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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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mehr oder weniger willkürliche Eingriffe in die Sonderrechte der Bürger dar¬
stellen, unvermittelt stehen sich vielfach öffentliches Recht und Privatrecht gegen¬
über. Berg-, Weide-, Jagd- und Bauordnungen oder -Gesetze sind dein römischen
Recht fremd, in Deutschland haben wir sie aus alter und neuer Zeit in ver¬
schiedener Güte, fast überall aber stellen sie mehr oder weniger eingreifende
Veschränknngen des "Grundeigentums" dar, die namentlich da, wo sie den
einen und den andern Bürger mit verschiedener Härte treffen, als Ungerechtig¬
keiten empfunden werden. Das Erz, die Kohle, das Salz, die unter der Ober¬
fläche meines Grundstücks im Gestein gelagert sind, gehören nach römischem
Recht, nach dein auf den. Privatgrnndbesitz angewendeten Eigentumsbegriff mir;
das moderne Berggesetz aber schließt sie nicht nur von dem Verfüguugsrechte des
Grundeigentümers ans, sondern verpflichtet diesen sogar, einem andern das
schürfen ans seinem Grund und Boden (gegen Entschädigung) zu gestatten.
Die Gräser und Kräuter, die auf meinem Brach- oder Stoppelfeld wachsen,
gehören nach römischem Recht ebenso mir, wie die aus meiner Aussaat er¬
wachsenen Fruchthalme. In weiten Gebieten Deutschlands steht aber nach
altem Gewohnheitsrecht der Gemeinde der Weidegnug aus ihrer Markung zu.
Hirsche, Rehe, Hasen n. s. w. sind nach römischem Recht niemandes Eigentum,
jeder kann sie fangen, aber er darf zu diesem Zweck fremden Grund und Boden
ohne Erlaubnis des Eigentümers nicht betreten. Moderne Jagdgesetze bekennen
sich zwar mit dem Mund auch zu diesem Grundsatz, in der That aber statuiren
sie -- mit Ausnahme zu Gunsten der Großgrundbesitzer -- eine Art Jagd¬
recht der Gemeinde, indem das Recht der Jagd auf der Gemeindemarlnng,
von dem das Recht, die Grundstücke der Markung zu betreten, unzertrennlich
ist, von der Gemeinde ohne oder gegen den Willen der beteiligten Grundbesitzer,
wenn auch sür deren Rechnung, verpachtet wird. In dem Eigentumsrecht an einem
Grundstücke liegt vou selbst auch das Recht, dieses beliebig zu überbauen. Die
modernen Bauordnungen aber beschränken dieses Recht einfach, sie lassen nament¬
lich Ortsstatnten zu, wonach bei Feststellung von Straßenlinien die darein
fallenden Grundstücke, und zwar ohne Entschädigung, mit einem Bauverbot
belegt werden. So kann es geschehen, daß von zwei Eigentümern zweier neben
einander gelegenen, an sich gleichwertigen Grundstücke der eine das seinige als
Bauplatz um schweres Geld verkauft, während der andre sein Besitztum viel¬
leicht jahrelang ungenützt liegen lassen muß, bis es der Gemeinde gefällt, es
ihm um geringen Preis als Straßenareal abzunehmen. Wer durch einen
glücklichen Zufall mit seinem Grundstück nicht in, sondern an die Baulinie zu
liegen kommt, kann im Schlaf ein reicher Mann werden; Gemeinde- und Staats¬
beamte kommen zuweilen dein Glück noch zu Hilfe, indem sie -- ihre Kenntnis
von einem in Vorbereitung begriffenen Ortsbauplan benutzend ^- hie und da
günstig gelegene Grundstücke billig kaufen, um sie dann uach Genehmigung des
Pinus teuer wieder zu verkaufen.


mehr oder weniger willkürliche Eingriffe in die Sonderrechte der Bürger dar¬
stellen, unvermittelt stehen sich vielfach öffentliches Recht und Privatrecht gegen¬
über. Berg-, Weide-, Jagd- und Bauordnungen oder -Gesetze sind dein römischen
Recht fremd, in Deutschland haben wir sie aus alter und neuer Zeit in ver¬
schiedener Güte, fast überall aber stellen sie mehr oder weniger eingreifende
Veschränknngen des „Grundeigentums" dar, die namentlich da, wo sie den
einen und den andern Bürger mit verschiedener Härte treffen, als Ungerechtig¬
keiten empfunden werden. Das Erz, die Kohle, das Salz, die unter der Ober¬
fläche meines Grundstücks im Gestein gelagert sind, gehören nach römischem
Recht, nach dein auf den. Privatgrnndbesitz angewendeten Eigentumsbegriff mir;
das moderne Berggesetz aber schließt sie nicht nur von dem Verfüguugsrechte des
Grundeigentümers ans, sondern verpflichtet diesen sogar, einem andern das
schürfen ans seinem Grund und Boden (gegen Entschädigung) zu gestatten.
Die Gräser und Kräuter, die auf meinem Brach- oder Stoppelfeld wachsen,
gehören nach römischem Recht ebenso mir, wie die aus meiner Aussaat er¬
wachsenen Fruchthalme. In weiten Gebieten Deutschlands steht aber nach
altem Gewohnheitsrecht der Gemeinde der Weidegnug aus ihrer Markung zu.
Hirsche, Rehe, Hasen n. s. w. sind nach römischem Recht niemandes Eigentum,
jeder kann sie fangen, aber er darf zu diesem Zweck fremden Grund und Boden
ohne Erlaubnis des Eigentümers nicht betreten. Moderne Jagdgesetze bekennen
sich zwar mit dem Mund auch zu diesem Grundsatz, in der That aber statuiren
sie — mit Ausnahme zu Gunsten der Großgrundbesitzer — eine Art Jagd¬
recht der Gemeinde, indem das Recht der Jagd auf der Gemeindemarlnng,
von dem das Recht, die Grundstücke der Markung zu betreten, unzertrennlich
ist, von der Gemeinde ohne oder gegen den Willen der beteiligten Grundbesitzer,
wenn auch sür deren Rechnung, verpachtet wird. In dem Eigentumsrecht an einem
Grundstücke liegt vou selbst auch das Recht, dieses beliebig zu überbauen. Die
modernen Bauordnungen aber beschränken dieses Recht einfach, sie lassen nament¬
lich Ortsstatnten zu, wonach bei Feststellung von Straßenlinien die darein
fallenden Grundstücke, und zwar ohne Entschädigung, mit einem Bauverbot
belegt werden. So kann es geschehen, daß von zwei Eigentümern zweier neben
einander gelegenen, an sich gleichwertigen Grundstücke der eine das seinige als
Bauplatz um schweres Geld verkauft, während der andre sein Besitztum viel¬
leicht jahrelang ungenützt liegen lassen muß, bis es der Gemeinde gefällt, es
ihm um geringen Preis als Straßenareal abzunehmen. Wer durch einen
glücklichen Zufall mit seinem Grundstück nicht in, sondern an die Baulinie zu
liegen kommt, kann im Schlaf ein reicher Mann werden; Gemeinde- und Staats¬
beamte kommen zuweilen dein Glück noch zu Hilfe, indem sie — ihre Kenntnis
von einem in Vorbereitung begriffenen Ortsbauplan benutzend ^- hie und da
günstig gelegene Grundstücke billig kaufen, um sie dann uach Genehmigung des
Pinus teuer wieder zu verkaufen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/273>, abgerufen am 24.07.2024.