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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Unheimlich

seinem Leben mag Bismarck wohl schon mehr als einmal den Satz gerechnet
haben, Deutschland werde, einmal in den Sattel gesetzt, schon reiten können.
Die Freisinnigen in ihrer Todesangst vor dein großen Manne boten ja ein
ergötzliches Schauspiel. Aber daß ihre Commis-Vohageurs, die mit derselben
zähen Aufdringlichkeit, wie manche ihrer Kollegen Zigarren oder Weine, so ihre
abgetragenen politischen Redensarten an den Mann zu bringen suchten, nicht
überall die gebührende Abfertigung erhielten wie in Heidelberg, ist schon
jammervoll genug. Selbst Herrn Eugen Richter, von dem uns sonst nichts
überraschen kam, (hoffentlich machen wir uns mit dieser Bemerkung keiner
"Richter-Beleidigung" schuldig?), scheint die Erkenntnis aufgedämmert zu sein,
welche traurige Rolle seine Unteroffiziere spielten, da er sich beeilte, zu ver¬
sichern, er freue sich ans den parlamentarischen Kampf mit Bismarck, ihm fehle
etwas, wenn er sich dem nicht gegenübersehe. Das glauben wir ihm aufs
Wort. "Es will der Spitz aus unserm Stall uus überall begleiten, doch
seiner Stimme lauter Schall beweist nur, daß wir reiten."

"Bilduugsphilister" ist ein gutes Wort, nur wende man es nicht auf
Leute an, denen damit zu viel Ehre erwiesen würde, auf die Halbbildungs-
philister, die modernen Spießbürger oder Bürgergardisten, die immer bereit
sind, zu paradiren und zu demonstriren, sei es mit Waffen, sei es mit großen
Redensarten, aber mit aller Entschiedenheit die Zumutung von sich abwehren,
mit den einen oder den andern Ernst zu machen; die großen Demokraten, die
immer über den Mangel an Freiheit schimpfen und im Augenblicke der Gefahr
am lautesten nach der Polizei schreien. Wie tapfer rückten die wieder an,
Mann für Mann, um an der Wahlurne gegen Bismarck zu kämpfen! Das
sei unziemlich, sagte man ihnen. Warum? Weil er Deutschland geeint habe?
Lächerlich! Haben sie uicht von Deutschlands Einheit geredet und auf sie an¬
gestoßen lange vor ihm? Haben sie nicht auf allen Festen das Lied vom
deutschen Vaterlande gesungen und nach der Scheibe Deutschland geschossen?
Der Mann hat ja nur gethan, was sie ihm geheißen hatten, und was sie --
ganz unters gemacht haben würden, wenn sie so glücklich gewesen wären, im
hohen Rate zu sitzen. Was haben sie ihm zu danken? Anhaben kann er ihnen
ja nichts mehr!

Sehr im rechten Augenblick ist uun das zwölfte Bündchen der von W. Bö'hin
begonnenen, von A. Dove fortgesetzten Sammlung der Reden Bismarcks
("Kollektion Spemmm") erschienen, das die Zeit von 1881/82 umfaßt. Da
finden wir den Streit um deu Anschluß Hamburgs an den Zollverein, die
Bemerkung des Kanzlers, er glaube für sein Bemühen, diesen Auschluß zu
Stande zu bringen, Anerkennung, nicht Tadel verdient zu haben. Im weitern
Verlaufe der Rede sagte er: "Ich habe nie in meinem Leben auf Dank An¬
spruch gemacht, ich habe ihn nie erwartet, ich habe ihn auch nie verdient, denn
ich habe niemals um Dank gehandelt, sondern habe einfach meine Schuldigkeit


Unheimlich

seinem Leben mag Bismarck wohl schon mehr als einmal den Satz gerechnet
haben, Deutschland werde, einmal in den Sattel gesetzt, schon reiten können.
Die Freisinnigen in ihrer Todesangst vor dein großen Manne boten ja ein
ergötzliches Schauspiel. Aber daß ihre Commis-Vohageurs, die mit derselben
zähen Aufdringlichkeit, wie manche ihrer Kollegen Zigarren oder Weine, so ihre
abgetragenen politischen Redensarten an den Mann zu bringen suchten, nicht
überall die gebührende Abfertigung erhielten wie in Heidelberg, ist schon
jammervoll genug. Selbst Herrn Eugen Richter, von dem uns sonst nichts
überraschen kam, (hoffentlich machen wir uns mit dieser Bemerkung keiner
„Richter-Beleidigung" schuldig?), scheint die Erkenntnis aufgedämmert zu sein,
welche traurige Rolle seine Unteroffiziere spielten, da er sich beeilte, zu ver¬
sichern, er freue sich ans den parlamentarischen Kampf mit Bismarck, ihm fehle
etwas, wenn er sich dem nicht gegenübersehe. Das glauben wir ihm aufs
Wort. „Es will der Spitz aus unserm Stall uus überall begleiten, doch
seiner Stimme lauter Schall beweist nur, daß wir reiten."

„Bilduugsphilister" ist ein gutes Wort, nur wende man es nicht auf
Leute an, denen damit zu viel Ehre erwiesen würde, auf die Halbbildungs-
philister, die modernen Spießbürger oder Bürgergardisten, die immer bereit
sind, zu paradiren und zu demonstriren, sei es mit Waffen, sei es mit großen
Redensarten, aber mit aller Entschiedenheit die Zumutung von sich abwehren,
mit den einen oder den andern Ernst zu machen; die großen Demokraten, die
immer über den Mangel an Freiheit schimpfen und im Augenblicke der Gefahr
am lautesten nach der Polizei schreien. Wie tapfer rückten die wieder an,
Mann für Mann, um an der Wahlurne gegen Bismarck zu kämpfen! Das
sei unziemlich, sagte man ihnen. Warum? Weil er Deutschland geeint habe?
Lächerlich! Haben sie uicht von Deutschlands Einheit geredet und auf sie an¬
gestoßen lange vor ihm? Haben sie nicht auf allen Festen das Lied vom
deutschen Vaterlande gesungen und nach der Scheibe Deutschland geschossen?
Der Mann hat ja nur gethan, was sie ihm geheißen hatten, und was sie —
ganz unters gemacht haben würden, wenn sie so glücklich gewesen wären, im
hohen Rate zu sitzen. Was haben sie ihm zu danken? Anhaben kann er ihnen
ja nichts mehr!

Sehr im rechten Augenblick ist uun das zwölfte Bündchen der von W. Bö'hin
begonnenen, von A. Dove fortgesetzten Sammlung der Reden Bismarcks
(„Kollektion Spemmm") erschienen, das die Zeit von 1881/82 umfaßt. Da
finden wir den Streit um deu Anschluß Hamburgs an den Zollverein, die
Bemerkung des Kanzlers, er glaube für sein Bemühen, diesen Auschluß zu
Stande zu bringen, Anerkennung, nicht Tadel verdient zu haben. Im weitern
Verlaufe der Rede sagte er: „Ich habe nie in meinem Leben auf Dank An¬
spruch gemacht, ich habe ihn nie erwartet, ich habe ihn auch nie verdient, denn
ich habe niemals um Dank gehandelt, sondern habe einfach meine Schuldigkeit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/256>, abgerufen am 24.07.2024.