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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Unheimlich

gethan, niemand zuliebe, nichts weiter; und wer seine Pflicht thut, ist ein
getreuer Knecht, hat aber keinen Anspruch auf Dank. Ein solcher Anspruch
liegt mir außerordentlich fern. Ich habe gelernt, ohne den Dank der Welt zu
leben, ich habe ihn erworben und verloren, ich habe ihn wieder gewonnen, ich
habe ihn wieder verloren -- ich mache mir gar nichts daraus, ich thue einfach
meine Pflicht." Hieran anknüpfend hielt ihm Laster eine seiner Vorlesungen,
um zunächst "festzustellen," daß er "keinen lebenden Staatsmann kenne und viel¬
leicht auch in der Geschichte keinen andern Staatsmann wisse, der so mit
Dankbarkeit überhäuft" worden sei, wie Vismarck. Die Frage, ob ein andrer
lebender Staatsmann sich um seine Nation so großen Anspruch auf Dank er¬
worben habe, stellte sich der Redner uicht. Werfen wir diese Frage auf, so
müssen wir aufs neue bedauern, daß Graf Cavour so früh vom Schauplatze
abgerufen worden ist, bedauern auch deshalb, weil die Italiener dadurch ver¬
hindert worden sind, der Welt und vor allen den Deutschen zu zeigen, wie
eine Nation zu danken weiß und zu danken verpflichtet ist. Auch er würde
viele Kämpfe durchzumachen gehabt, leidenschaftliche Angriffe erfahren haben;
auch ihm würden durch Rechthaberei, Parteihader, Neid u. s. w. ernste Hindernisse
bereitet worden sein; aber daß die Italiener uns nie ein solches Schauspiel
gewähren würden, wie es jetzt in Deutschland aufgeführt worden ist, das darf
mau ruhig behaupten. Es genügt, auf Crispi hinzuweisen, der persönliche
Feinde genug hat, deu die besoldeten und die freiwilligem Anhänger Frankreichs
verfolge-?, den aber aus der Vertretung des Landes verdrängen zu wollen auch
diesen nicht in den Sinn käme.

Der altberühmte Berliner Moniteur der Halbbilduugsphilister hat in diese"
Tagen die große Wahrheit ausgesprochen, es gebe zu denken, daß der berühm¬
teste Staatsmann unsrer Zeit mit einem gänzlich unbekannten Zigarrcndrehcr
um ein Abgeordnetcnmandat ringen muß. Ja, die gute Taute weiß doch besser
als irgend jemand, daß für so viele Leute das Denken eine höchst lästige Be¬
schäftigung ist. Wäre das uicht der Fall, so könnte es um vieles besser bestellt
sein -- um ihre Abonnentenzahl allerdings uicht. Das Verhalten der Welsen
hat nichts überraschendes. Unter den mancherlei Beweggründen dieser Partei
lassen sich anch ganz ehrenwerte oder doch entschuldbare vermuten, wie Rechts-
gefühl, Anhänglichkeit an das alte Herrscherhaus, an die Selbständigkeit des
Landes. Solche Gefühle treiben manchmal ein wunderliches Spiel mit den
Menschen; wir haben ja gelesen, daß ein treuer Knappe des letzten Kurfürsten
von Hessen jetzt in den Reihen der klerikalen Partei in Wien steht. Ob viele
Verfechter der alten Zustände in Deutschland für dessen abermalige Zerreißung
stimmen würden, ist gleichwohl zweifelhaft, und uach und uach wächst ein
neues Geschlecht herau. Aber die Menschen, die vou Bismarcks Lebensarbeit
nur Vorteil gehabt haben, die auf die Frage, was sie ihm vorwerfen, nur mit
den Phrasen zu antworten wüßten, welche ihnen ihre Zeitung täglich Vorlaut,


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gethan, niemand zuliebe, nichts weiter; und wer seine Pflicht thut, ist ein
getreuer Knecht, hat aber keinen Anspruch auf Dank. Ein solcher Anspruch
liegt mir außerordentlich fern. Ich habe gelernt, ohne den Dank der Welt zu
leben, ich habe ihn erworben und verloren, ich habe ihn wieder gewonnen, ich
habe ihn wieder verloren — ich mache mir gar nichts daraus, ich thue einfach
meine Pflicht." Hieran anknüpfend hielt ihm Laster eine seiner Vorlesungen,
um zunächst „festzustellen," daß er „keinen lebenden Staatsmann kenne und viel¬
leicht auch in der Geschichte keinen andern Staatsmann wisse, der so mit
Dankbarkeit überhäuft" worden sei, wie Vismarck. Die Frage, ob ein andrer
lebender Staatsmann sich um seine Nation so großen Anspruch auf Dank er¬
worben habe, stellte sich der Redner uicht. Werfen wir diese Frage auf, so
müssen wir aufs neue bedauern, daß Graf Cavour so früh vom Schauplatze
abgerufen worden ist, bedauern auch deshalb, weil die Italiener dadurch ver¬
hindert worden sind, der Welt und vor allen den Deutschen zu zeigen, wie
eine Nation zu danken weiß und zu danken verpflichtet ist. Auch er würde
viele Kämpfe durchzumachen gehabt, leidenschaftliche Angriffe erfahren haben;
auch ihm würden durch Rechthaberei, Parteihader, Neid u. s. w. ernste Hindernisse
bereitet worden sein; aber daß die Italiener uns nie ein solches Schauspiel
gewähren würden, wie es jetzt in Deutschland aufgeführt worden ist, das darf
mau ruhig behaupten. Es genügt, auf Crispi hinzuweisen, der persönliche
Feinde genug hat, deu die besoldeten und die freiwilligem Anhänger Frankreichs
verfolge-?, den aber aus der Vertretung des Landes verdrängen zu wollen auch
diesen nicht in den Sinn käme.

Der altberühmte Berliner Moniteur der Halbbilduugsphilister hat in diese»
Tagen die große Wahrheit ausgesprochen, es gebe zu denken, daß der berühm¬
teste Staatsmann unsrer Zeit mit einem gänzlich unbekannten Zigarrcndrehcr
um ein Abgeordnetcnmandat ringen muß. Ja, die gute Taute weiß doch besser
als irgend jemand, daß für so viele Leute das Denken eine höchst lästige Be¬
schäftigung ist. Wäre das uicht der Fall, so könnte es um vieles besser bestellt
sein — um ihre Abonnentenzahl allerdings uicht. Das Verhalten der Welsen
hat nichts überraschendes. Unter den mancherlei Beweggründen dieser Partei
lassen sich anch ganz ehrenwerte oder doch entschuldbare vermuten, wie Rechts-
gefühl, Anhänglichkeit an das alte Herrscherhaus, an die Selbständigkeit des
Landes. Solche Gefühle treiben manchmal ein wunderliches Spiel mit den
Menschen; wir haben ja gelesen, daß ein treuer Knappe des letzten Kurfürsten
von Hessen jetzt in den Reihen der klerikalen Partei in Wien steht. Ob viele
Verfechter der alten Zustände in Deutschland für dessen abermalige Zerreißung
stimmen würden, ist gleichwohl zweifelhaft, und uach und uach wächst ein
neues Geschlecht herau. Aber die Menschen, die vou Bismarcks Lebensarbeit
nur Vorteil gehabt haben, die auf die Frage, was sie ihm vorwerfen, nur mit
den Phrasen zu antworten wüßten, welche ihnen ihre Zeitung täglich Vorlaut,


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[0257] Unheimlich gethan, niemand zuliebe, nichts weiter; und wer seine Pflicht thut, ist ein getreuer Knecht, hat aber keinen Anspruch auf Dank. Ein solcher Anspruch liegt mir außerordentlich fern. Ich habe gelernt, ohne den Dank der Welt zu leben, ich habe ihn erworben und verloren, ich habe ihn wieder gewonnen, ich habe ihn wieder verloren — ich mache mir gar nichts daraus, ich thue einfach meine Pflicht." Hieran anknüpfend hielt ihm Laster eine seiner Vorlesungen, um zunächst „festzustellen," daß er „keinen lebenden Staatsmann kenne und viel¬ leicht auch in der Geschichte keinen andern Staatsmann wisse, der so mit Dankbarkeit überhäuft" worden sei, wie Vismarck. Die Frage, ob ein andrer lebender Staatsmann sich um seine Nation so großen Anspruch auf Dank er¬ worben habe, stellte sich der Redner uicht. Werfen wir diese Frage auf, so müssen wir aufs neue bedauern, daß Graf Cavour so früh vom Schauplatze abgerufen worden ist, bedauern auch deshalb, weil die Italiener dadurch ver¬ hindert worden sind, der Welt und vor allen den Deutschen zu zeigen, wie eine Nation zu danken weiß und zu danken verpflichtet ist. Auch er würde viele Kämpfe durchzumachen gehabt, leidenschaftliche Angriffe erfahren haben; auch ihm würden durch Rechthaberei, Parteihader, Neid u. s. w. ernste Hindernisse bereitet worden sein; aber daß die Italiener uns nie ein solches Schauspiel gewähren würden, wie es jetzt in Deutschland aufgeführt worden ist, das darf mau ruhig behaupten. Es genügt, auf Crispi hinzuweisen, der persönliche Feinde genug hat, deu die besoldeten und die freiwilligem Anhänger Frankreichs verfolge-?, den aber aus der Vertretung des Landes verdrängen zu wollen auch diesen nicht in den Sinn käme. Der altberühmte Berliner Moniteur der Halbbilduugsphilister hat in diese» Tagen die große Wahrheit ausgesprochen, es gebe zu denken, daß der berühm¬ teste Staatsmann unsrer Zeit mit einem gänzlich unbekannten Zigarrcndrehcr um ein Abgeordnetcnmandat ringen muß. Ja, die gute Taute weiß doch besser als irgend jemand, daß für so viele Leute das Denken eine höchst lästige Be¬ schäftigung ist. Wäre das uicht der Fall, so könnte es um vieles besser bestellt sein — um ihre Abonnentenzahl allerdings uicht. Das Verhalten der Welsen hat nichts überraschendes. Unter den mancherlei Beweggründen dieser Partei lassen sich anch ganz ehrenwerte oder doch entschuldbare vermuten, wie Rechts- gefühl, Anhänglichkeit an das alte Herrscherhaus, an die Selbständigkeit des Landes. Solche Gefühle treiben manchmal ein wunderliches Spiel mit den Menschen; wir haben ja gelesen, daß ein treuer Knappe des letzten Kurfürsten von Hessen jetzt in den Reihen der klerikalen Partei in Wien steht. Ob viele Verfechter der alten Zustände in Deutschland für dessen abermalige Zerreißung stimmen würden, ist gleichwohl zweifelhaft, und uach und uach wächst ein neues Geschlecht herau. Aber die Menschen, die vou Bismarcks Lebensarbeit nur Vorteil gehabt haben, die auf die Frage, was sie ihm vorwerfen, nur mit den Phrasen zu antworten wüßten, welche ihnen ihre Zeitung täglich Vorlaut,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/257>, abgerufen am 04.07.2024.