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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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sie auch brauchen könnten." Der Beitritt der Staaten sei in ganz verschiedner
Weise erfolgt. Baden und Hessen seien der norddeutschen Verfassung bei¬
getreten. Baiern und Württemberg hätten besondre Verträge abgeschlossen,
worin sie der mit Hessen und Baden vereinbarten Verfassung beizutreten sich
verpflichteten. Nun bestehe aber die mit Hessen und Baden vereinbarte Ver¬
fassung "och nicht. Also fehle auch jenen Verträgen die Grundlage. "Deal
einem Embryo kann man doch unmöglich beitreten?" Er könne diesem Terrassen-
ban nicht seine Zustimmung geben, er fürchte, daß ein Fuchsbau daraus werde.

Der Reichstag sei aber auch gar nicht kompetent, diese Verfassung zu
genehmigen. Artikel 79 der Reichsverfassung sei uicht anwendbar, da ja die
Süddeutschen uicht einfach dem Nordbuude zugetreten seien. Artikel 78 sei
aber auch nicht anwendbar. Vielmehr könne der Zutritt nur mit Zustimmung
sämtlicher Bundesregierungen und Laudesvertretungen erfolgen. Namentlich
bedürfe es auch der Zustimmung beider Hünser des preußischen Landtags
"Ich mache kein Hehl daraus, daß ich gerade das Herrenhaus darüber hören
möchte." Jedenfalls sei aber der gegenwärtige Reichstag nicht kompetent.
Denn dieser habe am 21. Juli 1870 (angesichts des ausgebrochenen Krieges!)
für sich selbst die Legislaturperiode verlängert. Das sei ein Rechtsbruch ge¬
wesen. "Es giebt niemals eine Lage, wo man das Recht brechen kann."

In der Sache selbst sei es zweifelhaft, ob die beabsichtigte Aufnahme der
Süddeutschen vereinbar sei mit dem Prager Frieden. Man müsse erst mit
der österreichischen Negierung ins Vernehmen treten. Die Verträge seien zu
Versailles geschlossen, dem Platze der geschorenen Hecken. "Ich fürchte, daß
viele von denen, die bei diesem Werke die Schere geführt zu haben glauben,
zu ihrer Überraschung entdecken könnten, daß sie die Geschorenen sind." Werde
die Verfassung eingeführt mit der Bedeutung, die jetzt dein Artikel 78 gegeben
werde, so sei das die Mediatisirung der Einzelstaaten, auch Preußens. Die
Laudesvertretungen der Einzelstaaten würden auf eine Provinzialstellnng herab¬
gedrückt. Auch die Stellung des Herrenhauses werde absolut erschüttert.

Jetzt sollten nun auch Presse und Vereinsrecht der Zuständigkeit des
Reiches unterworfen werden. Da sage er: Nein! so lange man nicht die
unumstößlichen Garantien auf politischem und kirchlichem Gebiete, die die
preußische Verfassung gewähre, auch im Reiche habe. Eine gemeinsame
deutsche Verfassung müsse auf eine andre Basis gestellt werden. Es dürften
keine Ungleichheiten zwischen den einzelnen Staaten ausbedungen werden;
solche erregten nur Eifersucht der Regierungen und Stämme untereinander,
die für Deutschland verhängnisvoll werden könne. Warum solle nicht Sachsen
so gut gestellt sein wie Baiern, Baden so gut wie Württemberg? Vor allem
aber entbehre die Verfassung einer monarchischen Spitze und einer verantwort-
lichen Negierung. "Das gegenwärtige Großveziriat kann unmöglich fortdauern."
Sie entbehre ferner eines Oberhauses. Ohne ein solches werde "unzweifelhaft"


sie auch brauchen könnten." Der Beitritt der Staaten sei in ganz verschiedner
Weise erfolgt. Baden und Hessen seien der norddeutschen Verfassung bei¬
getreten. Baiern und Württemberg hätten besondre Verträge abgeschlossen,
worin sie der mit Hessen und Baden vereinbarten Verfassung beizutreten sich
verpflichteten. Nun bestehe aber die mit Hessen und Baden vereinbarte Ver¬
fassung »och nicht. Also fehle auch jenen Verträgen die Grundlage. „Deal
einem Embryo kann man doch unmöglich beitreten?" Er könne diesem Terrassen-
ban nicht seine Zustimmung geben, er fürchte, daß ein Fuchsbau daraus werde.

Der Reichstag sei aber auch gar nicht kompetent, diese Verfassung zu
genehmigen. Artikel 79 der Reichsverfassung sei uicht anwendbar, da ja die
Süddeutschen uicht einfach dem Nordbuude zugetreten seien. Artikel 78 sei
aber auch nicht anwendbar. Vielmehr könne der Zutritt nur mit Zustimmung
sämtlicher Bundesregierungen und Laudesvertretungen erfolgen. Namentlich
bedürfe es auch der Zustimmung beider Hünser des preußischen Landtags
„Ich mache kein Hehl daraus, daß ich gerade das Herrenhaus darüber hören
möchte." Jedenfalls sei aber der gegenwärtige Reichstag nicht kompetent.
Denn dieser habe am 21. Juli 1870 (angesichts des ausgebrochenen Krieges!)
für sich selbst die Legislaturperiode verlängert. Das sei ein Rechtsbruch ge¬
wesen. „Es giebt niemals eine Lage, wo man das Recht brechen kann."

In der Sache selbst sei es zweifelhaft, ob die beabsichtigte Aufnahme der
Süddeutschen vereinbar sei mit dem Prager Frieden. Man müsse erst mit
der österreichischen Negierung ins Vernehmen treten. Die Verträge seien zu
Versailles geschlossen, dem Platze der geschorenen Hecken. „Ich fürchte, daß
viele von denen, die bei diesem Werke die Schere geführt zu haben glauben,
zu ihrer Überraschung entdecken könnten, daß sie die Geschorenen sind." Werde
die Verfassung eingeführt mit der Bedeutung, die jetzt dein Artikel 78 gegeben
werde, so sei das die Mediatisirung der Einzelstaaten, auch Preußens. Die
Laudesvertretungen der Einzelstaaten würden auf eine Provinzialstellnng herab¬
gedrückt. Auch die Stellung des Herrenhauses werde absolut erschüttert.

Jetzt sollten nun auch Presse und Vereinsrecht der Zuständigkeit des
Reiches unterworfen werden. Da sage er: Nein! so lange man nicht die
unumstößlichen Garantien auf politischem und kirchlichem Gebiete, die die
preußische Verfassung gewähre, auch im Reiche habe. Eine gemeinsame
deutsche Verfassung müsse auf eine andre Basis gestellt werden. Es dürften
keine Ungleichheiten zwischen den einzelnen Staaten ausbedungen werden;
solche erregten nur Eifersucht der Regierungen und Stämme untereinander,
die für Deutschland verhängnisvoll werden könne. Warum solle nicht Sachsen
so gut gestellt sein wie Baiern, Baden so gut wie Württemberg? Vor allem
aber entbehre die Verfassung einer monarchischen Spitze und einer verantwort-
lichen Negierung. „Das gegenwärtige Großveziriat kann unmöglich fortdauern."
Sie entbehre ferner eines Oberhauses. Ohne ein solches werde „unzweifelhaft"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/16>, abgerufen am 24.07.2024.