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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

zösische Schriftsteller unsichtbar neben sich fühlt, und diese gesellschaftliche
Haltung erleichterte auch das einheitliche Durchdringen der von dem Wörter-
buche festgesetzten Formen der Rechtschreibung. Das Französische des sieb¬
zehnten Jahrhunderts ist nach der Versicherung von Vaugelas das geworden,
was die Sprache der Römer zur Zeit des Cicero gewesen war, und wie diese
werde es das Vorbild der künftigen Jahrhunderte bleiben. Diese stolze Ver¬
sicherung hat Recht behalten: die Akademie hat politische Stürme und litte¬
rarische Bewegungen überdauert, und bei allen berechtigten Anfeindungen, die
ihr seit ihrer Begründung nicht erspart worden sind, ist sie selbst heute noch
das Ziel des Ehrgeizes der meisten Schriftsteller, anch derer, die sich über sie
lustig machten. Die Akademie ist eins der beredtesten Zeugnisse der nationalen
Eitelkeit, des Autoritätsbedürfnisses und der Vergötterung der schönen Form
bei unsern französischen Nachbarn, daher ihre Volkstümlichkeit, obwohl sie im
eigentlichen Sinne ohne jede Volkstümlichkeit ist. Denn sie ist der Ausdruck
eines mit vollem Standesbewußtsein sich abhebenden Gegensatzes der äoetss von
den vulMires -- 1e xeriplo n'est l"z maitro crie ein rug-uvais nsiiZL, sagt
Vaugelas --, sie ist der Ausdruck einer kleinen Klasse der höhern Gesellschaft,
die sich numaßt, das geistige Leben der Nation zu vertreten. Aber sie hat
wesentlich mitgewirkt, der französischen Hauptstadt jene ausschließliche Stellung
in der französischen Bildungsgeschichte zu sichern, die sie wie eine Erbschaft
des kaiserlichen Rom überkommen hat. lind wenn die Akademie dnrch ihr
Gutachten über den "Cid" die Entwicklung der Tragödie in falsche Bahnen
lenkte, so hat sie anderseits den Zusammenhang der modernen Bildung mit
der des klassischen Altertums zu einem freilich einseitig festgehaltenen Glaubens¬
satz erhoben, und durch die Verbreitung der allerdings ungeschichtlichen Über¬
zeugung, daß es nnr einen vernünftigen Geschmack gebe, dem bis dahin das
perikleische, das angnsteische und das mediceische Zeitalter am nächsten ge¬
kommen seien, hat sie die Verallgemeinerung und die Leistungsfähigkeit der
ästhetischen Bildung Frankreichs wesentlich fördern helfen; und diese hat sich
in der Sprache ihr vornehmstes Werkzeug gebildet. Wenn es uns auch bei
den besten französischen Schriftstellern zu Mute sein mag, als hätten sie ihr
Bestes eigentlich für sich behalten, als wäre nun doch in der Gleichförmigkeit
der stilistischen Prägung das Tiefste und Mitteilenswerteste, was jene Männer
empfunden und gedacht, verloren gegangen oder doch ärmer geworden -- so
wie mau etwa in der guten Gesellschaft das Beste, was man zu sagen hat,,
nur andeuten und das Besondere der Persönlichkeit womöglich verleugnen
soll --, so ist doch anderseits das Durchschnittsmaß sprachlicher Fähigkeit und
Wohlgeübtheit in Frankreich unvergleichlich höher als bei uns. Und wenn
die französische Sprache wie ihre Litteratur niemals eigentlich jung gewesen
ist, so entschädigte sie von jeher für den mangelnden schöpferischen Reichtum
der Jugend durch die Vorzüge des wohlgebildeten Alters und die vornehme.


Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

zösische Schriftsteller unsichtbar neben sich fühlt, und diese gesellschaftliche
Haltung erleichterte auch das einheitliche Durchdringen der von dem Wörter-
buche festgesetzten Formen der Rechtschreibung. Das Französische des sieb¬
zehnten Jahrhunderts ist nach der Versicherung von Vaugelas das geworden,
was die Sprache der Römer zur Zeit des Cicero gewesen war, und wie diese
werde es das Vorbild der künftigen Jahrhunderte bleiben. Diese stolze Ver¬
sicherung hat Recht behalten: die Akademie hat politische Stürme und litte¬
rarische Bewegungen überdauert, und bei allen berechtigten Anfeindungen, die
ihr seit ihrer Begründung nicht erspart worden sind, ist sie selbst heute noch
das Ziel des Ehrgeizes der meisten Schriftsteller, anch derer, die sich über sie
lustig machten. Die Akademie ist eins der beredtesten Zeugnisse der nationalen
Eitelkeit, des Autoritätsbedürfnisses und der Vergötterung der schönen Form
bei unsern französischen Nachbarn, daher ihre Volkstümlichkeit, obwohl sie im
eigentlichen Sinne ohne jede Volkstümlichkeit ist. Denn sie ist der Ausdruck
eines mit vollem Standesbewußtsein sich abhebenden Gegensatzes der äoetss von
den vulMires — 1e xeriplo n'est l«z maitro crie ein rug-uvais nsiiZL, sagt
Vaugelas —, sie ist der Ausdruck einer kleinen Klasse der höhern Gesellschaft,
die sich numaßt, das geistige Leben der Nation zu vertreten. Aber sie hat
wesentlich mitgewirkt, der französischen Hauptstadt jene ausschließliche Stellung
in der französischen Bildungsgeschichte zu sichern, die sie wie eine Erbschaft
des kaiserlichen Rom überkommen hat. lind wenn die Akademie dnrch ihr
Gutachten über den „Cid" die Entwicklung der Tragödie in falsche Bahnen
lenkte, so hat sie anderseits den Zusammenhang der modernen Bildung mit
der des klassischen Altertums zu einem freilich einseitig festgehaltenen Glaubens¬
satz erhoben, und durch die Verbreitung der allerdings ungeschichtlichen Über¬
zeugung, daß es nnr einen vernünftigen Geschmack gebe, dem bis dahin das
perikleische, das angnsteische und das mediceische Zeitalter am nächsten ge¬
kommen seien, hat sie die Verallgemeinerung und die Leistungsfähigkeit der
ästhetischen Bildung Frankreichs wesentlich fördern helfen; und diese hat sich
in der Sprache ihr vornehmstes Werkzeug gebildet. Wenn es uns auch bei
den besten französischen Schriftstellern zu Mute sein mag, als hätten sie ihr
Bestes eigentlich für sich behalten, als wäre nun doch in der Gleichförmigkeit
der stilistischen Prägung das Tiefste und Mitteilenswerteste, was jene Männer
empfunden und gedacht, verloren gegangen oder doch ärmer geworden — so
wie mau etwa in der guten Gesellschaft das Beste, was man zu sagen hat,,
nur andeuten und das Besondere der Persönlichkeit womöglich verleugnen
soll —, so ist doch anderseits das Durchschnittsmaß sprachlicher Fähigkeit und
Wohlgeübtheit in Frankreich unvergleichlich höher als bei uns. Und wenn
die französische Sprache wie ihre Litteratur niemals eigentlich jung gewesen
ist, so entschädigte sie von jeher für den mangelnden schöpferischen Reichtum
der Jugend durch die Vorzüge des wohlgebildeten Alters und die vornehme.


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[0319] Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie zösische Schriftsteller unsichtbar neben sich fühlt, und diese gesellschaftliche Haltung erleichterte auch das einheitliche Durchdringen der von dem Wörter- buche festgesetzten Formen der Rechtschreibung. Das Französische des sieb¬ zehnten Jahrhunderts ist nach der Versicherung von Vaugelas das geworden, was die Sprache der Römer zur Zeit des Cicero gewesen war, und wie diese werde es das Vorbild der künftigen Jahrhunderte bleiben. Diese stolze Ver¬ sicherung hat Recht behalten: die Akademie hat politische Stürme und litte¬ rarische Bewegungen überdauert, und bei allen berechtigten Anfeindungen, die ihr seit ihrer Begründung nicht erspart worden sind, ist sie selbst heute noch das Ziel des Ehrgeizes der meisten Schriftsteller, anch derer, die sich über sie lustig machten. Die Akademie ist eins der beredtesten Zeugnisse der nationalen Eitelkeit, des Autoritätsbedürfnisses und der Vergötterung der schönen Form bei unsern französischen Nachbarn, daher ihre Volkstümlichkeit, obwohl sie im eigentlichen Sinne ohne jede Volkstümlichkeit ist. Denn sie ist der Ausdruck eines mit vollem Standesbewußtsein sich abhebenden Gegensatzes der äoetss von den vulMires — 1e xeriplo n'est l«z maitro crie ein rug-uvais nsiiZL, sagt Vaugelas —, sie ist der Ausdruck einer kleinen Klasse der höhern Gesellschaft, die sich numaßt, das geistige Leben der Nation zu vertreten. Aber sie hat wesentlich mitgewirkt, der französischen Hauptstadt jene ausschließliche Stellung in der französischen Bildungsgeschichte zu sichern, die sie wie eine Erbschaft des kaiserlichen Rom überkommen hat. lind wenn die Akademie dnrch ihr Gutachten über den „Cid" die Entwicklung der Tragödie in falsche Bahnen lenkte, so hat sie anderseits den Zusammenhang der modernen Bildung mit der des klassischen Altertums zu einem freilich einseitig festgehaltenen Glaubens¬ satz erhoben, und durch die Verbreitung der allerdings ungeschichtlichen Über¬ zeugung, daß es nnr einen vernünftigen Geschmack gebe, dem bis dahin das perikleische, das angnsteische und das mediceische Zeitalter am nächsten ge¬ kommen seien, hat sie die Verallgemeinerung und die Leistungsfähigkeit der ästhetischen Bildung Frankreichs wesentlich fördern helfen; und diese hat sich in der Sprache ihr vornehmstes Werkzeug gebildet. Wenn es uns auch bei den besten französischen Schriftstellern zu Mute sein mag, als hätten sie ihr Bestes eigentlich für sich behalten, als wäre nun doch in der Gleichförmigkeit der stilistischen Prägung das Tiefste und Mitteilenswerteste, was jene Männer empfunden und gedacht, verloren gegangen oder doch ärmer geworden — so wie mau etwa in der guten Gesellschaft das Beste, was man zu sagen hat,, nur andeuten und das Besondere der Persönlichkeit womöglich verleugnen soll —, so ist doch anderseits das Durchschnittsmaß sprachlicher Fähigkeit und Wohlgeübtheit in Frankreich unvergleichlich höher als bei uns. Und wenn die französische Sprache wie ihre Litteratur niemals eigentlich jung gewesen ist, so entschädigte sie von jeher für den mangelnden schöpferischen Reichtum der Jugend durch die Vorzüge des wohlgebildeten Alters und die vornehme.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/319>, abgerufen am 24.07.2024.