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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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dafür, daß er den Mittelpunkt der Erde nicht verrückt oder den Mond nicht
beschädigt, ist schon durch eine höhere Macht gesorgt. Die Herrschaft des
Grundeigentümers reicht nach oben und nach unten so weit, als er hinauf-
nnd hinabzusteigen vermag; welche andre Grenze soll ihr denn gezogen sein?
Soll sie sich fünf oder zehn oder hundert oder wie viel Fuß in der einen oder
der andern Richtung erstrecken? Diese Frage braucht nnn nur aufzustellen,
um die Verkehrtheit jedes in der Art beschränkten Eigentnmsbegriffs einzusehen;
Zahlen, d. h. die Begriffe "groß" und "klein," vertragen sich mit einem Rechts-
begriff nicht.

Liegt also der Grund, warum wir von dem angenommenen Ergebnis
unsers Höhlenprozesses unbefriedigt siud, nicht in einer Unvvllkonunenheit des
geltenden Eigentnmsbegriffs, so kann er nur darin gefunden werden, daß der
Begriff des sonder-(Privat-)Eigentums auf Grund und Boden angewendet wird.

Ein Glück für uns, daß das Sozialistengesetz nicht mehr in Kraft ist,
Nur wurden uns sonst wohl gar durch diesen Satz einer Verfolgung wegen
Beförderung kommunistischer Bestrebungen aussetzen! Beruhige dich, lieber
Leser! So schlimm, wie er aussieht, ist der Satz nicht gemeint, wir denken
uicht darau, das Sonderrecht von Grund und Boden aufheben zu wollen, nur
die Anwendung des strengen Eigentnmsbegriffs ans den Privatgrundbesitz be¬
kämpfen wir, und es wird nicht allzu schwer halten, zu beweise", daß wir uns
damit nicht im Widerspruch, sondern in Übereinstimmung mit der modernen
Entwicklung des positiven Recht? befinden, wenn sich auch die Gesetzgeber viel¬
leicht über die Tendenz dieser Entwicklung nicht immer klar sind. Was ans
nnserm Satz folgt, das ist höchstens eine Beseitigung des Gebrauchs von Grund
und Boden als einer Handelsware, eines Spekulatiousvbjekts, und die Be¬
seitigung dieses Gebrauchs wäre nur die Aufhebung eines Mißbrauchs.

Die Gesellschaftsordnung, wie sie Vebel in seinem Buch "Die Frau" nu
die Stelle des Staates setzen will, ist eine Utopie: sie kann nicht verwirklicht
werden, ohne daß unsre ganze Kultur zertrümmert wird -- das ist allerdings
in den Augen Bebels kein Einwand, da für ihn alles Bestehende nur "wert
ist, daß es zu Gründe geht" --, und sie kann bestehen nur unter der Voraus¬
setzung, daß alle Menschen künftig körperlich und geistig vollkommen, gleich
stark, tüchtig, verständig und gut sein werden, einer Boranssetzung, die Bebel
leichten Herzens bejaht, die aber aller Erfahrung widerspricht, und deren Ver¬
wirklichung in der Zukunft dadurch nicht wahrscheinlicher wird, daß zunächst
bei der Zertrümmerung alles Bestehenden die Bestialität in der Menschennatur
in einem bisher unerhörten Umfange entfesselt werden würde. So unaus¬
führbar aber auch die Vorschläge Bebels hinsichtlich der künftigen Ordnung der
Dinge sind, so berechtigt ist in vielem seine Kritik der bestehenden Ordnung,
und wer eine vernünftige Entwicklung von Staat und Gesellschaft will, darf
vor den Mängeln des Bestehenden nicht die Augen verschließen, sondern muß


dafür, daß er den Mittelpunkt der Erde nicht verrückt oder den Mond nicht
beschädigt, ist schon durch eine höhere Macht gesorgt. Die Herrschaft des
Grundeigentümers reicht nach oben und nach unten so weit, als er hinauf-
nnd hinabzusteigen vermag; welche andre Grenze soll ihr denn gezogen sein?
Soll sie sich fünf oder zehn oder hundert oder wie viel Fuß in der einen oder
der andern Richtung erstrecken? Diese Frage braucht nnn nur aufzustellen,
um die Verkehrtheit jedes in der Art beschränkten Eigentnmsbegriffs einzusehen;
Zahlen, d. h. die Begriffe „groß" und „klein," vertragen sich mit einem Rechts-
begriff nicht.

Liegt also der Grund, warum wir von dem angenommenen Ergebnis
unsers Höhlenprozesses unbefriedigt siud, nicht in einer Unvvllkonunenheit des
geltenden Eigentnmsbegriffs, so kann er nur darin gefunden werden, daß der
Begriff des sonder-(Privat-)Eigentums auf Grund und Boden angewendet wird.

Ein Glück für uns, daß das Sozialistengesetz nicht mehr in Kraft ist,
Nur wurden uns sonst wohl gar durch diesen Satz einer Verfolgung wegen
Beförderung kommunistischer Bestrebungen aussetzen! Beruhige dich, lieber
Leser! So schlimm, wie er aussieht, ist der Satz nicht gemeint, wir denken
uicht darau, das Sonderrecht von Grund und Boden aufheben zu wollen, nur
die Anwendung des strengen Eigentnmsbegriffs ans den Privatgrundbesitz be¬
kämpfen wir, und es wird nicht allzu schwer halten, zu beweise«, daß wir uns
damit nicht im Widerspruch, sondern in Übereinstimmung mit der modernen
Entwicklung des positiven Recht? befinden, wenn sich auch die Gesetzgeber viel¬
leicht über die Tendenz dieser Entwicklung nicht immer klar sind. Was ans
nnserm Satz folgt, das ist höchstens eine Beseitigung des Gebrauchs von Grund
und Boden als einer Handelsware, eines Spekulatiousvbjekts, und die Be¬
seitigung dieses Gebrauchs wäre nur die Aufhebung eines Mißbrauchs.

Die Gesellschaftsordnung, wie sie Vebel in seinem Buch „Die Frau" nu
die Stelle des Staates setzen will, ist eine Utopie: sie kann nicht verwirklicht
werden, ohne daß unsre ganze Kultur zertrümmert wird — das ist allerdings
in den Augen Bebels kein Einwand, da für ihn alles Bestehende nur „wert
ist, daß es zu Gründe geht" —, und sie kann bestehen nur unter der Voraus¬
setzung, daß alle Menschen künftig körperlich und geistig vollkommen, gleich
stark, tüchtig, verständig und gut sein werden, einer Boranssetzung, die Bebel
leichten Herzens bejaht, die aber aller Erfahrung widerspricht, und deren Ver¬
wirklichung in der Zukunft dadurch nicht wahrscheinlicher wird, daß zunächst
bei der Zertrümmerung alles Bestehenden die Bestialität in der Menschennatur
in einem bisher unerhörten Umfange entfesselt werden würde. So unaus¬
führbar aber auch die Vorschläge Bebels hinsichtlich der künftigen Ordnung der
Dinge sind, so berechtigt ist in vielem seine Kritik der bestehenden Ordnung,
und wer eine vernünftige Entwicklung von Staat und Gesellschaft will, darf
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/271>, abgerufen am 24.07.2024.