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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Wir haben gesagt, daß unsre Beziehungen zu England uns die Stimmung
eines Teiles des Neichtages nicht ohne Einfluß geblieben zu sein scheinen.
sollen Nur uns aber von der englischen Vnndesgenossenschaft abhängig
machenV Das würde doch sehr unsicher und des deutschen Reiches wenig
würdig sein. Allerdings kreuzen sich Deutschlands und Englands Interessen
außer in Afrika in keine"! Teile der Welt, und dort ist, nicht zum Schaden
Englands, eine loyale Einigung erfolgt, aber auch dieses nur unter dem Drucke
der politischen Lage. Dagegen werden Rußland und Frankreich England in
Asien, Afrika und im Mittelmeere stets feindlich gegenüber stehen, wodurch
der Zusammenstoß dereinst unvermeidlich sein wird.

In den ihm drohenden Kämpfen bedarf England Deutschlands mehr, als
wir der Engländer. Das scheint die gegenwärtige englische Regierung auch
anzuerkennen, nicht aber ein großer Teil des englischen Volkes und seiner
Presse. Vergessen wir nicht, daß England stets ein sehr unzuverlässiger
Bundesgenosse gewesen ist und sein wird, dessen Flotte, die uns allein
von Nutzen sein könnte, sich zur Zeit infolge der langen Friedensjahre in
einem Zustande befindet, der es nach Ansicht vieler Autoritäten, wie der
Admiräle Hormby, Elliot, Symonds u. a. sehr zweifelhaft erscheinen läßt,
ob sie überhaupt imstande sein wird, im Falle eines großen europäischen
Krieges die ihr zur Verteidigung des Jnselreiches zufallenden Aufgaben zu
erfüllen. Sie wird im Jahre 1894 65 Panzerschlachtschiffe, 166 geschützte
und ungeschützte Kreuzer, 128 Kanonenboote und 15!) Torpedoboote haben,
doch wird eine große Zahl von Schiffen, namentlich der Panzer und Kreuzer,
von Autoritäten stark bemängelt; man wirft ihnen neben anderm nicht nur zu
geringe Schnelligkeit, ungenügende Kohlenrünme, zu niedrigen Bord und
schlechte Steuerung vor, sondern behauptet auch, daß die Zahl der Schiffe
mindestens doppelt so groß sein müsse, damit England mit Zuversicht in einen
großen Kampf eintreten könne.

Da ein großer Teil der englischen Bevölkerung auf die Einfuhr von
Nahrungsmitteln aus dem Auslande oder seinen Kolonien angewiesen ist, so
ist klar, daß eine Hungersnot entstehen muß, sobald die Zufuhr ab¬
geschnitten wird. Englands Flotte hat daher nicht allein seine Lebensmittel-
zufnhren, sondern auch seinen Handel, die Quelle seines Wohlstandes, ferner
seine Kolonien, seine große Zahl von Kohlen- und Marinestationen in allen
Weltteilen zu schützen, denn die letztern ermöglichen der Handelsmarine die
Erfüllung ihrer Aufgaben. Jedes Kriegsschiff der englischen Flotte würde
bei ihrem jetzigen Stande und der Stärke der englischen Handelsmarine, ab¬
gesehen von andern Aufträgen, 133 Handelsschiffe zu schützen haben. Wie
schwer im Kriegsfalle die englischen Küsten, die Häfen, Flußmündungen,
Marinestativnen und Handelsstraßen besonders vor den französischen Kreuzern
und der Torpedvflvtte zu schützen sind, das haben alle englischen Seemanöver


Wir haben gesagt, daß unsre Beziehungen zu England uns die Stimmung
eines Teiles des Neichtages nicht ohne Einfluß geblieben zu sein scheinen.
sollen Nur uns aber von der englischen Vnndesgenossenschaft abhängig
machenV Das würde doch sehr unsicher und des deutschen Reiches wenig
würdig sein. Allerdings kreuzen sich Deutschlands und Englands Interessen
außer in Afrika in keine»! Teile der Welt, und dort ist, nicht zum Schaden
Englands, eine loyale Einigung erfolgt, aber auch dieses nur unter dem Drucke
der politischen Lage. Dagegen werden Rußland und Frankreich England in
Asien, Afrika und im Mittelmeere stets feindlich gegenüber stehen, wodurch
der Zusammenstoß dereinst unvermeidlich sein wird.

In den ihm drohenden Kämpfen bedarf England Deutschlands mehr, als
wir der Engländer. Das scheint die gegenwärtige englische Regierung auch
anzuerkennen, nicht aber ein großer Teil des englischen Volkes und seiner
Presse. Vergessen wir nicht, daß England stets ein sehr unzuverlässiger
Bundesgenosse gewesen ist und sein wird, dessen Flotte, die uns allein
von Nutzen sein könnte, sich zur Zeit infolge der langen Friedensjahre in
einem Zustande befindet, der es nach Ansicht vieler Autoritäten, wie der
Admiräle Hormby, Elliot, Symonds u. a. sehr zweifelhaft erscheinen läßt,
ob sie überhaupt imstande sein wird, im Falle eines großen europäischen
Krieges die ihr zur Verteidigung des Jnselreiches zufallenden Aufgaben zu
erfüllen. Sie wird im Jahre 1894 65 Panzerschlachtschiffe, 166 geschützte
und ungeschützte Kreuzer, 128 Kanonenboote und 15!) Torpedoboote haben,
doch wird eine große Zahl von Schiffen, namentlich der Panzer und Kreuzer,
von Autoritäten stark bemängelt; man wirft ihnen neben anderm nicht nur zu
geringe Schnelligkeit, ungenügende Kohlenrünme, zu niedrigen Bord und
schlechte Steuerung vor, sondern behauptet auch, daß die Zahl der Schiffe
mindestens doppelt so groß sein müsse, damit England mit Zuversicht in einen
großen Kampf eintreten könne.

Da ein großer Teil der englischen Bevölkerung auf die Einfuhr von
Nahrungsmitteln aus dem Auslande oder seinen Kolonien angewiesen ist, so
ist klar, daß eine Hungersnot entstehen muß, sobald die Zufuhr ab¬
geschnitten wird. Englands Flotte hat daher nicht allein seine Lebensmittel-
zufnhren, sondern auch seinen Handel, die Quelle seines Wohlstandes, ferner
seine Kolonien, seine große Zahl von Kohlen- und Marinestationen in allen
Weltteilen zu schützen, denn die letztern ermöglichen der Handelsmarine die
Erfüllung ihrer Aufgaben. Jedes Kriegsschiff der englischen Flotte würde
bei ihrem jetzigen Stande und der Stärke der englischen Handelsmarine, ab¬
gesehen von andern Aufträgen, 133 Handelsschiffe zu schützen haben. Wie
schwer im Kriegsfalle die englischen Küsten, die Häfen, Flußmündungen,
Marinestativnen und Handelsstraßen besonders vor den französischen Kreuzern
und der Torpedvflvtte zu schützen sind, das haben alle englischen Seemanöver


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[0171] Wir haben gesagt, daß unsre Beziehungen zu England uns die Stimmung eines Teiles des Neichtages nicht ohne Einfluß geblieben zu sein scheinen. sollen Nur uns aber von der englischen Vnndesgenossenschaft abhängig machenV Das würde doch sehr unsicher und des deutschen Reiches wenig würdig sein. Allerdings kreuzen sich Deutschlands und Englands Interessen außer in Afrika in keine»! Teile der Welt, und dort ist, nicht zum Schaden Englands, eine loyale Einigung erfolgt, aber auch dieses nur unter dem Drucke der politischen Lage. Dagegen werden Rußland und Frankreich England in Asien, Afrika und im Mittelmeere stets feindlich gegenüber stehen, wodurch der Zusammenstoß dereinst unvermeidlich sein wird. In den ihm drohenden Kämpfen bedarf England Deutschlands mehr, als wir der Engländer. Das scheint die gegenwärtige englische Regierung auch anzuerkennen, nicht aber ein großer Teil des englischen Volkes und seiner Presse. Vergessen wir nicht, daß England stets ein sehr unzuverlässiger Bundesgenosse gewesen ist und sein wird, dessen Flotte, die uns allein von Nutzen sein könnte, sich zur Zeit infolge der langen Friedensjahre in einem Zustande befindet, der es nach Ansicht vieler Autoritäten, wie der Admiräle Hormby, Elliot, Symonds u. a. sehr zweifelhaft erscheinen läßt, ob sie überhaupt imstande sein wird, im Falle eines großen europäischen Krieges die ihr zur Verteidigung des Jnselreiches zufallenden Aufgaben zu erfüllen. Sie wird im Jahre 1894 65 Panzerschlachtschiffe, 166 geschützte und ungeschützte Kreuzer, 128 Kanonenboote und 15!) Torpedoboote haben, doch wird eine große Zahl von Schiffen, namentlich der Panzer und Kreuzer, von Autoritäten stark bemängelt; man wirft ihnen neben anderm nicht nur zu geringe Schnelligkeit, ungenügende Kohlenrünme, zu niedrigen Bord und schlechte Steuerung vor, sondern behauptet auch, daß die Zahl der Schiffe mindestens doppelt so groß sein müsse, damit England mit Zuversicht in einen großen Kampf eintreten könne. Da ein großer Teil der englischen Bevölkerung auf die Einfuhr von Nahrungsmitteln aus dem Auslande oder seinen Kolonien angewiesen ist, so ist klar, daß eine Hungersnot entstehen muß, sobald die Zufuhr ab¬ geschnitten wird. Englands Flotte hat daher nicht allein seine Lebensmittel- zufnhren, sondern auch seinen Handel, die Quelle seines Wohlstandes, ferner seine Kolonien, seine große Zahl von Kohlen- und Marinestationen in allen Weltteilen zu schützen, denn die letztern ermöglichen der Handelsmarine die Erfüllung ihrer Aufgaben. Jedes Kriegsschiff der englischen Flotte würde bei ihrem jetzigen Stande und der Stärke der englischen Handelsmarine, ab¬ gesehen von andern Aufträgen, 133 Handelsschiffe zu schützen haben. Wie schwer im Kriegsfalle die englischen Küsten, die Häfen, Flußmündungen, Marinestativnen und Handelsstraßen besonders vor den französischen Kreuzern und der Torpedvflvtte zu schützen sind, das haben alle englischen Seemanöver

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/171>, abgerufen am 24.07.2024.