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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

für Berlin zu gewinnen. Die geistige Thatkraft, die der siebenjährige Krieg
entfesselte, hoffte von der großen Zeit auch eine neue Blüte der Wissenschaften,
aber das Gerücht, das sich im Jahre 1760 verbreitete, der König wolle eine
deutsche Akademie unter dem Vorsitze des Pastor Lange gründen, erwies sich
als irrig: es geschah nichts, als daß Lessing zum auswärtige" Mitgliede der
1744, erneuerten Akademie der Wissenschaften ernannt wurde. Als es sich
einige Jahre später darum handelte, für die königliche Bibliothek einen neuen
Leiter zu ernennen, schöpfte man noch einmal weitreichende Hoffnungen: man
schlug erst Winckelmann, dann Lessing vor. Als aber diese beiden größten
deutschen Schriftsteller der Zeit von dein Könige kurzer Hand zurückgewiesen
wurden, entsagte man unwillig allen den lockenden Aussichten auf eine deutsche
Akademie zu Berlin, und Lessing wandte sich in grollender Bitterkeit. Was
hier nicht gelungen war, sollte jetzt noch einmal in der Kaiserstadt versucht
werden: dem jungen Joseph II. brachte man seit 1765 alle jene hochfliegenden
Hoffnungen entgegen, die in Preußen so schmerzlich enttäuscht wordeu waren,
Wien sollte die litterarische Hauptstadt Deutschlands werden. Die eifrigsten
Vertreter dieses Gedankens wurden Klopstock, Lessing, Wieland und Herder.
Klopstock arbeitete einen umfnsfeudeu Entwurf zur Gründung einer Akademie
der schönen, der philosophischen und der geschichtlichen Wissenschaften aus, deu
er zugleich mit der Widmung seiner "Hermannsschlacht" dem Kaiser im Früh¬
jahr 1768 überreichen ließ. Der Kaiser nahm die Widmung gnädig an, aber
die Akademiepläne fanden keinerlei Berücksichtigung. Klopstock rächte sich in
einer grollenden Ode. Viel leidenschaftlicher nahm Lessing die Sache. Mit
einem merkwürdigen Eigensinn hielt er jahrelang an der einmal erfaßten
Hoffnung fest, bis ihn ein Aufenthalt in Wien 1775 von ihrer völligen Aus¬
sichtslosigkeit überzeugte. Wieland hegte den Traum einer Wiener Akademie
sogar bis in das Jahr 1786 und sprach mit Begeisterung von dem großen
"Brennpunkt," in dem sich die größten Geisteskräfte vereinigen würden, um
felbst das Jahrhundert Ludwigs des Vierzehnten zu verdunkeln. Wir wissen
heute, daß der Gedanke einer deutschen Akademie in Wien und eines mit ihr
anbrechenden goldnen Zeitalters der Litteratur, so sehr er ein Jahrzehnt hin¬
durch das nördliche Deutschland in Atem hielt, lediglich von kunstsinnigen
Privatleuten ausging und von oben her niemals ernstlich erwogen wurde.
Herder, der 1780 mit einer schwungvollen Ode an Joseph II. an solchen
Hoffnungen teil genommen hatte, hatte doch schon in seinen "Fragmenten,"
im Gegensatz zu den Litteraturbriefen, die Überzeugung verkündet, daß eine
Zentralisirung unsers litterarischen Lebens in einer maßgebenden Hauptstadt
sowohl unsrer eigentümlichen Geistesanlage, wie unsern geschichtlichen Voraus-
setzungen Widerstreite. In der That sehen wir um das Jahr 1770 die litte¬
rarische Bedeutung von Leipzig und Berlin völlig zurücktreten hinter einer
Vielheit geistiger Mittelpunkte, die sich zu rühmlichem Wetteifer rüsten: Darm-


Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

für Berlin zu gewinnen. Die geistige Thatkraft, die der siebenjährige Krieg
entfesselte, hoffte von der großen Zeit auch eine neue Blüte der Wissenschaften,
aber das Gerücht, das sich im Jahre 1760 verbreitete, der König wolle eine
deutsche Akademie unter dem Vorsitze des Pastor Lange gründen, erwies sich
als irrig: es geschah nichts, als daß Lessing zum auswärtige» Mitgliede der
1744, erneuerten Akademie der Wissenschaften ernannt wurde. Als es sich
einige Jahre später darum handelte, für die königliche Bibliothek einen neuen
Leiter zu ernennen, schöpfte man noch einmal weitreichende Hoffnungen: man
schlug erst Winckelmann, dann Lessing vor. Als aber diese beiden größten
deutschen Schriftsteller der Zeit von dein Könige kurzer Hand zurückgewiesen
wurden, entsagte man unwillig allen den lockenden Aussichten auf eine deutsche
Akademie zu Berlin, und Lessing wandte sich in grollender Bitterkeit. Was
hier nicht gelungen war, sollte jetzt noch einmal in der Kaiserstadt versucht
werden: dem jungen Joseph II. brachte man seit 1765 alle jene hochfliegenden
Hoffnungen entgegen, die in Preußen so schmerzlich enttäuscht wordeu waren,
Wien sollte die litterarische Hauptstadt Deutschlands werden. Die eifrigsten
Vertreter dieses Gedankens wurden Klopstock, Lessing, Wieland und Herder.
Klopstock arbeitete einen umfnsfeudeu Entwurf zur Gründung einer Akademie
der schönen, der philosophischen und der geschichtlichen Wissenschaften aus, deu
er zugleich mit der Widmung seiner „Hermannsschlacht" dem Kaiser im Früh¬
jahr 1768 überreichen ließ. Der Kaiser nahm die Widmung gnädig an, aber
die Akademiepläne fanden keinerlei Berücksichtigung. Klopstock rächte sich in
einer grollenden Ode. Viel leidenschaftlicher nahm Lessing die Sache. Mit
einem merkwürdigen Eigensinn hielt er jahrelang an der einmal erfaßten
Hoffnung fest, bis ihn ein Aufenthalt in Wien 1775 von ihrer völligen Aus¬
sichtslosigkeit überzeugte. Wieland hegte den Traum einer Wiener Akademie
sogar bis in das Jahr 1786 und sprach mit Begeisterung von dem großen
„Brennpunkt," in dem sich die größten Geisteskräfte vereinigen würden, um
felbst das Jahrhundert Ludwigs des Vierzehnten zu verdunkeln. Wir wissen
heute, daß der Gedanke einer deutschen Akademie in Wien und eines mit ihr
anbrechenden goldnen Zeitalters der Litteratur, so sehr er ein Jahrzehnt hin¬
durch das nördliche Deutschland in Atem hielt, lediglich von kunstsinnigen
Privatleuten ausging und von oben her niemals ernstlich erwogen wurde.
Herder, der 1780 mit einer schwungvollen Ode an Joseph II. an solchen
Hoffnungen teil genommen hatte, hatte doch schon in seinen „Fragmenten,"
im Gegensatz zu den Litteraturbriefen, die Überzeugung verkündet, daß eine
Zentralisirung unsers litterarischen Lebens in einer maßgebenden Hauptstadt
sowohl unsrer eigentümlichen Geistesanlage, wie unsern geschichtlichen Voraus-
setzungen Widerstreite. In der That sehen wir um das Jahr 1770 die litte¬
rarische Bedeutung von Leipzig und Berlin völlig zurücktreten hinter einer
Vielheit geistiger Mittelpunkte, die sich zu rühmlichem Wetteifer rüsten: Darm-


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[0321] Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie für Berlin zu gewinnen. Die geistige Thatkraft, die der siebenjährige Krieg entfesselte, hoffte von der großen Zeit auch eine neue Blüte der Wissenschaften, aber das Gerücht, das sich im Jahre 1760 verbreitete, der König wolle eine deutsche Akademie unter dem Vorsitze des Pastor Lange gründen, erwies sich als irrig: es geschah nichts, als daß Lessing zum auswärtige» Mitgliede der 1744, erneuerten Akademie der Wissenschaften ernannt wurde. Als es sich einige Jahre später darum handelte, für die königliche Bibliothek einen neuen Leiter zu ernennen, schöpfte man noch einmal weitreichende Hoffnungen: man schlug erst Winckelmann, dann Lessing vor. Als aber diese beiden größten deutschen Schriftsteller der Zeit von dein Könige kurzer Hand zurückgewiesen wurden, entsagte man unwillig allen den lockenden Aussichten auf eine deutsche Akademie zu Berlin, und Lessing wandte sich in grollender Bitterkeit. Was hier nicht gelungen war, sollte jetzt noch einmal in der Kaiserstadt versucht werden: dem jungen Joseph II. brachte man seit 1765 alle jene hochfliegenden Hoffnungen entgegen, die in Preußen so schmerzlich enttäuscht wordeu waren, Wien sollte die litterarische Hauptstadt Deutschlands werden. Die eifrigsten Vertreter dieses Gedankens wurden Klopstock, Lessing, Wieland und Herder. Klopstock arbeitete einen umfnsfeudeu Entwurf zur Gründung einer Akademie der schönen, der philosophischen und der geschichtlichen Wissenschaften aus, deu er zugleich mit der Widmung seiner „Hermannsschlacht" dem Kaiser im Früh¬ jahr 1768 überreichen ließ. Der Kaiser nahm die Widmung gnädig an, aber die Akademiepläne fanden keinerlei Berücksichtigung. Klopstock rächte sich in einer grollenden Ode. Viel leidenschaftlicher nahm Lessing die Sache. Mit einem merkwürdigen Eigensinn hielt er jahrelang an der einmal erfaßten Hoffnung fest, bis ihn ein Aufenthalt in Wien 1775 von ihrer völligen Aus¬ sichtslosigkeit überzeugte. Wieland hegte den Traum einer Wiener Akademie sogar bis in das Jahr 1786 und sprach mit Begeisterung von dem großen „Brennpunkt," in dem sich die größten Geisteskräfte vereinigen würden, um felbst das Jahrhundert Ludwigs des Vierzehnten zu verdunkeln. Wir wissen heute, daß der Gedanke einer deutschen Akademie in Wien und eines mit ihr anbrechenden goldnen Zeitalters der Litteratur, so sehr er ein Jahrzehnt hin¬ durch das nördliche Deutschland in Atem hielt, lediglich von kunstsinnigen Privatleuten ausging und von oben her niemals ernstlich erwogen wurde. Herder, der 1780 mit einer schwungvollen Ode an Joseph II. an solchen Hoffnungen teil genommen hatte, hatte doch schon in seinen „Fragmenten," im Gegensatz zu den Litteraturbriefen, die Überzeugung verkündet, daß eine Zentralisirung unsers litterarischen Lebens in einer maßgebenden Hauptstadt sowohl unsrer eigentümlichen Geistesanlage, wie unsern geschichtlichen Voraus- setzungen Widerstreite. In der That sehen wir um das Jahr 1770 die litte¬ rarische Bedeutung von Leipzig und Berlin völlig zurücktreten hinter einer Vielheit geistiger Mittelpunkte, die sich zu rühmlichem Wetteifer rüsten: Darm-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/321>, abgerufen am 24.07.2024.