Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.lebhaft schwärmte; sie sollten möglichst getreu auf seiner Bühne erscheinen, lebhaft schwärmte; sie sollten möglichst getreu auf seiner Bühne erscheinen, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210057"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_496" prev="#ID_495" next="#ID_497"> lebhaft schwärmte; sie sollten möglichst getreu auf seiner Bühne erscheinen,<lb/> gerade so wie er sie vor mehr als vierzig Jahren in Paris gesehen hatte.<lb/> Goethe selbst mußte sich dazu hergeben, Voltaires „Mahomet" zu übersetzen.<lb/> Für Karl Angust war es ein Fest, durch die Aufführung dieses Stückes Weimar<lb/> und Jena zu zeigen, wie ein echtes Drama aussehe, und wie es gespielt werden<lb/> müsse. Natürlich durfte Schillers Prolog zu „Mahomet," worin dieser es ent¬<lb/> schuldigte, daß die französische „Nftermuse" die deutsche Bühne betrete, nicht ge¬<lb/> sprochen werden. Auch dazu mußte sich Goethe verstehen, nach dem „Mahomet"<lb/> noch Voltaires „Tankred" ans die Bühne zu bringen. Freilich hatte er die<lb/> Absicht, das Stück durch eigne Chöre zu heben, aber nie würde dies Karl August<lb/> geduldet haben; es mußte der reine Voltaire sein. Und so beschritt denn auch<lb/> „Tankred" ein Jahr nach „Mahomet" die Bühne. Schiller verwandelte seinen<lb/> beabsichtigten Prolog zu „Mahomet" in die „Stanzen an Goethe," die sich<lb/> denn über die „Aftermuse" in seinem „Musenalmanach" frei aussprachen.<lb/> Auf der Bühne aber stellte er dein „Mahomet" seine Übersetzung von<lb/> Shakespeares „Macbeth" entgegen. So traten sich in Weimar eine klassisch-<lb/> französische und eine freie englische Partei entgegen, von denen die letztere den<lb/> Sieg davontrug. Aber auch auf seiner eignen Siegesbahn schritt Schiller<lb/> begeistert vorwärts; seine „Maria Stuart" entzückte allgemein, aber der Herzog,<lb/> der von seiner Geliebten Jagemann gehört hatte, daß darin eine Kommunion vor¬<lb/> komme, hatte bewirkt, daß diese ausfiel. Schillers „Jungfrau von Orleans,"<lb/> die ihm ein rechter Germanismus schien, schloß er ganz von seiner Bühne<lb/> ans. Goethe aber nahm von der Einführung des französischen Dramas Ver¬<lb/> anlassung, nur auch andre Völker auf der deutschen Bühne ihre Stimme<lb/> erheben zu lassen, Schauspieler wie Zuschauer auch an sie zu gewöhnen und<lb/> so eine freiere Geschmacksbildung zu fördern. Die römischen Lustspiele traten in<lb/> Masken ans die Bühne. Sogar den auf griechischer Tempelsagc beruhenden ,,Jon"<lb/> W. Schlegels wagte Goethe zu bringen, und da sich persönliches Parteigezänk<lb/> gegen ihn verschworen hatte, trotzte er im Ärger den Gegnern mit Fr. Schlegels<lb/> spanischem ,,AlarkvS," womit er freilich zu weit ging. Einen kühnen Schritt<lb/> ans der Kunstbahn that er mit Schillers „Braut," dessen gesprochener Chor<lb/> eine ganz neue Aufgabe war, und daneben trat seine eigne „Natürliche Tochter,"<lb/> eine himmelweit verschiedne Dichtung von tiefem Gehalt und rein idealer<lb/> Form. Außer den gangbaren Stücken und den neuen Dichtungen, womit der<lb/> ehrgeizige Kotzebue vergebens Schiller seinen Lorbeer zu entreißen suchte, er¬<lb/> schiene» trotz der Bedenken des Herzogs mit schöner Wirkung Lessings<lb/> „Nathan" und Shakespeares Stücke, aber wieder in Schröters bekannter Be¬<lb/> arbeitung; an Calderon wagte sich Goethe noch so wenig wie an Sophokles. Aber<lb/> auch der Herzog ließ seiner Neigung zum französischen Drama freien Lauf.<lb/> Schiller gewann seine besondre Gunst dadurch, daß er für die Bühne zwei<lb/> französische Lustspiele übersetzte und gar, nachdem ein jüngerer Schriftsteller</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0190]
lebhaft schwärmte; sie sollten möglichst getreu auf seiner Bühne erscheinen,
gerade so wie er sie vor mehr als vierzig Jahren in Paris gesehen hatte.
Goethe selbst mußte sich dazu hergeben, Voltaires „Mahomet" zu übersetzen.
Für Karl Angust war es ein Fest, durch die Aufführung dieses Stückes Weimar
und Jena zu zeigen, wie ein echtes Drama aussehe, und wie es gespielt werden
müsse. Natürlich durfte Schillers Prolog zu „Mahomet," worin dieser es ent¬
schuldigte, daß die französische „Nftermuse" die deutsche Bühne betrete, nicht ge¬
sprochen werden. Auch dazu mußte sich Goethe verstehen, nach dem „Mahomet"
noch Voltaires „Tankred" ans die Bühne zu bringen. Freilich hatte er die
Absicht, das Stück durch eigne Chöre zu heben, aber nie würde dies Karl August
geduldet haben; es mußte der reine Voltaire sein. Und so beschritt denn auch
„Tankred" ein Jahr nach „Mahomet" die Bühne. Schiller verwandelte seinen
beabsichtigten Prolog zu „Mahomet" in die „Stanzen an Goethe," die sich
denn über die „Aftermuse" in seinem „Musenalmanach" frei aussprachen.
Auf der Bühne aber stellte er dein „Mahomet" seine Übersetzung von
Shakespeares „Macbeth" entgegen. So traten sich in Weimar eine klassisch-
französische und eine freie englische Partei entgegen, von denen die letztere den
Sieg davontrug. Aber auch auf seiner eignen Siegesbahn schritt Schiller
begeistert vorwärts; seine „Maria Stuart" entzückte allgemein, aber der Herzog,
der von seiner Geliebten Jagemann gehört hatte, daß darin eine Kommunion vor¬
komme, hatte bewirkt, daß diese ausfiel. Schillers „Jungfrau von Orleans,"
die ihm ein rechter Germanismus schien, schloß er ganz von seiner Bühne
ans. Goethe aber nahm von der Einführung des französischen Dramas Ver¬
anlassung, nur auch andre Völker auf der deutschen Bühne ihre Stimme
erheben zu lassen, Schauspieler wie Zuschauer auch an sie zu gewöhnen und
so eine freiere Geschmacksbildung zu fördern. Die römischen Lustspiele traten in
Masken ans die Bühne. Sogar den auf griechischer Tempelsagc beruhenden ,,Jon"
W. Schlegels wagte Goethe zu bringen, und da sich persönliches Parteigezänk
gegen ihn verschworen hatte, trotzte er im Ärger den Gegnern mit Fr. Schlegels
spanischem ,,AlarkvS," womit er freilich zu weit ging. Einen kühnen Schritt
ans der Kunstbahn that er mit Schillers „Braut," dessen gesprochener Chor
eine ganz neue Aufgabe war, und daneben trat seine eigne „Natürliche Tochter,"
eine himmelweit verschiedne Dichtung von tiefem Gehalt und rein idealer
Form. Außer den gangbaren Stücken und den neuen Dichtungen, womit der
ehrgeizige Kotzebue vergebens Schiller seinen Lorbeer zu entreißen suchte, er¬
schiene» trotz der Bedenken des Herzogs mit schöner Wirkung Lessings
„Nathan" und Shakespeares Stücke, aber wieder in Schröters bekannter Be¬
arbeitung; an Calderon wagte sich Goethe noch so wenig wie an Sophokles. Aber
auch der Herzog ließ seiner Neigung zum französischen Drama freien Lauf.
Schiller gewann seine besondre Gunst dadurch, daß er für die Bühne zwei
französische Lustspiele übersetzte und gar, nachdem ein jüngerer Schriftsteller
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