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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Zolas antisemitischer Acnnan

und uns eine tiefere Teilnahme für das Schicksal seiner Personen einzuflößen.
Wenn er trotzdem so unerhörte Erfolge zu verzeichnen hat, und seine Mach¬
werke immer noch das große Publikum ""ausgesetzt fesseln, so verdankt er
diese Wirkungen "ehe" seinen auf rohen Sinnenkitzel berechneten Schilderungen
seiner unverkennbaren Fähigkeit und Fertigkeit, um eine brennende Zeitfrage
oder eine allgemein bekannte Einrichtung große Masse" in Bewegung zu setzen
und durch deu kaleidoskopischen Wirrwarr seiner auftauchenden und wieder ver¬
schwindenden Figuren die erlahmende Aufmerksamkeit und Spannung des Lesers
immer von neuem anzustacheln. Diesen Mittelpunkt derartiger Masscnentwick-
luugen bilden z. V. in Vontro et<z die mächtigen Zentralhallen, wo sich
die Bedingungen des tierischen Lebens aufhäufen und träumerische Meuscheu
unter den Stößen der rohen Menge zu Grunde gehen; in I,a. Ilwcko av I'abdo
Uourvt der phantastische Park von Paradvu, wo Romantik und Sinnlichkeit
ihr frevelhaftes Spiel treiben; in l'^ssourmvir die Schnapsbude des alte"
Cvlviube, wo die Arbeiter in Faulheit, Trunkenheit ""d Gemeinheit ver¬
kommen; in Loirllönr nos Diimes das Modentagazi", wo die Ladenschwengel
und Verkäuferinnen sich in cynischen Wesen überbieten; so führt er uns in
Ooriuiiml "litten hinein in das wüste Leben und Treiben eines Bergwerkes,
so bildet in I." 1<zrro die Thätigkeit der Landleute ans ihren Ackern und Höfe"
den Hintergrund seüier Gemälde, so nimmt er in I^-i Lolo llurrmino de"
Bahnhof zu"r Mittelpunkte seiner Schilderungen und Betrachtungen.

In: vorliegenden Roman I'^rg'vnd hat sich Zola die Börse, das gefräßigste
Ungeheuer der mciischliche" Gesellschaft, zum Vorwürfe gewählt; und wie
sich in allen Romanen nur den symbolische" Ker" el" ""absehbarer Schwarm
zweifelhafter oder verkommener Mensche" bewegt, so läßt er i" l'^rgeut das
ganze gottverlassene Jvbbertum i" alle" Schattirmigen seinen widerwärtigen
Neige" um das goldne Kalb aufführe".

Saeeard, der leichtsinnige Bruder des Ministers Nongon, hat durch ge-
wagte Spekulationen sein Vermögen verlöre". Sofort sinkt der einst um¬
worbene und gefeierte in deu Augen der Börsenmänner zu eine"! verachtnngs-
wttrdigen Mensche" hinab. Man meidet ihn, man keimt ih" nicht, und selbst
sein Bruder zieht sich ängstlich von ihm z"ruck. Z"fällig wird er vo" dem
Jugemeur Hameline auf die Silbermitten und Kohlengruben in Syrien auf¬
merksam gemacht, und durch ein schlaues Manöver gelingt es ihm, in kurzer
Zeit eine Aktiengesellschaft, die Lamauo uuivei'LLlle, zu gründen, "in eine Aus-
beutung der angebliche" klei"asiatischen Schätze vorz""ebene". Sie wolle"
einen neue" Kreuzzug dorthin unternehmen, aber nicht mit Waffe" "ud Ge¬
walt, sonder" mit Geld n"d Intelligenz. Jerusalem soll erobert, dein schwer
bedrängte" Papste dort eine weltliche Macht begründet und dem Kntholizismns
frisches Leben zugeführt werde". Was Napoleo" mit seinen Truppe" uicht
vermocht hatte, die Eroberung des Orients, das Null die ^miauo rmivorsollo


Zolas antisemitischer Acnnan

und uns eine tiefere Teilnahme für das Schicksal seiner Personen einzuflößen.
Wenn er trotzdem so unerhörte Erfolge zu verzeichnen hat, und seine Mach¬
werke immer noch das große Publikum »»ausgesetzt fesseln, so verdankt er
diese Wirkungen »ehe» seinen auf rohen Sinnenkitzel berechneten Schilderungen
seiner unverkennbaren Fähigkeit und Fertigkeit, um eine brennende Zeitfrage
oder eine allgemein bekannte Einrichtung große Masse» in Bewegung zu setzen
und durch deu kaleidoskopischen Wirrwarr seiner auftauchenden und wieder ver¬
schwindenden Figuren die erlahmende Aufmerksamkeit und Spannung des Lesers
immer von neuem anzustacheln. Diesen Mittelpunkt derartiger Masscnentwick-
luugen bilden z. V. in Vontro et<z die mächtigen Zentralhallen, wo sich
die Bedingungen des tierischen Lebens aufhäufen und träumerische Meuscheu
unter den Stößen der rohen Menge zu Grunde gehen; in I,a. Ilwcko av I'abdo
Uourvt der phantastische Park von Paradvu, wo Romantik und Sinnlichkeit
ihr frevelhaftes Spiel treiben; in l'^ssourmvir die Schnapsbude des alte»
Cvlviube, wo die Arbeiter in Faulheit, Trunkenheit »»d Gemeinheit ver¬
kommen; in Loirllönr nos Diimes das Modentagazi», wo die Ladenschwengel
und Verkäuferinnen sich in cynischen Wesen überbieten; so führt er uns in
Ooriuiiml »litten hinein in das wüste Leben und Treiben eines Bergwerkes,
so bildet in I.» 1<zrro die Thätigkeit der Landleute ans ihren Ackern und Höfe»
den Hintergrund seüier Gemälde, so nimmt er in I^-i Lolo llurrmino de»
Bahnhof zu»r Mittelpunkte seiner Schilderungen und Betrachtungen.

In: vorliegenden Roman I'^rg'vnd hat sich Zola die Börse, das gefräßigste
Ungeheuer der mciischliche» Gesellschaft, zum Vorwürfe gewählt; und wie
sich in allen Romanen nur den symbolische» Ker» el» »»absehbarer Schwarm
zweifelhafter oder verkommener Mensche» bewegt, so läßt er i» l'^rgeut das
ganze gottverlassene Jvbbertum i» alle» Schattirmigen seinen widerwärtigen
Neige» um das goldne Kalb aufführe».

Saeeard, der leichtsinnige Bruder des Ministers Nongon, hat durch ge-
wagte Spekulationen sein Vermögen verlöre». Sofort sinkt der einst um¬
worbene und gefeierte in deu Augen der Börsenmänner zu eine»! verachtnngs-
wttrdigen Mensche» hinab. Man meidet ihn, man keimt ih» nicht, und selbst
sein Bruder zieht sich ängstlich von ihm z»ruck. Z»fällig wird er vo» dem
Jugemeur Hameline auf die Silbermitten und Kohlengruben in Syrien auf¬
merksam gemacht, und durch ein schlaues Manöver gelingt es ihm, in kurzer
Zeit eine Aktiengesellschaft, die Lamauo uuivei'LLlle, zu gründen, »in eine Aus-
beutung der angebliche» klei»asiatischen Schätze vorz»»ebene». Sie wolle»
einen neue» Kreuzzug dorthin unternehmen, aber nicht mit Waffe» »ud Ge¬
walt, sonder» mit Geld n»d Intelligenz. Jerusalem soll erobert, dein schwer
bedrängte» Papste dort eine weltliche Macht begründet und dem Kntholizismns
frisches Leben zugeführt werde». Was Napoleo» mit seinen Truppe» uicht
vermocht hatte, die Eroberung des Orients, das Null die ^miauo rmivorsollo


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[0196] Zolas antisemitischer Acnnan und uns eine tiefere Teilnahme für das Schicksal seiner Personen einzuflößen. Wenn er trotzdem so unerhörte Erfolge zu verzeichnen hat, und seine Mach¬ werke immer noch das große Publikum »»ausgesetzt fesseln, so verdankt er diese Wirkungen »ehe» seinen auf rohen Sinnenkitzel berechneten Schilderungen seiner unverkennbaren Fähigkeit und Fertigkeit, um eine brennende Zeitfrage oder eine allgemein bekannte Einrichtung große Masse» in Bewegung zu setzen und durch deu kaleidoskopischen Wirrwarr seiner auftauchenden und wieder ver¬ schwindenden Figuren die erlahmende Aufmerksamkeit und Spannung des Lesers immer von neuem anzustacheln. Diesen Mittelpunkt derartiger Masscnentwick- luugen bilden z. V. in Vontro et<z die mächtigen Zentralhallen, wo sich die Bedingungen des tierischen Lebens aufhäufen und träumerische Meuscheu unter den Stößen der rohen Menge zu Grunde gehen; in I,a. Ilwcko av I'abdo Uourvt der phantastische Park von Paradvu, wo Romantik und Sinnlichkeit ihr frevelhaftes Spiel treiben; in l'^ssourmvir die Schnapsbude des alte» Cvlviube, wo die Arbeiter in Faulheit, Trunkenheit »»d Gemeinheit ver¬ kommen; in Loirllönr nos Diimes das Modentagazi», wo die Ladenschwengel und Verkäuferinnen sich in cynischen Wesen überbieten; so führt er uns in Ooriuiiml »litten hinein in das wüste Leben und Treiben eines Bergwerkes, so bildet in I.» 1<zrro die Thätigkeit der Landleute ans ihren Ackern und Höfe» den Hintergrund seüier Gemälde, so nimmt er in I^-i Lolo llurrmino de» Bahnhof zu»r Mittelpunkte seiner Schilderungen und Betrachtungen. In: vorliegenden Roman I'^rg'vnd hat sich Zola die Börse, das gefräßigste Ungeheuer der mciischliche» Gesellschaft, zum Vorwürfe gewählt; und wie sich in allen Romanen nur den symbolische» Ker» el» »»absehbarer Schwarm zweifelhafter oder verkommener Mensche» bewegt, so läßt er i» l'^rgeut das ganze gottverlassene Jvbbertum i» alle» Schattirmigen seinen widerwärtigen Neige» um das goldne Kalb aufführe». Saeeard, der leichtsinnige Bruder des Ministers Nongon, hat durch ge- wagte Spekulationen sein Vermögen verlöre». Sofort sinkt der einst um¬ worbene und gefeierte in deu Augen der Börsenmänner zu eine»! verachtnngs- wttrdigen Mensche» hinab. Man meidet ihn, man keimt ih» nicht, und selbst sein Bruder zieht sich ängstlich von ihm z»ruck. Z»fällig wird er vo» dem Jugemeur Hameline auf die Silbermitten und Kohlengruben in Syrien auf¬ merksam gemacht, und durch ein schlaues Manöver gelingt es ihm, in kurzer Zeit eine Aktiengesellschaft, die Lamauo uuivei'LLlle, zu gründen, »in eine Aus- beutung der angebliche» klei»asiatischen Schätze vorz»»ebene». Sie wolle» einen neue» Kreuzzug dorthin unternehmen, aber nicht mit Waffe» »ud Ge¬ walt, sonder» mit Geld n»d Intelligenz. Jerusalem soll erobert, dein schwer bedrängte» Papste dort eine weltliche Macht begründet und dem Kntholizismns frisches Leben zugeführt werde». Was Napoleo» mit seinen Truppe» uicht vermocht hatte, die Eroberung des Orients, das Null die ^miauo rmivorsollo

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/196>, abgerufen am 27.06.2024.