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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Leibe Preußens und des deutschen Reiches sei, mit allen Kräften darnach
trachtete, daß die Aufreißung dieses Pfahles nicht gelänge, und daß er sich
deshalb zum Wortführer dieser Sache machte. Daß er diese Aufgabe mit
der größten Geschicklichkeit, Beharrlichkeit und Konsequenz durchgeführt hat.
muß ihm Freund und Feind bezeugen. In seiner Person kam der parlamen¬
tarische Advokatismns zur höchsten Blüte.

Mallinckrvdt starb bereits im Jahre 1874. Seitdem war Windthorst
unbestreitbar die bedeutendste geistige Kraft der Partei. Er wurde ihr Haupt
und ihr Führer. Unermüdlich war er im Reden. Auf alles wußte er eine
Antwort zu geben. Die Partei selbst wuchs schon im Reichstage von 1874
auf 93 Mitglieder. Später hat sie sich noch weiter verstärkt. So bildete sie
eine mächtige und bei dein Hader der übrigen uicht selten die ausschlaggebende
Fraktion.

Wir können uicht versuchen, ans den unzähligen Reden, die Windthorst
auf Veranlassung des Kulturkampfes im Reichstag und im Abgeordnetenhause
gehalten hat, hier eine noch so bescheidene Blumenlese zu geben. Wir wollen
nur auf eine Rede etwas näher eingehen, die sich-um ein anch kulturgeschichtlich
interessantes Ereignis knüpft.

Jedermann kennt die Vorgänge in Lourdes, wo im Jahre 1858 die
Mutter Gottes erschien, worauf dann dieser Ort zu einem großen Wallfahrts¬
ort erhoben wurde. An demselben Tage, wo man dort eine Kapelle
einweihte, um 3. Juli 1876, erschien die Mutter Gottes nun auch drei Kindern
in einem Walde bei Marpingen, einem Dorfe unweit Trier.

Bald begannen sich Menschen in dem Walde anzusammeln, und nach etwa
acht Tagen war dort eine nach Tausenden zählende Menge zusammengeströmt,
die bei Tag und Nacht singend und Gebete plärrend auf den Knieen lag.
Es war klar, daß dieser Unfug nicht länger geduldet werden konnte. Am
12. Juli erschienen dort die zuständigen Beamten mit mehreren Gendarmen
und forderten die Menge auf, aus einander zu gehen. Die Menge blieb
unbeweglich. Darauf erschienen den folgenden Tag zwei Kompagnien Soldaten.
Da abermals die Aufforderung, aus einander zu gehen, unbefvlgt blieb, wurde
die Trommel gerührt, die Soldaten gingen vor und drängten die Menschen
aus dem Walde, wobei ewige leichte Verletzungen vorkamen. Noch für einige
Zeit mußten zur Aufrechthaltung der Ordnung in Marpingen Exekutionsmittel
bereit gehalten werden, deren Kosten die Gemeinde zu tragen hatte. Auch
wurde das Betreten des Waldes ohne vorher eingeholte Erlaubnis verboten.
Die Mutter Gottes aber erschien nicht wieder.

Ohne Zweifel war die ganze Sache angestiftet. Man wollte im Interesse
des Kulturkampfes die Massen mobil machen. Wäre nicht der Schwindel im
Keime erstickt worden, so würden wahrscheinlich bald (nach dem Beispiel in
Frankreich) fanatisirte Massen die Rheinprovinz durchzogen haben unter dem


windthorst

Leibe Preußens und des deutschen Reiches sei, mit allen Kräften darnach
trachtete, daß die Aufreißung dieses Pfahles nicht gelänge, und daß er sich
deshalb zum Wortführer dieser Sache machte. Daß er diese Aufgabe mit
der größten Geschicklichkeit, Beharrlichkeit und Konsequenz durchgeführt hat.
muß ihm Freund und Feind bezeugen. In seiner Person kam der parlamen¬
tarische Advokatismns zur höchsten Blüte.

Mallinckrvdt starb bereits im Jahre 1874. Seitdem war Windthorst
unbestreitbar die bedeutendste geistige Kraft der Partei. Er wurde ihr Haupt
und ihr Führer. Unermüdlich war er im Reden. Auf alles wußte er eine
Antwort zu geben. Die Partei selbst wuchs schon im Reichstage von 1874
auf 93 Mitglieder. Später hat sie sich noch weiter verstärkt. So bildete sie
eine mächtige und bei dein Hader der übrigen uicht selten die ausschlaggebende
Fraktion.

Wir können uicht versuchen, ans den unzähligen Reden, die Windthorst
auf Veranlassung des Kulturkampfes im Reichstag und im Abgeordnetenhause
gehalten hat, hier eine noch so bescheidene Blumenlese zu geben. Wir wollen
nur auf eine Rede etwas näher eingehen, die sich-um ein anch kulturgeschichtlich
interessantes Ereignis knüpft.

Jedermann kennt die Vorgänge in Lourdes, wo im Jahre 1858 die
Mutter Gottes erschien, worauf dann dieser Ort zu einem großen Wallfahrts¬
ort erhoben wurde. An demselben Tage, wo man dort eine Kapelle
einweihte, um 3. Juli 1876, erschien die Mutter Gottes nun auch drei Kindern
in einem Walde bei Marpingen, einem Dorfe unweit Trier.

Bald begannen sich Menschen in dem Walde anzusammeln, und nach etwa
acht Tagen war dort eine nach Tausenden zählende Menge zusammengeströmt,
die bei Tag und Nacht singend und Gebete plärrend auf den Knieen lag.
Es war klar, daß dieser Unfug nicht länger geduldet werden konnte. Am
12. Juli erschienen dort die zuständigen Beamten mit mehreren Gendarmen
und forderten die Menge auf, aus einander zu gehen. Die Menge blieb
unbeweglich. Darauf erschienen den folgenden Tag zwei Kompagnien Soldaten.
Da abermals die Aufforderung, aus einander zu gehen, unbefvlgt blieb, wurde
die Trommel gerührt, die Soldaten gingen vor und drängten die Menschen
aus dem Walde, wobei ewige leichte Verletzungen vorkamen. Noch für einige
Zeit mußten zur Aufrechthaltung der Ordnung in Marpingen Exekutionsmittel
bereit gehalten werden, deren Kosten die Gemeinde zu tragen hatte. Auch
wurde das Betreten des Waldes ohne vorher eingeholte Erlaubnis verboten.
Die Mutter Gottes aber erschien nicht wieder.

Ohne Zweifel war die ganze Sache angestiftet. Man wollte im Interesse
des Kulturkampfes die Massen mobil machen. Wäre nicht der Schwindel im
Keime erstickt worden, so würden wahrscheinlich bald (nach dem Beispiel in
Frankreich) fanatisirte Massen die Rheinprovinz durchzogen haben unter dem


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[0019] windthorst Leibe Preußens und des deutschen Reiches sei, mit allen Kräften darnach trachtete, daß die Aufreißung dieses Pfahles nicht gelänge, und daß er sich deshalb zum Wortführer dieser Sache machte. Daß er diese Aufgabe mit der größten Geschicklichkeit, Beharrlichkeit und Konsequenz durchgeführt hat. muß ihm Freund und Feind bezeugen. In seiner Person kam der parlamen¬ tarische Advokatismns zur höchsten Blüte. Mallinckrvdt starb bereits im Jahre 1874. Seitdem war Windthorst unbestreitbar die bedeutendste geistige Kraft der Partei. Er wurde ihr Haupt und ihr Führer. Unermüdlich war er im Reden. Auf alles wußte er eine Antwort zu geben. Die Partei selbst wuchs schon im Reichstage von 1874 auf 93 Mitglieder. Später hat sie sich noch weiter verstärkt. So bildete sie eine mächtige und bei dein Hader der übrigen uicht selten die ausschlaggebende Fraktion. Wir können uicht versuchen, ans den unzähligen Reden, die Windthorst auf Veranlassung des Kulturkampfes im Reichstag und im Abgeordnetenhause gehalten hat, hier eine noch so bescheidene Blumenlese zu geben. Wir wollen nur auf eine Rede etwas näher eingehen, die sich-um ein anch kulturgeschichtlich interessantes Ereignis knüpft. Jedermann kennt die Vorgänge in Lourdes, wo im Jahre 1858 die Mutter Gottes erschien, worauf dann dieser Ort zu einem großen Wallfahrts¬ ort erhoben wurde. An demselben Tage, wo man dort eine Kapelle einweihte, um 3. Juli 1876, erschien die Mutter Gottes nun auch drei Kindern in einem Walde bei Marpingen, einem Dorfe unweit Trier. Bald begannen sich Menschen in dem Walde anzusammeln, und nach etwa acht Tagen war dort eine nach Tausenden zählende Menge zusammengeströmt, die bei Tag und Nacht singend und Gebete plärrend auf den Knieen lag. Es war klar, daß dieser Unfug nicht länger geduldet werden konnte. Am 12. Juli erschienen dort die zuständigen Beamten mit mehreren Gendarmen und forderten die Menge auf, aus einander zu gehen. Die Menge blieb unbeweglich. Darauf erschienen den folgenden Tag zwei Kompagnien Soldaten. Da abermals die Aufforderung, aus einander zu gehen, unbefvlgt blieb, wurde die Trommel gerührt, die Soldaten gingen vor und drängten die Menschen aus dem Walde, wobei ewige leichte Verletzungen vorkamen. Noch für einige Zeit mußten zur Aufrechthaltung der Ordnung in Marpingen Exekutionsmittel bereit gehalten werden, deren Kosten die Gemeinde zu tragen hatte. Auch wurde das Betreten des Waldes ohne vorher eingeholte Erlaubnis verboten. Die Mutter Gottes aber erschien nicht wieder. Ohne Zweifel war die ganze Sache angestiftet. Man wollte im Interesse des Kulturkampfes die Massen mobil machen. Wäre nicht der Schwindel im Keime erstickt worden, so würden wahrscheinlich bald (nach dem Beispiel in Frankreich) fanatisirte Massen die Rheinprovinz durchzogen haben unter dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/19>, abgerufen am 24.07.2024.