Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zolcis antisemitischer Roman

er bloß an einer Stelle seine sexuelle Zauberwurzel spielen läßt, sondern weil
Zola darin eine ausgesprochene gesellschaftliche Tendenz offenbart und Angriffe
gegen das moderne Judentum richtet, die an Scharfe selbst die Nusbrüche unsrer
tollsten Antisemiten übertreffen. Daher auch die merkwürdige Erscheinung, daß
unsre Tagespresse, die sich sonst ziemlich eingehend mit den Erzeugnissen der
französischen Muse beschäftigt, diesen Roman fast totschweigen zu wollen scheint.
Zola ist ein reicher Mann geworden. Er darf sichs gestatten, seine Meinung
frei auszusprechen, und er kann sicher sein, man wird ihm alles verzeihen,
seine Stilfehler nud seine mangelhafte Komposition, seine Roheiten und seine
sittlichen Verirrungen, nur nicht die Unvorsichtigkeit, daß er von seinem Helden
Saccard sagt: "Er fühlte gegen die Juden den alten Rassenhaß, den man am
kräftigsten im Süden Frankreichs vorfindet. Es war ihm, als ob sich sein
Fleisch gegen sie empörte, als ob seiue Haut bei dein Gedanken an die leiseste
Berührung mit ihnen zusammenschauderte, einem Gedanken, der ihn mit Ekel
und Heftigkeit erfüllte und ihn über alle Grenzen ruhiger Überlegung fortriß,
ohne daß er seiner Herr werden konnte. Er richtete seine laute Anklage gegen
diese Rasse, diese verfluchte Rasse, die kein Vaterland und keinen Fürsten habe,
die überall als Schmarotzer bei den Völkern lebe, die zwar so thue, als ob
sie die Gesetze anerkenne, aber in Wirklichkeit nur ihrem Gott des Raubes,
des Blutes und des Zornes gehorche. Überall erfülle sie die ihr von diesem
Gott gegebne Bestimmung, alles rücksichtslos an sich zu reißen, sich bei jedem
Volke einzunisten, wie eine Kreuzspinne inmitten ihres Gewebes die Beute ein-
zufangen, allen das Vink auszulangen und sich von dem Leben andrer zu
mästen. Mit innerer Wut prophezeite er die schließliche Unterwerfung aller
Völker durch die Juden, sobald sie sich das ganze Vermögen des Erdballs
durch Wucher angeeignet hätten, was nicht lange mehr dauern würde, da mau
ihnen in der täglich wachsenden Ausdehnung ihrer Herrschaft vollkommen freies
Spiel lasse."

Auch 1'^i-Mut, gehört zu dem großen, bändereichen Nomanehklns Los
liougou-U^oPmrt, den Zola als die Natur- und Kulturgeschichte einer Familie
unter dem zweiten Kaiserreiche bezeichnet, der aber zutreffender von einem
Kritiker une 6xopöö xessiiniLto as l'lmiw-llito llunmmo genannt worden ist.
Und in der That, für das Seelische, wahrhaft Menschliche hat dieser natu¬
ralistische Vielschreiber nicht das geringste Verständnis; Herzenskämpfe, Seelen¬
qualen, wahre Begeisterung und edle Leidenschaften sind seiner oberflächlichen
und rem materialistischen Lebensauffassung völlig fremde Begriffe. Was nicht
dnrch Wirkungen der Epidermis, der Nerven, Muskeln und Magenhäute er¬
klärt werden kaun, bleibt seiner Erkenntnis überhaupt verschlossen. Nirgends
finden Nur daher in seinen Romanen auch nur den leisesten Versuch einer
gründlichen Charakteristik oder psychologischen Vertiefung; nirgends vermag er
das innere Leben eines höher stehenden Menschen nachempfindend zu schildern


Zolcis antisemitischer Roman

er bloß an einer Stelle seine sexuelle Zauberwurzel spielen läßt, sondern weil
Zola darin eine ausgesprochene gesellschaftliche Tendenz offenbart und Angriffe
gegen das moderne Judentum richtet, die an Scharfe selbst die Nusbrüche unsrer
tollsten Antisemiten übertreffen. Daher auch die merkwürdige Erscheinung, daß
unsre Tagespresse, die sich sonst ziemlich eingehend mit den Erzeugnissen der
französischen Muse beschäftigt, diesen Roman fast totschweigen zu wollen scheint.
Zola ist ein reicher Mann geworden. Er darf sichs gestatten, seine Meinung
frei auszusprechen, und er kann sicher sein, man wird ihm alles verzeihen,
seine Stilfehler nud seine mangelhafte Komposition, seine Roheiten und seine
sittlichen Verirrungen, nur nicht die Unvorsichtigkeit, daß er von seinem Helden
Saccard sagt: „Er fühlte gegen die Juden den alten Rassenhaß, den man am
kräftigsten im Süden Frankreichs vorfindet. Es war ihm, als ob sich sein
Fleisch gegen sie empörte, als ob seiue Haut bei dein Gedanken an die leiseste
Berührung mit ihnen zusammenschauderte, einem Gedanken, der ihn mit Ekel
und Heftigkeit erfüllte und ihn über alle Grenzen ruhiger Überlegung fortriß,
ohne daß er seiner Herr werden konnte. Er richtete seine laute Anklage gegen
diese Rasse, diese verfluchte Rasse, die kein Vaterland und keinen Fürsten habe,
die überall als Schmarotzer bei den Völkern lebe, die zwar so thue, als ob
sie die Gesetze anerkenne, aber in Wirklichkeit nur ihrem Gott des Raubes,
des Blutes und des Zornes gehorche. Überall erfülle sie die ihr von diesem
Gott gegebne Bestimmung, alles rücksichtslos an sich zu reißen, sich bei jedem
Volke einzunisten, wie eine Kreuzspinne inmitten ihres Gewebes die Beute ein-
zufangen, allen das Vink auszulangen und sich von dem Leben andrer zu
mästen. Mit innerer Wut prophezeite er die schließliche Unterwerfung aller
Völker durch die Juden, sobald sie sich das ganze Vermögen des Erdballs
durch Wucher angeeignet hätten, was nicht lange mehr dauern würde, da mau
ihnen in der täglich wachsenden Ausdehnung ihrer Herrschaft vollkommen freies
Spiel lasse."

Auch 1'^i-Mut, gehört zu dem großen, bändereichen Nomanehklns Los
liougou-U^oPmrt, den Zola als die Natur- und Kulturgeschichte einer Familie
unter dem zweiten Kaiserreiche bezeichnet, der aber zutreffender von einem
Kritiker une 6xopöö xessiiniLto as l'lmiw-llito llunmmo genannt worden ist.
Und in der That, für das Seelische, wahrhaft Menschliche hat dieser natu¬
ralistische Vielschreiber nicht das geringste Verständnis; Herzenskämpfe, Seelen¬
qualen, wahre Begeisterung und edle Leidenschaften sind seiner oberflächlichen
und rem materialistischen Lebensauffassung völlig fremde Begriffe. Was nicht
dnrch Wirkungen der Epidermis, der Nerven, Muskeln und Magenhäute er¬
klärt werden kaun, bleibt seiner Erkenntnis überhaupt verschlossen. Nirgends
finden Nur daher in seinen Romanen auch nur den leisesten Versuch einer
gründlichen Charakteristik oder psychologischen Vertiefung; nirgends vermag er
das innere Leben eines höher stehenden Menschen nachempfindend zu schildern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0195" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210062"/>
          <fw type="header" place="top"> Zolcis antisemitischer Roman</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_509" prev="#ID_508"> er bloß an einer Stelle seine sexuelle Zauberwurzel spielen läßt, sondern weil<lb/>
Zola darin eine ausgesprochene gesellschaftliche Tendenz offenbart und Angriffe<lb/>
gegen das moderne Judentum richtet, die an Scharfe selbst die Nusbrüche unsrer<lb/>
tollsten Antisemiten übertreffen. Daher auch die merkwürdige Erscheinung, daß<lb/>
unsre Tagespresse, die sich sonst ziemlich eingehend mit den Erzeugnissen der<lb/>
französischen Muse beschäftigt, diesen Roman fast totschweigen zu wollen scheint.<lb/>
Zola ist ein reicher Mann geworden. Er darf sichs gestatten, seine Meinung<lb/>
frei auszusprechen, und er kann sicher sein, man wird ihm alles verzeihen,<lb/>
seine Stilfehler nud seine mangelhafte Komposition, seine Roheiten und seine<lb/>
sittlichen Verirrungen, nur nicht die Unvorsichtigkeit, daß er von seinem Helden<lb/>
Saccard sagt: &#x201E;Er fühlte gegen die Juden den alten Rassenhaß, den man am<lb/>
kräftigsten im Süden Frankreichs vorfindet.  Es war ihm, als ob sich sein<lb/>
Fleisch gegen sie empörte, als ob seiue Haut bei dein Gedanken an die leiseste<lb/>
Berührung mit ihnen zusammenschauderte, einem Gedanken, der ihn mit Ekel<lb/>
und Heftigkeit erfüllte und ihn über alle Grenzen ruhiger Überlegung fortriß,<lb/>
ohne daß er seiner Herr werden konnte. Er richtete seine laute Anklage gegen<lb/>
diese Rasse, diese verfluchte Rasse, die kein Vaterland und keinen Fürsten habe,<lb/>
die überall als Schmarotzer bei den Völkern lebe, die zwar so thue, als ob<lb/>
sie die Gesetze anerkenne, aber in Wirklichkeit nur ihrem Gott des Raubes,<lb/>
des Blutes und des Zornes gehorche. Überall erfülle sie die ihr von diesem<lb/>
Gott gegebne Bestimmung, alles rücksichtslos an sich zu reißen, sich bei jedem<lb/>
Volke einzunisten, wie eine Kreuzspinne inmitten ihres Gewebes die Beute ein-<lb/>
zufangen, allen das Vink auszulangen und sich von dem Leben andrer zu<lb/>
mästen.  Mit innerer Wut prophezeite er die schließliche Unterwerfung aller<lb/>
Völker durch die Juden, sobald sie sich das ganze Vermögen des Erdballs<lb/>
durch Wucher angeeignet hätten, was nicht lange mehr dauern würde, da mau<lb/>
ihnen in der täglich wachsenden Ausdehnung ihrer Herrschaft vollkommen freies<lb/>
Spiel lasse."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_510" next="#ID_511"> Auch 1'^i-Mut, gehört zu dem großen, bändereichen Nomanehklns Los<lb/>
liougou-U^oPmrt, den Zola als die Natur- und Kulturgeschichte einer Familie<lb/>
unter dem zweiten Kaiserreiche bezeichnet, der aber zutreffender von einem<lb/>
Kritiker une 6xopöö xessiiniLto as l'lmiw-llito llunmmo genannt worden ist.<lb/>
Und in der That, für das Seelische, wahrhaft Menschliche hat dieser natu¬<lb/>
ralistische Vielschreiber nicht das geringste Verständnis; Herzenskämpfe, Seelen¬<lb/>
qualen, wahre Begeisterung und edle Leidenschaften sind seiner oberflächlichen<lb/>
und rem materialistischen Lebensauffassung völlig fremde Begriffe. Was nicht<lb/>
dnrch Wirkungen der Epidermis, der Nerven, Muskeln und Magenhäute er¬<lb/>
klärt werden kaun, bleibt seiner Erkenntnis überhaupt verschlossen. Nirgends<lb/>
finden Nur daher in seinen Romanen auch nur den leisesten Versuch einer<lb/>
gründlichen Charakteristik oder psychologischen Vertiefung; nirgends vermag er<lb/>
das innere Leben eines höher stehenden Menschen nachempfindend zu schildern</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0195] Zolcis antisemitischer Roman er bloß an einer Stelle seine sexuelle Zauberwurzel spielen läßt, sondern weil Zola darin eine ausgesprochene gesellschaftliche Tendenz offenbart und Angriffe gegen das moderne Judentum richtet, die an Scharfe selbst die Nusbrüche unsrer tollsten Antisemiten übertreffen. Daher auch die merkwürdige Erscheinung, daß unsre Tagespresse, die sich sonst ziemlich eingehend mit den Erzeugnissen der französischen Muse beschäftigt, diesen Roman fast totschweigen zu wollen scheint. Zola ist ein reicher Mann geworden. Er darf sichs gestatten, seine Meinung frei auszusprechen, und er kann sicher sein, man wird ihm alles verzeihen, seine Stilfehler nud seine mangelhafte Komposition, seine Roheiten und seine sittlichen Verirrungen, nur nicht die Unvorsichtigkeit, daß er von seinem Helden Saccard sagt: „Er fühlte gegen die Juden den alten Rassenhaß, den man am kräftigsten im Süden Frankreichs vorfindet. Es war ihm, als ob sich sein Fleisch gegen sie empörte, als ob seiue Haut bei dein Gedanken an die leiseste Berührung mit ihnen zusammenschauderte, einem Gedanken, der ihn mit Ekel und Heftigkeit erfüllte und ihn über alle Grenzen ruhiger Überlegung fortriß, ohne daß er seiner Herr werden konnte. Er richtete seine laute Anklage gegen diese Rasse, diese verfluchte Rasse, die kein Vaterland und keinen Fürsten habe, die überall als Schmarotzer bei den Völkern lebe, die zwar so thue, als ob sie die Gesetze anerkenne, aber in Wirklichkeit nur ihrem Gott des Raubes, des Blutes und des Zornes gehorche. Überall erfülle sie die ihr von diesem Gott gegebne Bestimmung, alles rücksichtslos an sich zu reißen, sich bei jedem Volke einzunisten, wie eine Kreuzspinne inmitten ihres Gewebes die Beute ein- zufangen, allen das Vink auszulangen und sich von dem Leben andrer zu mästen. Mit innerer Wut prophezeite er die schließliche Unterwerfung aller Völker durch die Juden, sobald sie sich das ganze Vermögen des Erdballs durch Wucher angeeignet hätten, was nicht lange mehr dauern würde, da mau ihnen in der täglich wachsenden Ausdehnung ihrer Herrschaft vollkommen freies Spiel lasse." Auch 1'^i-Mut, gehört zu dem großen, bändereichen Nomanehklns Los liougou-U^oPmrt, den Zola als die Natur- und Kulturgeschichte einer Familie unter dem zweiten Kaiserreiche bezeichnet, der aber zutreffender von einem Kritiker une 6xopöö xessiiniLto as l'lmiw-llito llunmmo genannt worden ist. Und in der That, für das Seelische, wahrhaft Menschliche hat dieser natu¬ ralistische Vielschreiber nicht das geringste Verständnis; Herzenskämpfe, Seelen¬ qualen, wahre Begeisterung und edle Leidenschaften sind seiner oberflächlichen und rem materialistischen Lebensauffassung völlig fremde Begriffe. Was nicht dnrch Wirkungen der Epidermis, der Nerven, Muskeln und Magenhäute er¬ klärt werden kaun, bleibt seiner Erkenntnis überhaupt verschlossen. Nirgends finden Nur daher in seinen Romanen auch nur den leisesten Versuch einer gründlichen Charakteristik oder psychologischen Vertiefung; nirgends vermag er das innere Leben eines höher stehenden Menschen nachempfindend zu schildern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/195
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/195>, abgerufen am 30.06.2024.