verdienstliches Vremisch-Niedersächsisches
Wörterbuch heraus. Kam auch die gehoffte Akademie uicht zu stände, so war hier
doch zum erstenmale gezeigt, wie man durch entschiedene Znsammeufnssuug
geteilter Bestrebungen einen Einfluß auf die Gesamtbewegung der litterarischen
Arbeit gewinnen könne; die Teilnahme eines großen Publikums war gewonnen,
und es stand nunmehr sest, daß die schöne Litteratur zur wirksamsten Ver¬
mittlerin des geistigen Fortschritts, der sogenannten Aufklärung, berufen sei.

Der Gedanke, für die litterarische Bewegung einen maßgebenden Mittel¬
punkt in einer deutschen Hauptstadt zu schaffen, gewann einen neuen Schwung,
als Friedrich II. 1740 deu preußischen Thron bestieg. Berlin begann auf
junge Talente mehr und mehr Anziehung zu üben, und um 1759 finden wir
hier Lessing, Mendelssohn, Nicolai, Kleist, Sulzer, Ramler, Mylius, Sack,
Spalding u. n. zusammen, man macht einen vergeblichen Versuch, auch Klopstock



In Wien hatte Gottscheds Akademieversuch nicht nnr an dem von Leibniz einen ver¬
geblichen Borläufer, sondern auch an einem von Karl Gustav Heraus am Anfange des acht¬
zehnten Jahrhunderts eingereichten Entwürfe zur Errichtung einer Karolinischeu Akademie, den
Gottsched 1732 in seinen Beiträgen zur kritischen Historie der deutschen Sprache (S, 269) zum
Abdruck brachte („Karl Gustav Heräi Uuvorgreisliche Gedanken über die Auf- und Einrichtung
einer Deutschen Sprachgesellschaft, wie solche einem vornehmen Minister sind überreichet worden").
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[0320] Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie Formsicherheit eines gesammelten Selbstgefühls, das auf den Überlieferungen einer ehrwürdigen Kultur ruht. Alle Vorteile einer ähnlichen sprachlichen und ästhetischen Erziehung suchte Gottsched seinem deutschen Vaterlande zu sichern, als er es unternahm, aus einer litterarischen Privatgesellschaft, die er in dem sächsischen Kleinparis vor¬ fand, eine Akademie nach dem Muster der französischen zu gestalten, deren Wirksamkeit er unter einer königlichen oder kurfürstlichen Bestätigung über das ganze Reich auszubreiten strebte. Aber wenn man ihm anch an einer Reihe von kleinen Höfen vorübergehend wohlwollende Beachtung schenkte, so gelang es ihm weder in Berlin, noch in Dresden, noch in Wien/') mit seinen Akademieversuchen durchzudringen: er sah sich ganz auf private Thätigkeit angewiesen. Seine grammatischen Arbeiten haben die Einheit unsrer Schrift¬ sprache nicht unbedeutend gefördert, Poetik und Rhetorik hat er in Lehrgebäude gefaßt und durch Erneuerung litterarischer Schütze des Mittelalters auch seinerseits zur Kräftigung des Nationalbewußtseins beigetragen; das von ihm geplante Wörterbuch wurde von Adelung ausgeführt. Zahlreiche Tochter¬ gesellschaften standen mehr oder minder unter der Botmäßigkeit der Leipziger: in Königsberg, Göttingen, Helmstedt, Wittenberg, Altorf, Jena, Halle, Frank¬ furt, Duisburg, Bremen, Kiel, Greifswald und Bernburg. Manche von ihnen haben noch in unserm Jahrhundert lange bestanden. Jede dieser Gesellschaften gab eigne Abhandlungen, Dichtungen oder Zeitschriften heraus, die Jenaer machte den Entwurf zu einem von allen gemeinsam auszuarbeitenden Wörter¬ buche, und die Bremische gab ein sehr verdienstliches Vremisch-Niedersächsisches Wörterbuch heraus. Kam auch die gehoffte Akademie uicht zu stände, so war hier doch zum erstenmale gezeigt, wie man durch entschiedene Znsammeufnssuug geteilter Bestrebungen einen Einfluß auf die Gesamtbewegung der litterarischen Arbeit gewinnen könne; die Teilnahme eines großen Publikums war gewonnen, und es stand nunmehr sest, daß die schöne Litteratur zur wirksamsten Ver¬ mittlerin des geistigen Fortschritts, der sogenannten Aufklärung, berufen sei. Der Gedanke, für die litterarische Bewegung einen maßgebenden Mittel¬ punkt in einer deutschen Hauptstadt zu schaffen, gewann einen neuen Schwung, als Friedrich II. 1740 deu preußischen Thron bestieg. Berlin begann auf junge Talente mehr und mehr Anziehung zu üben, und um 1759 finden wir hier Lessing, Mendelssohn, Nicolai, Kleist, Sulzer, Ramler, Mylius, Sack, Spalding u. n. zusammen, man macht einen vergeblichen Versuch, auch Klopstock In Wien hatte Gottscheds Akademieversuch nicht nnr an dem von Leibniz einen ver¬ geblichen Borläufer, sondern auch an einem von Karl Gustav Heraus am Anfange des acht¬ zehnten Jahrhunderts eingereichten Entwürfe zur Errichtung einer Karolinischeu Akademie, den Gottsched 1732 in seinen Beiträgen zur kritischen Historie der deutschen Sprache (S, 269) zum Abdruck brachte („Karl Gustav Heräi Uuvorgreisliche Gedanken über die Auf- und Einrichtung einer Deutschen Sprachgesellschaft, wie solche einem vornehmen Minister sind überreichet worden").

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/320>, abgerufen am 24.07.2024.