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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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haben sich die Inquisitoren viel Mühe gegeben, die Sektirer von der Falsch¬
heit ihrer Glaubensmeinungen zu überzeugen. In manchen Stücken steht der
Streit zwischen den Katholiken und ihren Gegnern heute noch genau ans dem
nämlichen Fleck wie vor sechshundert Jahren. So z. V. läßt eine Wider-
legungSschrift (I/ibor snzM Stoll^ betitelt) den Häretiker zum Katholiken hageln
"Wenn du vor dem Kreuze, das einhergetragen wird, und das doch mir ein
Stück Holz ist, schleunig aufstehst und tiefe Verbeugungen machst und Gebete
hersagst, so kannst du doch gar uicht in Abrede stellen, daß du ein Götzen¬
diener bist." Worauf der Katholik antwortet: "O Häretiker, wenn ich beim
Herannahen des Kreuzes aufstehe, so stehe ich doch nicht vor dem Kreuze auf,
sondern vor meinem Heiland Jesus Christus, der daran gestorben ist." Weiter
sagt der Häretiker u. a.: "Nun sehen wir uus einmal die Prälaten des Tieres
an. (Die Häretiker nannten die römische Kirche gern nach der Apokalypse
"das Tier," oder "die babylonische Hure," die auf dein Tiere sitzend ein-
geführt wird.) Die haben tausend Mark Einkommen und darüber, und worauf
verwenden sie das? Ans Unzucht und Völlerei, sodaß der Gestank dieses
Schlangennestes bis zu Gott nud seinen Heiligen empordringt; Gott bewahre
mich, daß ich jemals darein zurückkehre!" Darauf sagt der Katholik: "Merke,
daß es auch unter den Vekennern des römischen Glaubens rechtschaffene Heilige
giebt! Wo fände man wohl so strenge Fasten, so viel Almosen, so viel Brücken
und Hospitäler sdas Brückenbauer galt als ein gutes Werk und wurde uicht
selten durch Ablässe gefördert^, solche Enthaltsamkeit bei Jungfrauen und Ehe-
leuten, wie in der römischen Kirche? Was läßt dn dich also durch die Bösen
irre macheu? Die Bösen fallen der Verdammnis anheim, und die am höchsten
stehenden Prälaten werden, wenn sie schlecht gelebt haben, die schwersten
Strafen erleiden." Ja daß es auch schlechte Katholiken giebt, spreche gerade
für die katholische Kirche, denn Christus habe vorausgesagt, daß sich ans seinem
Acker bis zum Ende der Welt stets Unkraut nnter dem Weizen finden werde;
wenn sich also die Häretiker einbildeten, allesamt Heilige zu sein, so bewiesen
sie schon dadurch, daß sie nicht die wahre Kirche sein könnten. Worauf der
Gegner antwortet: Du dummer Katholik, der Acker ist ja gar nicht die Kirche,
sondern, wie Christus ausdrücklich gesagt hat, die Welt, die Welt aber ist des
Teufels, und die Kirche besteht mir ans uns Heiligen, die wir von Gott in
diese schlechte Welt gesäet sind.

Fragen wir nun nach dein Maße der Schuld, die sich der Klerus durch
die Verfolgung der Sekten zugezogen hat, so müßte er freilich auf dem Stand¬
punkte des reinen Evangeliums schlechthin und ohne Zubilligung mildernder
Umstände verurteilt werde". Haben wir aber die Unvermeidlichkeit jenes
Selbstwiderspruches, durch den die Kirche ein weltliches Reich geworden ist,
zugegeben, so wird unser Urteil milder ausfallen. Es mag dahingestellt
bleiben, inwieweit die Anklage begründet ist, die Sektirer hätten in ihren


haben sich die Inquisitoren viel Mühe gegeben, die Sektirer von der Falsch¬
heit ihrer Glaubensmeinungen zu überzeugen. In manchen Stücken steht der
Streit zwischen den Katholiken und ihren Gegnern heute noch genau ans dem
nämlichen Fleck wie vor sechshundert Jahren. So z. V. läßt eine Wider-
legungSschrift (I/ibor snzM Stoll^ betitelt) den Häretiker zum Katholiken hageln
„Wenn du vor dem Kreuze, das einhergetragen wird, und das doch mir ein
Stück Holz ist, schleunig aufstehst und tiefe Verbeugungen machst und Gebete
hersagst, so kannst du doch gar uicht in Abrede stellen, daß du ein Götzen¬
diener bist." Worauf der Katholik antwortet: „O Häretiker, wenn ich beim
Herannahen des Kreuzes aufstehe, so stehe ich doch nicht vor dem Kreuze auf,
sondern vor meinem Heiland Jesus Christus, der daran gestorben ist." Weiter
sagt der Häretiker u. a.: „Nun sehen wir uus einmal die Prälaten des Tieres
an. (Die Häretiker nannten die römische Kirche gern nach der Apokalypse
„das Tier," oder „die babylonische Hure," die auf dein Tiere sitzend ein-
geführt wird.) Die haben tausend Mark Einkommen und darüber, und worauf
verwenden sie das? Ans Unzucht und Völlerei, sodaß der Gestank dieses
Schlangennestes bis zu Gott nud seinen Heiligen empordringt; Gott bewahre
mich, daß ich jemals darein zurückkehre!" Darauf sagt der Katholik: „Merke,
daß es auch unter den Vekennern des römischen Glaubens rechtschaffene Heilige
giebt! Wo fände man wohl so strenge Fasten, so viel Almosen, so viel Brücken
und Hospitäler sdas Brückenbauer galt als ein gutes Werk und wurde uicht
selten durch Ablässe gefördert^, solche Enthaltsamkeit bei Jungfrauen und Ehe-
leuten, wie in der römischen Kirche? Was läßt dn dich also durch die Bösen
irre macheu? Die Bösen fallen der Verdammnis anheim, und die am höchsten
stehenden Prälaten werden, wenn sie schlecht gelebt haben, die schwersten
Strafen erleiden." Ja daß es auch schlechte Katholiken giebt, spreche gerade
für die katholische Kirche, denn Christus habe vorausgesagt, daß sich ans seinem
Acker bis zum Ende der Welt stets Unkraut nnter dem Weizen finden werde;
wenn sich also die Häretiker einbildeten, allesamt Heilige zu sein, so bewiesen
sie schon dadurch, daß sie nicht die wahre Kirche sein könnten. Worauf der
Gegner antwortet: Du dummer Katholik, der Acker ist ja gar nicht die Kirche,
sondern, wie Christus ausdrücklich gesagt hat, die Welt, die Welt aber ist des
Teufels, und die Kirche besteht mir ans uns Heiligen, die wir von Gott in
diese schlechte Welt gesäet sind.

Fragen wir nun nach dein Maße der Schuld, die sich der Klerus durch
die Verfolgung der Sekten zugezogen hat, so müßte er freilich auf dem Stand¬
punkte des reinen Evangeliums schlechthin und ohne Zubilligung mildernder
Umstände verurteilt werde». Haben wir aber die Unvermeidlichkeit jenes
Selbstwiderspruches, durch den die Kirche ein weltliches Reich geworden ist,
zugegeben, so wird unser Urteil milder ausfallen. Es mag dahingestellt
bleiben, inwieweit die Anklage begründet ist, die Sektirer hätten in ihren


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[0239] haben sich die Inquisitoren viel Mühe gegeben, die Sektirer von der Falsch¬ heit ihrer Glaubensmeinungen zu überzeugen. In manchen Stücken steht der Streit zwischen den Katholiken und ihren Gegnern heute noch genau ans dem nämlichen Fleck wie vor sechshundert Jahren. So z. V. läßt eine Wider- legungSschrift (I/ibor snzM Stoll^ betitelt) den Häretiker zum Katholiken hageln „Wenn du vor dem Kreuze, das einhergetragen wird, und das doch mir ein Stück Holz ist, schleunig aufstehst und tiefe Verbeugungen machst und Gebete hersagst, so kannst du doch gar uicht in Abrede stellen, daß du ein Götzen¬ diener bist." Worauf der Katholik antwortet: „O Häretiker, wenn ich beim Herannahen des Kreuzes aufstehe, so stehe ich doch nicht vor dem Kreuze auf, sondern vor meinem Heiland Jesus Christus, der daran gestorben ist." Weiter sagt der Häretiker u. a.: „Nun sehen wir uus einmal die Prälaten des Tieres an. (Die Häretiker nannten die römische Kirche gern nach der Apokalypse „das Tier," oder „die babylonische Hure," die auf dein Tiere sitzend ein- geführt wird.) Die haben tausend Mark Einkommen und darüber, und worauf verwenden sie das? Ans Unzucht und Völlerei, sodaß der Gestank dieses Schlangennestes bis zu Gott nud seinen Heiligen empordringt; Gott bewahre mich, daß ich jemals darein zurückkehre!" Darauf sagt der Katholik: „Merke, daß es auch unter den Vekennern des römischen Glaubens rechtschaffene Heilige giebt! Wo fände man wohl so strenge Fasten, so viel Almosen, so viel Brücken und Hospitäler sdas Brückenbauer galt als ein gutes Werk und wurde uicht selten durch Ablässe gefördert^, solche Enthaltsamkeit bei Jungfrauen und Ehe- leuten, wie in der römischen Kirche? Was läßt dn dich also durch die Bösen irre macheu? Die Bösen fallen der Verdammnis anheim, und die am höchsten stehenden Prälaten werden, wenn sie schlecht gelebt haben, die schwersten Strafen erleiden." Ja daß es auch schlechte Katholiken giebt, spreche gerade für die katholische Kirche, denn Christus habe vorausgesagt, daß sich ans seinem Acker bis zum Ende der Welt stets Unkraut nnter dem Weizen finden werde; wenn sich also die Häretiker einbildeten, allesamt Heilige zu sein, so bewiesen sie schon dadurch, daß sie nicht die wahre Kirche sein könnten. Worauf der Gegner antwortet: Du dummer Katholik, der Acker ist ja gar nicht die Kirche, sondern, wie Christus ausdrücklich gesagt hat, die Welt, die Welt aber ist des Teufels, und die Kirche besteht mir ans uns Heiligen, die wir von Gott in diese schlechte Welt gesäet sind. Fragen wir nun nach dein Maße der Schuld, die sich der Klerus durch die Verfolgung der Sekten zugezogen hat, so müßte er freilich auf dem Stand¬ punkte des reinen Evangeliums schlechthin und ohne Zubilligung mildernder Umstände verurteilt werde». Haben wir aber die Unvermeidlichkeit jenes Selbstwiderspruches, durch den die Kirche ein weltliches Reich geworden ist, zugegeben, so wird unser Urteil milder ausfallen. Es mag dahingestellt bleiben, inwieweit die Anklage begründet ist, die Sektirer hätten in ihren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/239>, abgerufen am 24.07.2024.