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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Rufe: "Gott rette Rom und Deutschland!" Es war daher die größte Wohl¬
that für das Land selbst, daß die Regierung zeitig dagegen einschritt.

Darob nun aber große Entrüstung in dem ultramontanen Lager. Noch
nach anderthalb Jahren, am 16. Januar 1878, wurde vom Zentrum durch
eiuen auf die Angelegenheit bezüglichen Antrag, in dem namentlich für die
Gemeinde Marpingen eine Entschädigung von 4000 Mark verlangt wurde, im
Abgeordnetenhaus^ eine Haupt- und Staatsaktion in Szene gesetzt. Natürlich
wußte jedermann, daß die Anträge verworfen werden würden. Aber die Sache
gab doch Gelegenheit zu fulminanten Reden. Die Schlußrede hielt als Mit¬
antragsteller der Abgeordnete Windthorst.

Er begann seine Rede damit, daß Erscheinungen, wie die der Mutter
Gottes, nicht apriorisch zu verwerfen seien. Auch protestantische Philosophen
hätten sich dafür ausgesprochen. Die Entscheidung darüber, ob eine Erscheinung
dieser Art auf Realität beruhe, gebühre dem Bischof. Leider sei kein Bischof
in Trier vorhanden, sonst hätte sich die Regierung mit diesem in Vernehmen
setzen müssen. Nur Materialisten, Atheisten und Deisten vermöchten sich nicht
ans diesen Standpunkt der katholischen Lehre zu stellen. Er aber werde un¬
erschrocken die positiven Sätze des Glaubens verteidigen. Der Grund, weshalb
sie diese Angelegenheit hier zur Sprache brächten, liege in der Frage, ,,ob eine
Zivilgemeinde unsers Vaterlandes durch Maßregeln der Negierung an den
Bettelstab gebracht werden soll." Die ganze Methode der Regierung in diesem
Lande bestehe in nichts anderem, als darin, überall mit Polizei- und Militär¬
gewalt einzuschreiten. "Meine Herren, Ideen bekämpft man nicht mit Bajo¬
netten." In dem Furor des Kulturkampfes habe mau geglaubt, gegen die
Manifestation eines katholisch-religiösen Gefühles einschreiten zu müssen. "Ich
habe die Überzeugung, man lechzt nach dem Augenblicke, wo man uns mit
Kanonen treffen konnte." "Was that die Menge? Sie lag auf den Knieen,
betete und sang. Beten und singen scheint hierzulande sehr staatsgefährlich zu
sein." Mnu glaubte die Aufruhrakte dagegen verlesen zu müssen. Die Aufrnhr-
akte sei aber nicht vor, sondern hinter der Menschenmenge verlesen worden,
und deshalb nehme er um, daß sie ,,absolut nicht richtig verkündet" worden sei.
Auch das Militär sei nicht auf dem ordentlichen Wege, sondern auf einem
Umwege in den Wald gelangt. "Ein ordentliches Militärkommando geht
windour lmtwnt direkt auf die Masse." Das ganze Verfahren widerspreche
durchaus den Gesetzen, und eine Landesvertretung, die derartige Dinge mit
Gleichgiltigkeit ansehe, erfülle sehr schlecht ihre Pflicht. Im Dorfe aber habe
das Militär gewirtschaftet wie in Feindesland. Nach Anführung eines Vor¬
kommnisses in einer Versammlung eines christlich-sozialen Vereins, sagte dann
der Redner: "Ich sage Ihnen, ein Staat, der eine betende Menge mit dem
Bajonett ans einander treibt, dagegen eine Versammlung, worin das Ange¬
führte gesprochen wurde, duldet, der muß untergehen!" Und warum versagte


windthorst

Rufe: „Gott rette Rom und Deutschland!" Es war daher die größte Wohl¬
that für das Land selbst, daß die Regierung zeitig dagegen einschritt.

Darob nun aber große Entrüstung in dem ultramontanen Lager. Noch
nach anderthalb Jahren, am 16. Januar 1878, wurde vom Zentrum durch
eiuen auf die Angelegenheit bezüglichen Antrag, in dem namentlich für die
Gemeinde Marpingen eine Entschädigung von 4000 Mark verlangt wurde, im
Abgeordnetenhaus^ eine Haupt- und Staatsaktion in Szene gesetzt. Natürlich
wußte jedermann, daß die Anträge verworfen werden würden. Aber die Sache
gab doch Gelegenheit zu fulminanten Reden. Die Schlußrede hielt als Mit¬
antragsteller der Abgeordnete Windthorst.

Er begann seine Rede damit, daß Erscheinungen, wie die der Mutter
Gottes, nicht apriorisch zu verwerfen seien. Auch protestantische Philosophen
hätten sich dafür ausgesprochen. Die Entscheidung darüber, ob eine Erscheinung
dieser Art auf Realität beruhe, gebühre dem Bischof. Leider sei kein Bischof
in Trier vorhanden, sonst hätte sich die Regierung mit diesem in Vernehmen
setzen müssen. Nur Materialisten, Atheisten und Deisten vermöchten sich nicht
ans diesen Standpunkt der katholischen Lehre zu stellen. Er aber werde un¬
erschrocken die positiven Sätze des Glaubens verteidigen. Der Grund, weshalb
sie diese Angelegenheit hier zur Sprache brächten, liege in der Frage, ,,ob eine
Zivilgemeinde unsers Vaterlandes durch Maßregeln der Negierung an den
Bettelstab gebracht werden soll." Die ganze Methode der Regierung in diesem
Lande bestehe in nichts anderem, als darin, überall mit Polizei- und Militär¬
gewalt einzuschreiten. „Meine Herren, Ideen bekämpft man nicht mit Bajo¬
netten." In dem Furor des Kulturkampfes habe mau geglaubt, gegen die
Manifestation eines katholisch-religiösen Gefühles einschreiten zu müssen. „Ich
habe die Überzeugung, man lechzt nach dem Augenblicke, wo man uns mit
Kanonen treffen konnte." „Was that die Menge? Sie lag auf den Knieen,
betete und sang. Beten und singen scheint hierzulande sehr staatsgefährlich zu
sein." Mnu glaubte die Aufruhrakte dagegen verlesen zu müssen. Die Aufrnhr-
akte sei aber nicht vor, sondern hinter der Menschenmenge verlesen worden,
und deshalb nehme er um, daß sie ,,absolut nicht richtig verkündet" worden sei.
Auch das Militär sei nicht auf dem ordentlichen Wege, sondern auf einem
Umwege in den Wald gelangt. „Ein ordentliches Militärkommando geht
windour lmtwnt direkt auf die Masse." Das ganze Verfahren widerspreche
durchaus den Gesetzen, und eine Landesvertretung, die derartige Dinge mit
Gleichgiltigkeit ansehe, erfülle sehr schlecht ihre Pflicht. Im Dorfe aber habe
das Militär gewirtschaftet wie in Feindesland. Nach Anführung eines Vor¬
kommnisses in einer Versammlung eines christlich-sozialen Vereins, sagte dann
der Redner: „Ich sage Ihnen, ein Staat, der eine betende Menge mit dem
Bajonett ans einander treibt, dagegen eine Versammlung, worin das Ange¬
führte gesprochen wurde, duldet, der muß untergehen!" Und warum versagte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/20>, abgerufen am 24.07.2024.