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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

Dagegen trat die Bedeutung der Gesellschaft schlagender in einer Reihe
von Nachahmungen hervor, zu denen sie an verschiednen Orten Deutschlands
Anlaß gab, von denen aber keine eine ähnliche Wirksamkeit zu entfalten ver¬
mochte. Im Jahre 1633 wurde zu Straßburg die Aufrichtige Gesellschaft
von der Taimen gestiftet, in der besonders Rvmpler von Löwenhalt,
Sehnender und Weckherlin hervortreten. Das wichtigste Werk, womit diese
Gesellschaft in die Sprachbewegung eingriff, war Schills "Ehrenkranz der
deutschen Sprache" (1644); ihr Andenken war noch 1680 lebendig. 1643
gründete Philipp von Zehen in Hamburg die Deutschgesinnte Genossenschaft,
auch Nvseugcsellschaft benannt; neben Schriftstellern wie Moschervsch, Hars-
dörfer, Klai, Birken, Nompler von Löwenhalt und Schwieger nahm sie auch
Frauen, wie die Dichterin Katharina von Greiffenberg, auf. Die Seele der
Gesellschaft war Zehen, der für den Ausbau einer deutscheu Prosa auch durch
zahlreiche Übersetzungen unterhaltender, erbaulicher, sprachwissenschaftlicher und
geschichtlicher Arbeiten thätig war. Zehen war eine sprachbildende Kraft ersten
Ranges; ihm verdanken wir eine große Zahl trefflicher Neubildungen, wie Ab¬
stand, Augenblick, Brettspiel, Ebenbild, Erörterung, Gegenfüßler, Gotteshaus
(für Tempel), Handschrift, Höfling, leutselig, lustwandeln, Ratschluß, Scheelsucht,
Sinngedicht, Spitzfindigkeit, Wechselgesang n. a. Wenn ihn sein schöpferischer
Sprachtrieb zuweilen ins Grenzenlose riß und sogar Lehnwörter und Namen ver¬
deutschen wollte, so geschah dies ausdrücklich ohne den Anspruch, solche Neubil-
dungen andern aufzudrängen, sondern lediglich in der jugendlich ungestümen Freude
an der immer überraschender sich offenbarenden und zu immer neuen Versuchen
einladenden Bildsamkeit der geliebten Muttersprache. Dennoch gab diese im
Grunde gesunde, aber ungezügelte Neigung ebenso viel Ärgernis, wie seine
Bemühung, die undeutschen Buchstaben unsers Alphabets auszumerzen und in
der Rechtschreibung die Aussprache getreu nachzubilden. Die Fruchtbringende
Gesellschaft uneben ihn in ihre Mitte auf, aber nicht ohne sich gegen seine
Neuerungen gelegentlich sehr entschieden zu wehren. Auch die Deutschgesinnte
Genossenschaft bestand bis in den Anfang des achtzehnte,? Jahrhunderts, aber
die von ihr ausgegangenen grammatischen Schriften sind ohne Bedeutung ge¬
blieben. Mehr eine Dichter- als eine Sprachgesellschaft war der 1644 be¬
gründete und noch bellte bestehende Vlninenorden der Pegnitzschäfer zu Nürn¬
berg; was in ihm Harsdörsser, Klai und Siegmund von Birken für die
Reinheit der Sprache wirkten, haben sie eben als Mitglieder der Frucht¬
bringendem Gesellschaft und der Deutsch gesinnten Genossenschaft geleistet. Nur
zehn Jahre bestand der 1656 von Johann Rist gestiftete, im ganzen wirkungs¬
lose Elbschwauenorden. Wenig unterrichtet sind wir über den Belorbeerten
Taubenorden, die Tentschliebende Gesellschaft, die sich in der Hauptsache
geschichtliche Erforschung der Sprache zur Aufgabe stellte, und den Leopolds-
vrden.


Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

Dagegen trat die Bedeutung der Gesellschaft schlagender in einer Reihe
von Nachahmungen hervor, zu denen sie an verschiednen Orten Deutschlands
Anlaß gab, von denen aber keine eine ähnliche Wirksamkeit zu entfalten ver¬
mochte. Im Jahre 1633 wurde zu Straßburg die Aufrichtige Gesellschaft
von der Taimen gestiftet, in der besonders Rvmpler von Löwenhalt,
Sehnender und Weckherlin hervortreten. Das wichtigste Werk, womit diese
Gesellschaft in die Sprachbewegung eingriff, war Schills „Ehrenkranz der
deutschen Sprache" (1644); ihr Andenken war noch 1680 lebendig. 1643
gründete Philipp von Zehen in Hamburg die Deutschgesinnte Genossenschaft,
auch Nvseugcsellschaft benannt; neben Schriftstellern wie Moschervsch, Hars-
dörfer, Klai, Birken, Nompler von Löwenhalt und Schwieger nahm sie auch
Frauen, wie die Dichterin Katharina von Greiffenberg, auf. Die Seele der
Gesellschaft war Zehen, der für den Ausbau einer deutscheu Prosa auch durch
zahlreiche Übersetzungen unterhaltender, erbaulicher, sprachwissenschaftlicher und
geschichtlicher Arbeiten thätig war. Zehen war eine sprachbildende Kraft ersten
Ranges; ihm verdanken wir eine große Zahl trefflicher Neubildungen, wie Ab¬
stand, Augenblick, Brettspiel, Ebenbild, Erörterung, Gegenfüßler, Gotteshaus
(für Tempel), Handschrift, Höfling, leutselig, lustwandeln, Ratschluß, Scheelsucht,
Sinngedicht, Spitzfindigkeit, Wechselgesang n. a. Wenn ihn sein schöpferischer
Sprachtrieb zuweilen ins Grenzenlose riß und sogar Lehnwörter und Namen ver¬
deutschen wollte, so geschah dies ausdrücklich ohne den Anspruch, solche Neubil-
dungen andern aufzudrängen, sondern lediglich in der jugendlich ungestümen Freude
an der immer überraschender sich offenbarenden und zu immer neuen Versuchen
einladenden Bildsamkeit der geliebten Muttersprache. Dennoch gab diese im
Grunde gesunde, aber ungezügelte Neigung ebenso viel Ärgernis, wie seine
Bemühung, die undeutschen Buchstaben unsers Alphabets auszumerzen und in
der Rechtschreibung die Aussprache getreu nachzubilden. Die Fruchtbringende
Gesellschaft uneben ihn in ihre Mitte auf, aber nicht ohne sich gegen seine
Neuerungen gelegentlich sehr entschieden zu wehren. Auch die Deutschgesinnte
Genossenschaft bestand bis in den Anfang des achtzehnte,? Jahrhunderts, aber
die von ihr ausgegangenen grammatischen Schriften sind ohne Bedeutung ge¬
blieben. Mehr eine Dichter- als eine Sprachgesellschaft war der 1644 be¬
gründete und noch bellte bestehende Vlninenorden der Pegnitzschäfer zu Nürn¬
berg; was in ihm Harsdörsser, Klai und Siegmund von Birken für die
Reinheit der Sprache wirkten, haben sie eben als Mitglieder der Frucht¬
bringendem Gesellschaft und der Deutsch gesinnten Genossenschaft geleistet. Nur
zehn Jahre bestand der 1656 von Johann Rist gestiftete, im ganzen wirkungs¬
lose Elbschwauenorden. Wenig unterrichtet sind wir über den Belorbeerten
Taubenorden, die Tentschliebende Gesellschaft, die sich in der Hauptsache
geschichtliche Erforschung der Sprache zur Aufgabe stellte, und den Leopolds-
vrden.


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[0316] Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie Dagegen trat die Bedeutung der Gesellschaft schlagender in einer Reihe von Nachahmungen hervor, zu denen sie an verschiednen Orten Deutschlands Anlaß gab, von denen aber keine eine ähnliche Wirksamkeit zu entfalten ver¬ mochte. Im Jahre 1633 wurde zu Straßburg die Aufrichtige Gesellschaft von der Taimen gestiftet, in der besonders Rvmpler von Löwenhalt, Sehnender und Weckherlin hervortreten. Das wichtigste Werk, womit diese Gesellschaft in die Sprachbewegung eingriff, war Schills „Ehrenkranz der deutschen Sprache" (1644); ihr Andenken war noch 1680 lebendig. 1643 gründete Philipp von Zehen in Hamburg die Deutschgesinnte Genossenschaft, auch Nvseugcsellschaft benannt; neben Schriftstellern wie Moschervsch, Hars- dörfer, Klai, Birken, Nompler von Löwenhalt und Schwieger nahm sie auch Frauen, wie die Dichterin Katharina von Greiffenberg, auf. Die Seele der Gesellschaft war Zehen, der für den Ausbau einer deutscheu Prosa auch durch zahlreiche Übersetzungen unterhaltender, erbaulicher, sprachwissenschaftlicher und geschichtlicher Arbeiten thätig war. Zehen war eine sprachbildende Kraft ersten Ranges; ihm verdanken wir eine große Zahl trefflicher Neubildungen, wie Ab¬ stand, Augenblick, Brettspiel, Ebenbild, Erörterung, Gegenfüßler, Gotteshaus (für Tempel), Handschrift, Höfling, leutselig, lustwandeln, Ratschluß, Scheelsucht, Sinngedicht, Spitzfindigkeit, Wechselgesang n. a. Wenn ihn sein schöpferischer Sprachtrieb zuweilen ins Grenzenlose riß und sogar Lehnwörter und Namen ver¬ deutschen wollte, so geschah dies ausdrücklich ohne den Anspruch, solche Neubil- dungen andern aufzudrängen, sondern lediglich in der jugendlich ungestümen Freude an der immer überraschender sich offenbarenden und zu immer neuen Versuchen einladenden Bildsamkeit der geliebten Muttersprache. Dennoch gab diese im Grunde gesunde, aber ungezügelte Neigung ebenso viel Ärgernis, wie seine Bemühung, die undeutschen Buchstaben unsers Alphabets auszumerzen und in der Rechtschreibung die Aussprache getreu nachzubilden. Die Fruchtbringende Gesellschaft uneben ihn in ihre Mitte auf, aber nicht ohne sich gegen seine Neuerungen gelegentlich sehr entschieden zu wehren. Auch die Deutschgesinnte Genossenschaft bestand bis in den Anfang des achtzehnte,? Jahrhunderts, aber die von ihr ausgegangenen grammatischen Schriften sind ohne Bedeutung ge¬ blieben. Mehr eine Dichter- als eine Sprachgesellschaft war der 1644 be¬ gründete und noch bellte bestehende Vlninenorden der Pegnitzschäfer zu Nürn¬ berg; was in ihm Harsdörsser, Klai und Siegmund von Birken für die Reinheit der Sprache wirkten, haben sie eben als Mitglieder der Frucht¬ bringendem Gesellschaft und der Deutsch gesinnten Genossenschaft geleistet. Nur zehn Jahre bestand der 1656 von Johann Rist gestiftete, im ganzen wirkungs¬ lose Elbschwauenorden. Wenig unterrichtet sind wir über den Belorbeerten Taubenorden, die Tentschliebende Gesellschaft, die sich in der Hauptsache geschichtliche Erforschung der Sprache zur Aufgabe stellte, und den Leopolds- vrden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/316>, abgerufen am 24.07.2024.