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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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sein. Von der Verfassung selbst sagte er: "Ich bin der Meinung, daß, mögen
wir uns drehen und wenden, wie wir wollen, mit der Verfassung der Einheits¬
staat gegeben ist. Alles andre darin ist nur Beiwerk" (26. Mürz 1867). Wo
sich irgend eine Handhabe dazu bot, bekämpfte er jedes Reichsgesetz aus dem
Gesichtspunkte der mangelnden Kompetenz. Er war, wenn uicht der Erfinder,
doch der Hauptvertreter der Lehre, daß die "Kompetenz des Reiches" nicht
in der Form des Artikels 78 der Reichsverfassung erweitert werden könne.
Vielmehr sei dazu eine neue Vereinbarung sämtlicher Regierungen mit Zu¬
stimmung sämtlicher Landtage erforderlich. Damit würde jede weitere Ent¬
wicklung des Reiches lahm gelegt gewesen sein. Besonders eifrig machte er
diese Lehre geltend, als der Antrag gestellt wurde, das gesamte bürgerliche
Recht in die Reichsgesetzgebung hereinzuziehen. Zugleich suchte er diese Er¬
weiterung als höchst gefährlich darzustellen. "Wenn wir das gesamte bürger¬
liche Recht und das Strafrecht der Bundesgesetzgebuug viudiziren, dann bleibt
für die übrigen deutscheu Staaten nichts übrig; dann werden sie einem aus¬
geblasenen Ele gleichen" (19. April 1869). Diesen Insinuationen an die deutschen
Regierungen Ausdruck zu geben, war Windthorst unermüdlich, so oft dieser
Gegenstand zur Sprache kam. "In diesem Antrag liegt der Versuch, die
Einzelstaaten zu beseitigen und den Einheitsstaat herzustellen." "Was helfen
die Hoheitszeichen, wenn die Hoheiten dahin sind?" "Mit dieser Ausdehnung
ist der Inhalt aller Einzelstaaten vernichtet. Sie werden nur noch Ver-
waltungskörper sein, deren Präsident ein erblicher ist." "Hüten wir uns vor
dem Fanatismus des Einheitsstaates." "Die Bundesregierungen wollen den
schönsten Schmuck ihrer Krone zu den Füßen des Abgeordneten Laster nieder¬
legen. Das ist eine Abdikation." "Über 25 Jahre wird das Hans Wittels-
bach eine Stellung haben, wie jetzt das Haus Hohenlohe." (So in den Reden
vom 15. November 1871, 31. Mai 1872, 2. April 1873.)

Ein wahres Meisterstück Windthorstscher Redekunst war aber die Rede,
womit der gefeierte Mann am 5. Dezember 1870 die Genehmigung der Ver¬
trüge über Eintritt der süddeutschen Staaten in das deutsche Reich bekämpfte.
Unmittelbar vorher hatte der Reichstag die offizielle Kunde erhalten, daß der
König von Preußen die Kaiserwürde annehmen werde. Die freudige Erregung
des Hauses suchte Windthorst mit folgender Rede zu dämpfen.

Er würde, sagte er, die eben gehörte Kundgebung noch lebhafter begrüßen,
wenn das Werk, das damit gekrönt werden solle, bereits eine feste Unterlage
hätte. Das sei aber durchaus nicht der Fall. Die neue Verfassung sei ein
verwickelter Terrasfenban, in dem man keine Orientirung finden könne. Es
fehlten uoch wichtige Aktenstücke; insbesondre die Aktenstücke darüber, wie sich
die übrigen Süddeutschen zu dem bairischen Vertrage stellten. "Ich könnte
mir denken, daß die Herren in Württemberg finden, es hätten die Baiern
außer Vier nud Branntwein noch allerlei andere Sächelchen bekommen, die


sein. Von der Verfassung selbst sagte er: „Ich bin der Meinung, daß, mögen
wir uns drehen und wenden, wie wir wollen, mit der Verfassung der Einheits¬
staat gegeben ist. Alles andre darin ist nur Beiwerk" (26. Mürz 1867). Wo
sich irgend eine Handhabe dazu bot, bekämpfte er jedes Reichsgesetz aus dem
Gesichtspunkte der mangelnden Kompetenz. Er war, wenn uicht der Erfinder,
doch der Hauptvertreter der Lehre, daß die „Kompetenz des Reiches" nicht
in der Form des Artikels 78 der Reichsverfassung erweitert werden könne.
Vielmehr sei dazu eine neue Vereinbarung sämtlicher Regierungen mit Zu¬
stimmung sämtlicher Landtage erforderlich. Damit würde jede weitere Ent¬
wicklung des Reiches lahm gelegt gewesen sein. Besonders eifrig machte er
diese Lehre geltend, als der Antrag gestellt wurde, das gesamte bürgerliche
Recht in die Reichsgesetzgebung hereinzuziehen. Zugleich suchte er diese Er¬
weiterung als höchst gefährlich darzustellen. „Wenn wir das gesamte bürger¬
liche Recht und das Strafrecht der Bundesgesetzgebuug viudiziren, dann bleibt
für die übrigen deutscheu Staaten nichts übrig; dann werden sie einem aus¬
geblasenen Ele gleichen" (19. April 1869). Diesen Insinuationen an die deutschen
Regierungen Ausdruck zu geben, war Windthorst unermüdlich, so oft dieser
Gegenstand zur Sprache kam. „In diesem Antrag liegt der Versuch, die
Einzelstaaten zu beseitigen und den Einheitsstaat herzustellen." „Was helfen
die Hoheitszeichen, wenn die Hoheiten dahin sind?" „Mit dieser Ausdehnung
ist der Inhalt aller Einzelstaaten vernichtet. Sie werden nur noch Ver-
waltungskörper sein, deren Präsident ein erblicher ist." „Hüten wir uns vor
dem Fanatismus des Einheitsstaates." „Die Bundesregierungen wollen den
schönsten Schmuck ihrer Krone zu den Füßen des Abgeordneten Laster nieder¬
legen. Das ist eine Abdikation." „Über 25 Jahre wird das Hans Wittels-
bach eine Stellung haben, wie jetzt das Haus Hohenlohe." (So in den Reden
vom 15. November 1871, 31. Mai 1872, 2. April 1873.)

Ein wahres Meisterstück Windthorstscher Redekunst war aber die Rede,
womit der gefeierte Mann am 5. Dezember 1870 die Genehmigung der Ver¬
trüge über Eintritt der süddeutschen Staaten in das deutsche Reich bekämpfte.
Unmittelbar vorher hatte der Reichstag die offizielle Kunde erhalten, daß der
König von Preußen die Kaiserwürde annehmen werde. Die freudige Erregung
des Hauses suchte Windthorst mit folgender Rede zu dämpfen.

Er würde, sagte er, die eben gehörte Kundgebung noch lebhafter begrüßen,
wenn das Werk, das damit gekrönt werden solle, bereits eine feste Unterlage
hätte. Das sei aber durchaus nicht der Fall. Die neue Verfassung sei ein
verwickelter Terrasfenban, in dem man keine Orientirung finden könne. Es
fehlten uoch wichtige Aktenstücke; insbesondre die Aktenstücke darüber, wie sich
die übrigen Süddeutschen zu dem bairischen Vertrage stellten. „Ich könnte
mir denken, daß die Herren in Württemberg finden, es hätten die Baiern
außer Vier nud Branntwein noch allerlei andere Sächelchen bekommen, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/15>, abgerufen am 24.07.2024.