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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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man den Gemeindegliedern das Betreten des Waldes? Die Erlaubnis dazu
werde mir ans drei Tage und von morgens bis abends sechs Uhr erteilt.
"So tyrannisch greift man in die Selbständigkeit der Kommune, so tyrannisch
greift man in die Ausübung des Eigentums des Einzelnen ein -- und das
alles soll dem Recht und dem Gesetz entsprechend sein!" "Wenn Sie unsre
Antrage ablehnen, so würde darin das Votum liegen, daß die Polizeigewalt
thun darf, was sie will, wenn es nur zu einem Zwecke geschieht, der Ihnen
Paßt."

Auch hier frage" wir einfach: Halt jemand in der Welt den Abgeordneten
Windthorst für so dumm, daß er an das, was er hier vorgebracht hat, wirklich
geglaubt Hütte? Solche Reden muß man lesen, um deu Mann richtig zu
beurteilen. Man könnte vielleicht zur Entschuldigung sagen, daß es nun ein¬
mal in parlamentarischem Verhandlungen zur Erreichung der Zwecke, die man
verfolgt, nicht ganz uuüblich sei, zu übertreiben, zu entstellen und wohl auch zu
lügen. Wir antworten darauf: Ein würdiger Mann verschmäht es, diese Mode
mitzumachen. Natürlich war diese, sowie viele andre Reden ähnlichen Stils,
nur zum geringsten Teile für die Versammlung berechnet, in der sie gehalten
Wurde. Sie sollte hinaus gehen ins Volk und dieses aufhetzen. Schon in
dem parlamentarischen Protokoll waren für diesem Zweck die Hanptkraftstellen
mit gesperrten Lettern gedruckt. Aus dem Protokoll gingen dann solche Reden
M die ultramontanen Blätter über und übten in den Massen ihre Wirkung.
Wir begegnen hiermit einer Seite in dem Wesen Windthorsts, die wir bisher
noch nicht besonders hervorgehoben haben. Windthorst war nicht bloß ein
einflußreicher Parlamentarier, sondern zugleich ein gefährlicher Demagog. Wie
kein andrer verstand er die Dummheit der Menschen zu benutzen, indem er
ihnen weis machte, daß ihnen ihre Religion genommen werden solle.

Richtig ist, daß Windthorst seit Ende der siebziger Jahre im allgemeinen
etwas milder auftrat, ja daß er sogar in einzelnen Dingen (z. B. bei der Zoll¬
gesetzgebung) die Regierung unterstützte. Sicherlich aber beruhte dies nicht
uns eiuer Wandlung seines Sinnes, sondern es haben andre Gründe ans ihn
eingewirkt. So groß anch sein Einfluß in seiner Fraktion war, so konnte er
doch auch dieser gegenüber nicht immer, wie er wollte. Schon an sich mochte
es schwer sein, eine Fraktion, in der die verschiedensten politischen Färbungen
vertreten waren, stets unter der klerikalen Fahne zusammenzuhalten. Nun
traten anch die wirtschaftlichen Fragen in den Vordergrund, und bei
diesen hört selbst für den eifrigsten Katholiken der Religivnsfanatismns ans.
Endlich waren auch Elemente in der Fraktion, die doch nicht ganz auf dem
extremen Standpunkte Windthorsts standen. Dem Schreiber dieser Zeilen ist
n"es wohl erinnerlich, daß, als er einst im Laufe der siebziger Jahre einem
it)in befreundeten, hervorragenden Zentrnmsmann, der sich bei allem Eifer
für die katholische Sache doch einen warmen Patriotismus bewahrt hatte,


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man den Gemeindegliedern das Betreten des Waldes? Die Erlaubnis dazu
werde mir ans drei Tage und von morgens bis abends sechs Uhr erteilt.
„So tyrannisch greift man in die Selbständigkeit der Kommune, so tyrannisch
greift man in die Ausübung des Eigentums des Einzelnen ein — und das
alles soll dem Recht und dem Gesetz entsprechend sein!" „Wenn Sie unsre
Antrage ablehnen, so würde darin das Votum liegen, daß die Polizeigewalt
thun darf, was sie will, wenn es nur zu einem Zwecke geschieht, der Ihnen
Paßt."

Auch hier frage» wir einfach: Halt jemand in der Welt den Abgeordneten
Windthorst für so dumm, daß er an das, was er hier vorgebracht hat, wirklich
geglaubt Hütte? Solche Reden muß man lesen, um deu Mann richtig zu
beurteilen. Man könnte vielleicht zur Entschuldigung sagen, daß es nun ein¬
mal in parlamentarischem Verhandlungen zur Erreichung der Zwecke, die man
verfolgt, nicht ganz uuüblich sei, zu übertreiben, zu entstellen und wohl auch zu
lügen. Wir antworten darauf: Ein würdiger Mann verschmäht es, diese Mode
mitzumachen. Natürlich war diese, sowie viele andre Reden ähnlichen Stils,
nur zum geringsten Teile für die Versammlung berechnet, in der sie gehalten
Wurde. Sie sollte hinaus gehen ins Volk und dieses aufhetzen. Schon in
dem parlamentarischen Protokoll waren für diesem Zweck die Hanptkraftstellen
mit gesperrten Lettern gedruckt. Aus dem Protokoll gingen dann solche Reden
M die ultramontanen Blätter über und übten in den Massen ihre Wirkung.
Wir begegnen hiermit einer Seite in dem Wesen Windthorsts, die wir bisher
noch nicht besonders hervorgehoben haben. Windthorst war nicht bloß ein
einflußreicher Parlamentarier, sondern zugleich ein gefährlicher Demagog. Wie
kein andrer verstand er die Dummheit der Menschen zu benutzen, indem er
ihnen weis machte, daß ihnen ihre Religion genommen werden solle.

Richtig ist, daß Windthorst seit Ende der siebziger Jahre im allgemeinen
etwas milder auftrat, ja daß er sogar in einzelnen Dingen (z. B. bei der Zoll¬
gesetzgebung) die Regierung unterstützte. Sicherlich aber beruhte dies nicht
uns eiuer Wandlung seines Sinnes, sondern es haben andre Gründe ans ihn
eingewirkt. So groß anch sein Einfluß in seiner Fraktion war, so konnte er
doch auch dieser gegenüber nicht immer, wie er wollte. Schon an sich mochte
es schwer sein, eine Fraktion, in der die verschiedensten politischen Färbungen
vertreten waren, stets unter der klerikalen Fahne zusammenzuhalten. Nun
traten anch die wirtschaftlichen Fragen in den Vordergrund, und bei
diesen hört selbst für den eifrigsten Katholiken der Religivnsfanatismns ans.
Endlich waren auch Elemente in der Fraktion, die doch nicht ganz auf dem
extremen Standpunkte Windthorsts standen. Dem Schreiber dieser Zeilen ist
n»es wohl erinnerlich, daß, als er einst im Laufe der siebziger Jahre einem
it)in befreundeten, hervorragenden Zentrnmsmann, der sich bei allem Eifer
für die katholische Sache doch einen warmen Patriotismus bewahrt hatte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/21>, abgerufen am 24.07.2024.