Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

nach Kräfte" auf Abhilfe bedacht sein, wenn er sich anch bewußt ist, daß er
so wenig wie Vebcl ein Paradies auf Erden schassen kann.

Die Entwicklung des Rechtes an Grund und Boden ist wohl bei allen
Kulturvölkern im große" und ganzen dieselbe. In ihrem Beginn, bei dem
Jäger- und Hirtenvolke, hat der Boden nur Wert als Jagd- und Weidegrund,
jeder Stamm hat seine eig"en Gründe, wenn auch mit ziemlich unsichern Grenzen,
von einem Sonderrecht der einzelnen Stammesgenossen ist hier noch keine Rede.
Erst wenn der Stamm oder das Volk seßhaft wird und zum Ackerbau über¬
geht, gelangt Grund und Boden zu höherer Schätzung, es bildet sich die fest¬
begrenzte Mark als Gemein- oder Gemeindeeigentnm. Hiermit ist die Möglichkeit,
aber noch nicht notwendig die Wirklichkeit von Sonderrechten der Einzelnen
innerhalb der Mark gegeben, die sich nun in verschiedner Weise gestalten: dem
Einzelnen kann sein Ackerlos auf Zeit oder ans Lebenszeit oder -- für sich
und sein Geschlecht -- über die Lebenszeit hinaus, als Erbgut, zugemessen
werden; das Recht des Einzelnen ist ursprünglich ein Recht an fremder Sache,
nämlich ein (mehr oder weniger umfassendes) Recht an einem Stück der Gemeinde-
markung, des der Gemeinde gehörigen Grundes und Bodens, der Eigennutz,
der "Individualismus," trachtet aber darnach, das Recht der Gemeinde immer
mehr zurückzudrängen und das eigne Recht zum volle" Eigentums- oder
Herrschaftsrecht zu erhebe" in der Art, daß der Grund und Boden räumlich
zwar zur Gemeindemarkuiig, rechtlich aber "icht mehr der Gemeinde gehört.
Es ist dies dasselbe Streben auf privatrechtlichen Gebiet, dem wir in der
Geschichte vielfach auf staatsrechtlichen Gebiet begegnen; man denke nur an
die Entwicklung der Territorialsouveräuität in Deutschland, die scheinbar zum
vollen Triumph des Individualismus führte, bis sie vor zwanzig Jahren eine
gesunde Rückbildung erfuhr. Eine solche Rückbildung (nicht Aufhebung) wün¬
schen wir auch dem Recht an Grund und Boden.

Im alten Rom hat jener Individualismus vollständig gesiegt -- es sei
nur an die Kämpfe um den "gor Iionurnu8 erinnert --, das Eigentum an
Grund und Boden steht nach römischem Recht dem Eigentum an beweglichen
Sachen ganz gleich. Dem deutscheu Recht ist diese Gleichheit fremd; auf der
einen Seite genießt das Recht am Grundbesitz einen stärkern Schutz als das
Recht an der fahrenden Habe, auf der andern Seite aber ist jenes Recht in¬
haltlich uicht so unifassend wie dieses, und die Verschiedenheit beider Arten
von Rechten hat sich trotz der Aufnahme des römischen Rechts in vielen Be¬
ziehungen erhalten, der rvmischrechtliche Eigentumsbegriff ist i" seiner ganze"
Stre"ge in der Anwendung auf Grund und Boden in Deutschland wohl nie
zu voller Herrschaft gelangt (das beweist schon die Geschichte der sogenannten
Regalien), "ut soweit er dazu gelaugt ist, hat er in neuerer Zeit mannichfache
Abschwächungen erfahren, die sich freilich, weil es der Gesetzgebung an einem
klaren Grundsatz über das fragliche Recht gebrach und gebricht, äußerlich als


nach Kräfte» auf Abhilfe bedacht sein, wenn er sich anch bewußt ist, daß er
so wenig wie Vebcl ein Paradies auf Erden schassen kann.

Die Entwicklung des Rechtes an Grund und Boden ist wohl bei allen
Kulturvölkern im große» und ganzen dieselbe. In ihrem Beginn, bei dem
Jäger- und Hirtenvolke, hat der Boden nur Wert als Jagd- und Weidegrund,
jeder Stamm hat seine eig»en Gründe, wenn auch mit ziemlich unsichern Grenzen,
von einem Sonderrecht der einzelnen Stammesgenossen ist hier noch keine Rede.
Erst wenn der Stamm oder das Volk seßhaft wird und zum Ackerbau über¬
geht, gelangt Grund und Boden zu höherer Schätzung, es bildet sich die fest¬
begrenzte Mark als Gemein- oder Gemeindeeigentnm. Hiermit ist die Möglichkeit,
aber noch nicht notwendig die Wirklichkeit von Sonderrechten der Einzelnen
innerhalb der Mark gegeben, die sich nun in verschiedner Weise gestalten: dem
Einzelnen kann sein Ackerlos auf Zeit oder ans Lebenszeit oder — für sich
und sein Geschlecht — über die Lebenszeit hinaus, als Erbgut, zugemessen
werden; das Recht des Einzelnen ist ursprünglich ein Recht an fremder Sache,
nämlich ein (mehr oder weniger umfassendes) Recht an einem Stück der Gemeinde-
markung, des der Gemeinde gehörigen Grundes und Bodens, der Eigennutz,
der „Individualismus," trachtet aber darnach, das Recht der Gemeinde immer
mehr zurückzudrängen und das eigne Recht zum volle» Eigentums- oder
Herrschaftsrecht zu erhebe» in der Art, daß der Grund und Boden räumlich
zwar zur Gemeindemarkuiig, rechtlich aber »icht mehr der Gemeinde gehört.
Es ist dies dasselbe Streben auf privatrechtlichen Gebiet, dem wir in der
Geschichte vielfach auf staatsrechtlichen Gebiet begegnen; man denke nur an
die Entwicklung der Territorialsouveräuität in Deutschland, die scheinbar zum
vollen Triumph des Individualismus führte, bis sie vor zwanzig Jahren eine
gesunde Rückbildung erfuhr. Eine solche Rückbildung (nicht Aufhebung) wün¬
schen wir auch dem Recht an Grund und Boden.

Im alten Rom hat jener Individualismus vollständig gesiegt — es sei
nur an die Kämpfe um den »gor Iionurnu8 erinnert —, das Eigentum an
Grund und Boden steht nach römischem Recht dem Eigentum an beweglichen
Sachen ganz gleich. Dem deutscheu Recht ist diese Gleichheit fremd; auf der
einen Seite genießt das Recht am Grundbesitz einen stärkern Schutz als das
Recht an der fahrenden Habe, auf der andern Seite aber ist jenes Recht in¬
haltlich uicht so unifassend wie dieses, und die Verschiedenheit beider Arten
von Rechten hat sich trotz der Aufnahme des römischen Rechts in vielen Be¬
ziehungen erhalten, der rvmischrechtliche Eigentumsbegriff ist i» seiner ganze»
Stre»ge in der Anwendung auf Grund und Boden in Deutschland wohl nie
zu voller Herrschaft gelangt (das beweist schon die Geschichte der sogenannten
Regalien), »ut soweit er dazu gelaugt ist, hat er in neuerer Zeit mannichfache
Abschwächungen erfahren, die sich freilich, weil es der Gesetzgebung an einem
klaren Grundsatz über das fragliche Recht gebrach und gebricht, äußerlich als


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0272" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210139"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_743" prev="#ID_742"> nach Kräfte» auf Abhilfe bedacht sein, wenn er sich anch bewußt ist, daß er<lb/>
so wenig wie Vebcl ein Paradies auf Erden schassen kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_744"> Die Entwicklung des Rechtes an Grund und Boden ist wohl bei allen<lb/>
Kulturvölkern im große» und ganzen dieselbe. In ihrem Beginn, bei dem<lb/>
Jäger- und Hirtenvolke, hat der Boden nur Wert als Jagd- und Weidegrund,<lb/>
jeder Stamm hat seine eig»en Gründe, wenn auch mit ziemlich unsichern Grenzen,<lb/>
von einem Sonderrecht der einzelnen Stammesgenossen ist hier noch keine Rede.<lb/>
Erst wenn der Stamm oder das Volk seßhaft wird und zum Ackerbau über¬<lb/>
geht, gelangt Grund und Boden zu höherer Schätzung, es bildet sich die fest¬<lb/>
begrenzte Mark als Gemein- oder Gemeindeeigentnm. Hiermit ist die Möglichkeit,<lb/>
aber noch nicht notwendig die Wirklichkeit von Sonderrechten der Einzelnen<lb/>
innerhalb der Mark gegeben, die sich nun in verschiedner Weise gestalten: dem<lb/>
Einzelnen kann sein Ackerlos auf Zeit oder ans Lebenszeit oder &#x2014; für sich<lb/>
und sein Geschlecht &#x2014; über die Lebenszeit hinaus, als Erbgut, zugemessen<lb/>
werden; das Recht des Einzelnen ist ursprünglich ein Recht an fremder Sache,<lb/>
nämlich ein (mehr oder weniger umfassendes) Recht an einem Stück der Gemeinde-<lb/>
markung, des der Gemeinde gehörigen Grundes und Bodens, der Eigennutz,<lb/>
der &#x201E;Individualismus," trachtet aber darnach, das Recht der Gemeinde immer<lb/>
mehr zurückzudrängen und das eigne Recht zum volle» Eigentums- oder<lb/>
Herrschaftsrecht zu erhebe» in der Art, daß der Grund und Boden räumlich<lb/>
zwar zur Gemeindemarkuiig, rechtlich aber »icht mehr der Gemeinde gehört.<lb/>
Es ist dies dasselbe Streben auf privatrechtlichen Gebiet, dem wir in der<lb/>
Geschichte vielfach auf staatsrechtlichen Gebiet begegnen; man denke nur an<lb/>
die Entwicklung der Territorialsouveräuität in Deutschland, die scheinbar zum<lb/>
vollen Triumph des Individualismus führte, bis sie vor zwanzig Jahren eine<lb/>
gesunde Rückbildung erfuhr. Eine solche Rückbildung (nicht Aufhebung) wün¬<lb/>
schen wir auch dem Recht an Grund und Boden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_745" next="#ID_746"> Im alten Rom hat jener Individualismus vollständig gesiegt &#x2014; es sei<lb/>
nur an die Kämpfe um den »gor Iionurnu8 erinnert &#x2014;, das Eigentum an<lb/>
Grund und Boden steht nach römischem Recht dem Eigentum an beweglichen<lb/>
Sachen ganz gleich. Dem deutscheu Recht ist diese Gleichheit fremd; auf der<lb/>
einen Seite genießt das Recht am Grundbesitz einen stärkern Schutz als das<lb/>
Recht an der fahrenden Habe, auf der andern Seite aber ist jenes Recht in¬<lb/>
haltlich uicht so unifassend wie dieses, und die Verschiedenheit beider Arten<lb/>
von Rechten hat sich trotz der Aufnahme des römischen Rechts in vielen Be¬<lb/>
ziehungen erhalten, der rvmischrechtliche Eigentumsbegriff ist i» seiner ganze»<lb/>
Stre»ge in der Anwendung auf Grund und Boden in Deutschland wohl nie<lb/>
zu voller Herrschaft gelangt (das beweist schon die Geschichte der sogenannten<lb/>
Regalien), »ut soweit er dazu gelaugt ist, hat er in neuerer Zeit mannichfache<lb/>
Abschwächungen erfahren, die sich freilich, weil es der Gesetzgebung an einem<lb/>
klaren Grundsatz über das fragliche Recht gebrach und gebricht, äußerlich als</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0272] nach Kräfte» auf Abhilfe bedacht sein, wenn er sich anch bewußt ist, daß er so wenig wie Vebcl ein Paradies auf Erden schassen kann. Die Entwicklung des Rechtes an Grund und Boden ist wohl bei allen Kulturvölkern im große» und ganzen dieselbe. In ihrem Beginn, bei dem Jäger- und Hirtenvolke, hat der Boden nur Wert als Jagd- und Weidegrund, jeder Stamm hat seine eig»en Gründe, wenn auch mit ziemlich unsichern Grenzen, von einem Sonderrecht der einzelnen Stammesgenossen ist hier noch keine Rede. Erst wenn der Stamm oder das Volk seßhaft wird und zum Ackerbau über¬ geht, gelangt Grund und Boden zu höherer Schätzung, es bildet sich die fest¬ begrenzte Mark als Gemein- oder Gemeindeeigentnm. Hiermit ist die Möglichkeit, aber noch nicht notwendig die Wirklichkeit von Sonderrechten der Einzelnen innerhalb der Mark gegeben, die sich nun in verschiedner Weise gestalten: dem Einzelnen kann sein Ackerlos auf Zeit oder ans Lebenszeit oder — für sich und sein Geschlecht — über die Lebenszeit hinaus, als Erbgut, zugemessen werden; das Recht des Einzelnen ist ursprünglich ein Recht an fremder Sache, nämlich ein (mehr oder weniger umfassendes) Recht an einem Stück der Gemeinde- markung, des der Gemeinde gehörigen Grundes und Bodens, der Eigennutz, der „Individualismus," trachtet aber darnach, das Recht der Gemeinde immer mehr zurückzudrängen und das eigne Recht zum volle» Eigentums- oder Herrschaftsrecht zu erhebe» in der Art, daß der Grund und Boden räumlich zwar zur Gemeindemarkuiig, rechtlich aber »icht mehr der Gemeinde gehört. Es ist dies dasselbe Streben auf privatrechtlichen Gebiet, dem wir in der Geschichte vielfach auf staatsrechtlichen Gebiet begegnen; man denke nur an die Entwicklung der Territorialsouveräuität in Deutschland, die scheinbar zum vollen Triumph des Individualismus führte, bis sie vor zwanzig Jahren eine gesunde Rückbildung erfuhr. Eine solche Rückbildung (nicht Aufhebung) wün¬ schen wir auch dem Recht an Grund und Boden. Im alten Rom hat jener Individualismus vollständig gesiegt — es sei nur an die Kämpfe um den »gor Iionurnu8 erinnert —, das Eigentum an Grund und Boden steht nach römischem Recht dem Eigentum an beweglichen Sachen ganz gleich. Dem deutscheu Recht ist diese Gleichheit fremd; auf der einen Seite genießt das Recht am Grundbesitz einen stärkern Schutz als das Recht an der fahrenden Habe, auf der andern Seite aber ist jenes Recht in¬ haltlich uicht so unifassend wie dieses, und die Verschiedenheit beider Arten von Rechten hat sich trotz der Aufnahme des römischen Rechts in vielen Be¬ ziehungen erhalten, der rvmischrechtliche Eigentumsbegriff ist i» seiner ganze» Stre»ge in der Anwendung auf Grund und Boden in Deutschland wohl nie zu voller Herrschaft gelangt (das beweist schon die Geschichte der sogenannten Regalien), »ut soweit er dazu gelaugt ist, hat er in neuerer Zeit mannichfache Abschwächungen erfahren, die sich freilich, weil es der Gesetzgebung an einem klaren Grundsatz über das fragliche Recht gebrach und gebricht, äußerlich als

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/272
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/272>, abgerufen am 24.07.2024.