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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

In alleil diesen Gesellschaften kommt das Gefühl zum Ausdruck, daß
man nicht nur einer nationalen Wiedergeburt der Sprache und Litteratur,
sondern überhaupt höhern sittlichen Zuständen entgegengehe; daher in allen
die schöne Betonung religiöser Duldsamkeit, christlicher Frömmigkeit, deutscher
Treue und aller sittlichen Tugenden. Eben darin spricht sich wieder die
Sehnsucht nach einem friedlich geeinigten Deutschland aus, wie besonders in
einem höchst beachtenswerten Seitenschößling der Fruchtbringenden Gesellschaft
hervortritt: in der seit 1619 bestehenden, von einer Schwester des Fürsten
Ludwig geleiteten Tugendlichen Gesellschaft, einer Vereinigung gekrönter und
üblicher Frauen, die in ihrem Kreise eine einträchtige Glaubensfreiheit, die
Pflege aller christlichen, häuslichen und gesellschaftlichen Tugenden anstrebten,
für die Muttersprache als Grundlage des Schulwesens eintraten, in ihren
Kundgebungen sich eines edeln, unvermischten deutschen Ausdruckes befleißigten,
ja sogar eine sittliche Wirkung auf die Nation durch die Macht der Weiblich¬
keit ins Auge faßten.

Fehlte es dem nationalen Streben dieser Gesellschaften nicht an mancherlei
rühriger Gegnerschaft, so offenbarte sich die Echtheit seines Gehaltes in der
stetig wachsenden und immer durchgreifender sich gestaltenden Wirksamkeit ihrer
Fortsetzer, von denen zunächst Leibniz und Gottsched zu nennen sind.

Leibniz führte die Spracharbeit Schottels weiter. In seiner erst seit
1846 bekannt gewordenen "Ermahnung an die Teutsche, ihren Verstand und
Sprache besser zu üben" dringt er ans die Ausbildung einer wissenschaftlichen
Prosa, auf die Vervollkommnung der Sprache durch das Streben nach Rein¬
heit und Gesetzmäßigkeit und ihre Anwendung auf alleu Gebieten des Lebens;
insbesondre sollten die Gelehrten nicht für Gelehrte, sondern für die Nation
schreiben: nur dadurch sei die Ehre der deutschen Sprache bei den Ausländern
zu retten und ihr Ansehen bei den undeutsch gesinnten Deutschen festzustellen.
Und zu diesem Zweck plant er die Aufrichtung einer unter höherm Schutze
stehenden Teutschgesinnten Gesellschaft, deren Absehen auf alles das gerichtet
sein solle, was den deutscheu Ruhm erhalten oder wieder aufrichte" könne,
und dazu müsse ihr vornehmstes Werkzeug die deutsche Sprache sein, für
deren Würde und hingebende Pflege die "Unvorgreiflichen Gedanken" mit
patriotischem Eifer eintreten. Leibniz verlangt, wie Schotte!, eine vollständige
Sammlung des deutschen Sprachschatzes nach drei Richtungen: ein Wörter¬
buch der Schrift- und Verkehrssprache, eins der Kunstworte (also ein technisches
Wörterbuch im weitesten Sinne) und ein etymologisches, das er "Sprachquell"
nannte, und von dem er Bereicherungen des Wortschatzes aus ältern Sprach--
Stufen und aus den Mundarten erhoffte. Diese Leistung müsse vou einer
Vereinigung gelehrter Männer ausgehen, deren Aufgabe nicht nur die Be¬
reicherung und Reinigung der Muttersprache sein müsse, nicht nur die gram¬
matische Festigung des Hochdeutschen gegenüber den Mundarten, sondern auch


Grenzboten II 1891 40
Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie

In alleil diesen Gesellschaften kommt das Gefühl zum Ausdruck, daß
man nicht nur einer nationalen Wiedergeburt der Sprache und Litteratur,
sondern überhaupt höhern sittlichen Zuständen entgegengehe; daher in allen
die schöne Betonung religiöser Duldsamkeit, christlicher Frömmigkeit, deutscher
Treue und aller sittlichen Tugenden. Eben darin spricht sich wieder die
Sehnsucht nach einem friedlich geeinigten Deutschland aus, wie besonders in
einem höchst beachtenswerten Seitenschößling der Fruchtbringenden Gesellschaft
hervortritt: in der seit 1619 bestehenden, von einer Schwester des Fürsten
Ludwig geleiteten Tugendlichen Gesellschaft, einer Vereinigung gekrönter und
üblicher Frauen, die in ihrem Kreise eine einträchtige Glaubensfreiheit, die
Pflege aller christlichen, häuslichen und gesellschaftlichen Tugenden anstrebten,
für die Muttersprache als Grundlage des Schulwesens eintraten, in ihren
Kundgebungen sich eines edeln, unvermischten deutschen Ausdruckes befleißigten,
ja sogar eine sittliche Wirkung auf die Nation durch die Macht der Weiblich¬
keit ins Auge faßten.

Fehlte es dem nationalen Streben dieser Gesellschaften nicht an mancherlei
rühriger Gegnerschaft, so offenbarte sich die Echtheit seines Gehaltes in der
stetig wachsenden und immer durchgreifender sich gestaltenden Wirksamkeit ihrer
Fortsetzer, von denen zunächst Leibniz und Gottsched zu nennen sind.

Leibniz führte die Spracharbeit Schottels weiter. In seiner erst seit
1846 bekannt gewordenen „Ermahnung an die Teutsche, ihren Verstand und
Sprache besser zu üben" dringt er ans die Ausbildung einer wissenschaftlichen
Prosa, auf die Vervollkommnung der Sprache durch das Streben nach Rein¬
heit und Gesetzmäßigkeit und ihre Anwendung auf alleu Gebieten des Lebens;
insbesondre sollten die Gelehrten nicht für Gelehrte, sondern für die Nation
schreiben: nur dadurch sei die Ehre der deutschen Sprache bei den Ausländern
zu retten und ihr Ansehen bei den undeutsch gesinnten Deutschen festzustellen.
Und zu diesem Zweck plant er die Aufrichtung einer unter höherm Schutze
stehenden Teutschgesinnten Gesellschaft, deren Absehen auf alles das gerichtet
sein solle, was den deutscheu Ruhm erhalten oder wieder aufrichte» könne,
und dazu müsse ihr vornehmstes Werkzeug die deutsche Sprache sein, für
deren Würde und hingebende Pflege die „Unvorgreiflichen Gedanken" mit
patriotischem Eifer eintreten. Leibniz verlangt, wie Schotte!, eine vollständige
Sammlung des deutschen Sprachschatzes nach drei Richtungen: ein Wörter¬
buch der Schrift- und Verkehrssprache, eins der Kunstworte (also ein technisches
Wörterbuch im weitesten Sinne) und ein etymologisches, das er „Sprachquell"
nannte, und von dem er Bereicherungen des Wortschatzes aus ältern Sprach--
Stufen und aus den Mundarten erhoffte. Diese Leistung müsse vou einer
Vereinigung gelehrter Männer ausgehen, deren Aufgabe nicht nur die Be¬
reicherung und Reinigung der Muttersprache sein müsse, nicht nur die gram¬
matische Festigung des Hochdeutschen gegenüber den Mundarten, sondern auch


Grenzboten II 1891 40
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[0317] Der Gedanke einer deutschen Sprachakademie In alleil diesen Gesellschaften kommt das Gefühl zum Ausdruck, daß man nicht nur einer nationalen Wiedergeburt der Sprache und Litteratur, sondern überhaupt höhern sittlichen Zuständen entgegengehe; daher in allen die schöne Betonung religiöser Duldsamkeit, christlicher Frömmigkeit, deutscher Treue und aller sittlichen Tugenden. Eben darin spricht sich wieder die Sehnsucht nach einem friedlich geeinigten Deutschland aus, wie besonders in einem höchst beachtenswerten Seitenschößling der Fruchtbringenden Gesellschaft hervortritt: in der seit 1619 bestehenden, von einer Schwester des Fürsten Ludwig geleiteten Tugendlichen Gesellschaft, einer Vereinigung gekrönter und üblicher Frauen, die in ihrem Kreise eine einträchtige Glaubensfreiheit, die Pflege aller christlichen, häuslichen und gesellschaftlichen Tugenden anstrebten, für die Muttersprache als Grundlage des Schulwesens eintraten, in ihren Kundgebungen sich eines edeln, unvermischten deutschen Ausdruckes befleißigten, ja sogar eine sittliche Wirkung auf die Nation durch die Macht der Weiblich¬ keit ins Auge faßten. Fehlte es dem nationalen Streben dieser Gesellschaften nicht an mancherlei rühriger Gegnerschaft, so offenbarte sich die Echtheit seines Gehaltes in der stetig wachsenden und immer durchgreifender sich gestaltenden Wirksamkeit ihrer Fortsetzer, von denen zunächst Leibniz und Gottsched zu nennen sind. Leibniz führte die Spracharbeit Schottels weiter. In seiner erst seit 1846 bekannt gewordenen „Ermahnung an die Teutsche, ihren Verstand und Sprache besser zu üben" dringt er ans die Ausbildung einer wissenschaftlichen Prosa, auf die Vervollkommnung der Sprache durch das Streben nach Rein¬ heit und Gesetzmäßigkeit und ihre Anwendung auf alleu Gebieten des Lebens; insbesondre sollten die Gelehrten nicht für Gelehrte, sondern für die Nation schreiben: nur dadurch sei die Ehre der deutschen Sprache bei den Ausländern zu retten und ihr Ansehen bei den undeutsch gesinnten Deutschen festzustellen. Und zu diesem Zweck plant er die Aufrichtung einer unter höherm Schutze stehenden Teutschgesinnten Gesellschaft, deren Absehen auf alles das gerichtet sein solle, was den deutscheu Ruhm erhalten oder wieder aufrichte» könne, und dazu müsse ihr vornehmstes Werkzeug die deutsche Sprache sein, für deren Würde und hingebende Pflege die „Unvorgreiflichen Gedanken" mit patriotischem Eifer eintreten. Leibniz verlangt, wie Schotte!, eine vollständige Sammlung des deutschen Sprachschatzes nach drei Richtungen: ein Wörter¬ buch der Schrift- und Verkehrssprache, eins der Kunstworte (also ein technisches Wörterbuch im weitesten Sinne) und ein etymologisches, das er „Sprachquell" nannte, und von dem er Bereicherungen des Wortschatzes aus ältern Sprach-- Stufen und aus den Mundarten erhoffte. Diese Leistung müsse vou einer Vereinigung gelehrter Männer ausgehen, deren Aufgabe nicht nur die Be¬ reicherung und Reinigung der Muttersprache sein müsse, nicht nur die gram¬ matische Festigung des Hochdeutschen gegenüber den Mundarten, sondern auch Grenzboten II 1891 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/317>, abgerufen am 24.07.2024.