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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Nacines "Mithridat" geliefert hatte, auch die "Phädra." Aber was schadete ihm
das, da er im "TeN" ein hohes, die Bühne erschütterndes deutsches Muster-
stück gab, und der Herzog selbst es veranlassen mußte, daß die von seiner
Bühne abbefvhlene ,,Jungfrau von Orleaus," nachdem sie auswärts Triumphe
gefeiert hatte, endlich auch Weimar entzückte!

Freilich brachte das Theater Goethen mich manchen Ärger; am empfindlich¬
sten war es ihm, als selbst die Herzogin und Schillers Gattin zu der Zeit, wo
er sehr leidend war, einen Schauspieleriuneuklatsch gegen ihn aufbrachten. Da¬
gegen gereichte es ihm zu herzlicher Freude, als sich zwei begabte junge Männer
voll treuer, warmer Liebe zur Kunst und inniger Verehrung für ihn getreulich
unter seiue Fahnen stellten. Er ging so weit, sie in besondern Stunden
nach seinen auf lebendiger Kuusteiusicht beruhenden, jahrelang gereiften Grund¬
sätzen zu unterweisen. Diese Stunden weideten sich bald zu einer förmlichen
Thcaterschule ans. Mit welcher Begeisterung horchten die jungen Schau¬
spieler auf sein Wort, nicht Schnee und Eis hielte" sie ab, im Winter den
langen, unbequemen Weg nach Jena zu macheu, um seiner Lehre teilhaft zu
werdeu! Das war neben denn Zusammenwirken mit Schiller sein schönster
Lohn zu der Zeit, wo die Jagemann als erklärte Liebhaberin des Herzogs sein
Ansehen zu untergraben und sich hochmütig über das andre Schauspielervvlk
und die vorgezeichnete Ordnung zu erheben suchte.

Das hierdurch und durch manches andre gehemmte frische, zu immer neuen
Aufgaben treibende Bühueulebeu sollte bald grausam gestört werden, als Goethe
seinen großen Verbündeten verlor, dein die Hofbühne zu so manchem Siege
verholfen, ja den sie zur Entwicklung seiner hohen dramatischen Begabung
eigentlich getrieben hatte. Aber auch aus dein erschütternden Schmerz über
diesen unersetzlichen Verlust erhob sich Goethe mit der ihm eignen wunderbaren
Herstellungskraft. Entschlossen setzte er das mit Schiller gemeinsam betriebene
Werk fort, wobei es ihn zunächst trieb, sobald er vermochte, dem Heimgegangenen
ein würdiges Denkmal auf der Bühne zu stiften. Leider ward Weimar ein
Jahr später durch den Unglückstag bei Jena an den Rand des Verderbens
gebracht. Aber auch in den schlimmsten Tagen glaubte Goethe an der fünf¬
zehn Jahre laug geförderten, für Weimars Leben so wichtigen Kunstanstalt
festhalten zu müssen. Noch am Tage vor der Schlacht, am 13. Oktober,
hatte er, obgleich die Stadt von Waffen starrte, es durchgesetzt, daß im Theater
gespielt wurde. Die darauf folgende Plünderung der Stadt, Krankheiten, Not
und Elend schlössen deu Tempel der Kunst. Bis Ende November vermochte
die Theaterkasse die Gehalte der Schauspieler und der übrigen Angestellten zu
zahlen, von da an bot Goethes Freund, der in schwerster Zeit die Regierung
vertretende Voigt, die Mittel dazu, mit ihm überzeugt, daß man eine solche
Anstalt auch in drängender Not uicht fallen lassen dürfe. Am 26. Dezember
gelang es Goethe, die Vühue wieder zu eröffnen. Den höchsten Triumph er-


Nacines „Mithridat" geliefert hatte, auch die „Phädra." Aber was schadete ihm
das, da er im „TeN" ein hohes, die Bühne erschütterndes deutsches Muster-
stück gab, und der Herzog selbst es veranlassen mußte, daß die von seiner
Bühne abbefvhlene ,,Jungfrau von Orleaus," nachdem sie auswärts Triumphe
gefeiert hatte, endlich auch Weimar entzückte!

Freilich brachte das Theater Goethen mich manchen Ärger; am empfindlich¬
sten war es ihm, als selbst die Herzogin und Schillers Gattin zu der Zeit, wo
er sehr leidend war, einen Schauspieleriuneuklatsch gegen ihn aufbrachten. Da¬
gegen gereichte es ihm zu herzlicher Freude, als sich zwei begabte junge Männer
voll treuer, warmer Liebe zur Kunst und inniger Verehrung für ihn getreulich
unter seiue Fahnen stellten. Er ging so weit, sie in besondern Stunden
nach seinen auf lebendiger Kuusteiusicht beruhenden, jahrelang gereiften Grund¬
sätzen zu unterweisen. Diese Stunden weideten sich bald zu einer förmlichen
Thcaterschule ans. Mit welcher Begeisterung horchten die jungen Schau¬
spieler auf sein Wort, nicht Schnee und Eis hielte« sie ab, im Winter den
langen, unbequemen Weg nach Jena zu macheu, um seiner Lehre teilhaft zu
werdeu! Das war neben denn Zusammenwirken mit Schiller sein schönster
Lohn zu der Zeit, wo die Jagemann als erklärte Liebhaberin des Herzogs sein
Ansehen zu untergraben und sich hochmütig über das andre Schauspielervvlk
und die vorgezeichnete Ordnung zu erheben suchte.

Das hierdurch und durch manches andre gehemmte frische, zu immer neuen
Aufgaben treibende Bühueulebeu sollte bald grausam gestört werden, als Goethe
seinen großen Verbündeten verlor, dein die Hofbühne zu so manchem Siege
verholfen, ja den sie zur Entwicklung seiner hohen dramatischen Begabung
eigentlich getrieben hatte. Aber auch aus dein erschütternden Schmerz über
diesen unersetzlichen Verlust erhob sich Goethe mit der ihm eignen wunderbaren
Herstellungskraft. Entschlossen setzte er das mit Schiller gemeinsam betriebene
Werk fort, wobei es ihn zunächst trieb, sobald er vermochte, dem Heimgegangenen
ein würdiges Denkmal auf der Bühne zu stiften. Leider ward Weimar ein
Jahr später durch den Unglückstag bei Jena an den Rand des Verderbens
gebracht. Aber auch in den schlimmsten Tagen glaubte Goethe an der fünf¬
zehn Jahre laug geförderten, für Weimars Leben so wichtigen Kunstanstalt
festhalten zu müssen. Noch am Tage vor der Schlacht, am 13. Oktober,
hatte er, obgleich die Stadt von Waffen starrte, es durchgesetzt, daß im Theater
gespielt wurde. Die darauf folgende Plünderung der Stadt, Krankheiten, Not
und Elend schlössen deu Tempel der Kunst. Bis Ende November vermochte
die Theaterkasse die Gehalte der Schauspieler und der übrigen Angestellten zu
zahlen, von da an bot Goethes Freund, der in schwerster Zeit die Regierung
vertretende Voigt, die Mittel dazu, mit ihm überzeugt, daß man eine solche
Anstalt auch in drängender Not uicht fallen lassen dürfe. Am 26. Dezember
gelang es Goethe, die Vühue wieder zu eröffnen. Den höchsten Triumph er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/191>, abgerufen am 04.07.2024.