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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der Gedanke einer deutschen Sprachakadeinie

Genossen überwachte, sich nicht geringere Verdienste um die Hebung und Wert¬
schätzung des Deutschen erwarb, als durch die sprachlichen und metrischen
Untersuchungen, die er anregte. Von Anfang an war aber das Absehen der
Gesellschaft gerichtet auf eine Sprachlehre, ein Wörterbuch, eine Rechtschreibung
und eine Poetik. Die "Deutsche Rechtschreibung" von Christian Gueinz (1645)
wurde nicht nur von den meisten Gelehrten, sondern auch vou den Kanzleien
angenommen. Die Sprachlehre desselben Verfassers, deren Entwurf von dem
Fürsten selbst, von Schottet. Buchner und Dietrich von dem Werber begut¬
achtet worden war, ging 1641 in Druck. Gleichzeitig kam Schottels "Teutsche
Sprachkunst" heraus, aus der sein großes Sprachwissenschaftliches Werk von 1663
hervorwuchs, das erste, worin die Behandlung der Sprache Selbstzweck ge¬
worden ist, denn was an grammatischen Arbeiten vvransliegt, war im wesent¬
lichen für die Bedürfnisse des Lese- und Schreibunterrichts oder für Ausländer
bestimmt gewesen. In diesem Werke war, wie schon vorher von Gueinz, der
Plan eines deutschen Wörterbuches erörtert, das von dem Zusammenwirken
mehrerer Gelehrten erwartet wurde. Die Aufgabe wurde 16ö1 durch Kaspar
Stielers Teutschen Sprachschatz nicht unrühmlich erfüllt; derselbe hatte schon
1673 einen mehrfach aufgelegten deutscheu Briefsteller herausgegeben. Über
metrische und prosvdische Fragen wurden in dem Briefwechsel der Gesellschaft
ernste Erörterungen gepflogen, beinahe alle Gesichtspunkte, die hente gegen die
Fremdwörter vorgebracht werden, wurden hier bereits festgestellt, schon hier
trat mau für die Wiederbelebung veralteter und die Aufnahme mundartlicher
Wörter ein, man erwog die Frage, ob der Sprachgebrauch oder die Regel
des Grammatikers maßgebend sein solle, und mau bereicherte unsern Wortschatz
durch eine große Meuge glücklicher Neuprägungen ans dem Wege der Ableitung
und Zusaiinnensetzung, besonders die Ausdrucksweise der Grammatik (Abhand¬
lung, Beugung, Beiwort, Beispiel, Endung, Lehrsatz, Mitlanter, Selbstlauter,
Nennwort, Verskunst, Wortforschung, Zahlwort u. s. w.).

Die Gesellschaft war bald eine geistige Macht in Deutschland geworden.
Die Dichter glaubten ihre Werke zu ehren, wenn sie sich auf dem Titelblatte
als ihre Mitglieder bezeichnen durften. Ein Mann wie Moscherosch stellte
das "hochweiseste Urteil" der "hochlöblichen" Fruchtbringenden "nächst Gott
und dem Vaterland" am höchsten, und Philipp von Zehen ist voll Bewunde¬
rung, wie diese Gesellschaft "die edle deutsche Muttersprache aus dem Schlamm
des Verderbens und der Vergeßlichkeit" emporgehoben. Freilich blieben auch
Anfeindungen nicht aus: gleich nach der Begründung der Fruchtbringenden
stiftete die Gattin Christians I. von Bernburg einen Orclrö cis 1^ ?a1eng Ä'or,
eine Art von parodistischem Gegenstück, um französische Sprache und Bildung
zu fördern; dieser Orden hatte ebenso wenig ein langes Leben wie die schäfer¬
liche ^,<za<lLini"z ctss vrai8 Aing-mes, an der sogar Mitglieder der Fruchtbringenden
beteiligt waren.


Der Gedanke einer deutschen Sprachakadeinie

Genossen überwachte, sich nicht geringere Verdienste um die Hebung und Wert¬
schätzung des Deutschen erwarb, als durch die sprachlichen und metrischen
Untersuchungen, die er anregte. Von Anfang an war aber das Absehen der
Gesellschaft gerichtet auf eine Sprachlehre, ein Wörterbuch, eine Rechtschreibung
und eine Poetik. Die „Deutsche Rechtschreibung" von Christian Gueinz (1645)
wurde nicht nur von den meisten Gelehrten, sondern auch vou den Kanzleien
angenommen. Die Sprachlehre desselben Verfassers, deren Entwurf von dem
Fürsten selbst, von Schottet. Buchner und Dietrich von dem Werber begut¬
achtet worden war, ging 1641 in Druck. Gleichzeitig kam Schottels „Teutsche
Sprachkunst" heraus, aus der sein großes Sprachwissenschaftliches Werk von 1663
hervorwuchs, das erste, worin die Behandlung der Sprache Selbstzweck ge¬
worden ist, denn was an grammatischen Arbeiten vvransliegt, war im wesent¬
lichen für die Bedürfnisse des Lese- und Schreibunterrichts oder für Ausländer
bestimmt gewesen. In diesem Werke war, wie schon vorher von Gueinz, der
Plan eines deutschen Wörterbuches erörtert, das von dem Zusammenwirken
mehrerer Gelehrten erwartet wurde. Die Aufgabe wurde 16ö1 durch Kaspar
Stielers Teutschen Sprachschatz nicht unrühmlich erfüllt; derselbe hatte schon
1673 einen mehrfach aufgelegten deutscheu Briefsteller herausgegeben. Über
metrische und prosvdische Fragen wurden in dem Briefwechsel der Gesellschaft
ernste Erörterungen gepflogen, beinahe alle Gesichtspunkte, die hente gegen die
Fremdwörter vorgebracht werden, wurden hier bereits festgestellt, schon hier
trat mau für die Wiederbelebung veralteter und die Aufnahme mundartlicher
Wörter ein, man erwog die Frage, ob der Sprachgebrauch oder die Regel
des Grammatikers maßgebend sein solle, und mau bereicherte unsern Wortschatz
durch eine große Meuge glücklicher Neuprägungen ans dem Wege der Ableitung
und Zusaiinnensetzung, besonders die Ausdrucksweise der Grammatik (Abhand¬
lung, Beugung, Beiwort, Beispiel, Endung, Lehrsatz, Mitlanter, Selbstlauter,
Nennwort, Verskunst, Wortforschung, Zahlwort u. s. w.).

Die Gesellschaft war bald eine geistige Macht in Deutschland geworden.
Die Dichter glaubten ihre Werke zu ehren, wenn sie sich auf dem Titelblatte
als ihre Mitglieder bezeichnen durften. Ein Mann wie Moscherosch stellte
das „hochweiseste Urteil" der „hochlöblichen" Fruchtbringenden „nächst Gott
und dem Vaterland" am höchsten, und Philipp von Zehen ist voll Bewunde¬
rung, wie diese Gesellschaft „die edle deutsche Muttersprache aus dem Schlamm
des Verderbens und der Vergeßlichkeit" emporgehoben. Freilich blieben auch
Anfeindungen nicht aus: gleich nach der Begründung der Fruchtbringenden
stiftete die Gattin Christians I. von Bernburg einen Orclrö cis 1^ ?a1eng Ä'or,
eine Art von parodistischem Gegenstück, um französische Sprache und Bildung
zu fördern; dieser Orden hatte ebenso wenig ein langes Leben wie die schäfer¬
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beteiligt waren.


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[0315] Der Gedanke einer deutschen Sprachakadeinie Genossen überwachte, sich nicht geringere Verdienste um die Hebung und Wert¬ schätzung des Deutschen erwarb, als durch die sprachlichen und metrischen Untersuchungen, die er anregte. Von Anfang an war aber das Absehen der Gesellschaft gerichtet auf eine Sprachlehre, ein Wörterbuch, eine Rechtschreibung und eine Poetik. Die „Deutsche Rechtschreibung" von Christian Gueinz (1645) wurde nicht nur von den meisten Gelehrten, sondern auch vou den Kanzleien angenommen. Die Sprachlehre desselben Verfassers, deren Entwurf von dem Fürsten selbst, von Schottet. Buchner und Dietrich von dem Werber begut¬ achtet worden war, ging 1641 in Druck. Gleichzeitig kam Schottels „Teutsche Sprachkunst" heraus, aus der sein großes Sprachwissenschaftliches Werk von 1663 hervorwuchs, das erste, worin die Behandlung der Sprache Selbstzweck ge¬ worden ist, denn was an grammatischen Arbeiten vvransliegt, war im wesent¬ lichen für die Bedürfnisse des Lese- und Schreibunterrichts oder für Ausländer bestimmt gewesen. In diesem Werke war, wie schon vorher von Gueinz, der Plan eines deutschen Wörterbuches erörtert, das von dem Zusammenwirken mehrerer Gelehrten erwartet wurde. Die Aufgabe wurde 16ö1 durch Kaspar Stielers Teutschen Sprachschatz nicht unrühmlich erfüllt; derselbe hatte schon 1673 einen mehrfach aufgelegten deutscheu Briefsteller herausgegeben. Über metrische und prosvdische Fragen wurden in dem Briefwechsel der Gesellschaft ernste Erörterungen gepflogen, beinahe alle Gesichtspunkte, die hente gegen die Fremdwörter vorgebracht werden, wurden hier bereits festgestellt, schon hier trat mau für die Wiederbelebung veralteter und die Aufnahme mundartlicher Wörter ein, man erwog die Frage, ob der Sprachgebrauch oder die Regel des Grammatikers maßgebend sein solle, und mau bereicherte unsern Wortschatz durch eine große Meuge glücklicher Neuprägungen ans dem Wege der Ableitung und Zusaiinnensetzung, besonders die Ausdrucksweise der Grammatik (Abhand¬ lung, Beugung, Beiwort, Beispiel, Endung, Lehrsatz, Mitlanter, Selbstlauter, Nennwort, Verskunst, Wortforschung, Zahlwort u. s. w.). Die Gesellschaft war bald eine geistige Macht in Deutschland geworden. Die Dichter glaubten ihre Werke zu ehren, wenn sie sich auf dem Titelblatte als ihre Mitglieder bezeichnen durften. Ein Mann wie Moscherosch stellte das „hochweiseste Urteil" der „hochlöblichen" Fruchtbringenden „nächst Gott und dem Vaterland" am höchsten, und Philipp von Zehen ist voll Bewunde¬ rung, wie diese Gesellschaft „die edle deutsche Muttersprache aus dem Schlamm des Verderbens und der Vergeßlichkeit" emporgehoben. Freilich blieben auch Anfeindungen nicht aus: gleich nach der Begründung der Fruchtbringenden stiftete die Gattin Christians I. von Bernburg einen Orclrö cis 1^ ?a1eng Ä'or, eine Art von parodistischem Gegenstück, um französische Sprache und Bildung zu fördern; dieser Orden hatte ebenso wenig ein langes Leben wie die schäfer¬ liche ^,<za<lLini«z ctss vrai8 Aing-mes, an der sogar Mitglieder der Fruchtbringenden beteiligt waren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/315>, abgerufen am 24.07.2024.