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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Windthorst

zu. Ob er überhaupt auf sachlichen Gebiete schöpferische Gedanken gehabt habe,
ist höchst zweifelhaft. Jedenfalls war es ihm nicht der Mühe wert, an die
öffentlichen Dinge ernste Arbeit zu wenden. Seine Stärke bestand nur in
der Kritik und in der Kunst des Pladirens. Unter Umstanden traf er dabei den
Nagel auf deu Kopf. Aber er verstand auch mit einer Dialektik ohne Gleichen
zu übertreiben und zu entstellen, zu schmeicheln und zu verlocken, zu ver¬
dächtigen und Furcht einzuflößen. Er verstand ein Gift in seine Worte zu
legen, daß schwer dagegen auszukommen war. Dabei fesselte er aber wieder
die Menge seiner Zuhörer durch die Einfachheit und Natürlichkeit seines Aus¬
druckes, durch die Witze und Scherze, die er stets in seine Reden einflocht,
und durch die Schlagfertigkeit, mit der er eingeworfene Zwischenrufe beant¬
wortete. Und selbst die, die vielleicht über die Absicht seiner Rede tief empört
waren, mußten doch die Kunst bewundern, die es ermöglichte, so falsche Dinge
in so einleuchtender Weise darzustellen.

Es kann uns aber nicht genügen, es bei dieser allgemeinen Schilderung
von Windthorsts Wesen bewenden zu lassen. Wir wollen etwas näher in die
Einzelheiten seiner Thätigkeit eingehen, weil erst hierdurch ein lebendiges Bild
von dem Manne gewonnen wird. Wir müssen in dieser Veziehuug zwei
Perioden unterscheiden, die Zeit von 18L7 bis 1870 und die Zeit von 1871
an. Windthorst selbst war in beiden Perioden derselbe. Aber Umstünde und
Verhältnisse änderten sich mit dem Jahre 1871 in der Art, daß von da an
die eigentliche Bedeutung des Mannes begann und fortwährend wuchs.

Für jene erste Periode müssen wir zwischen Landtag und Reichstag unter¬
scheiden. In dem preußischen Abgeordnetenhause war Windthorst von Anfang
an sehr regsam. Er vertrat vor allem, wozu er ja vollkommen berechtigt
war, die Interessen seines Heimatlandes Hannover und war zugleich ein
Lvbpreiser hannöverscher Verhältnisse. Eine bedeutende Wirksamkeit hat er
damit nicht geübt. Die Provinz Hannover wurde von der preußischem Re¬
gierung ohnehin möglichst berücksichtigt und begünstigt. Die Beschlagnahme
des Vermögens des Königs Georg aber vermochte Windthorst auch mit der
glänzendsten Rede nicht rückgängig zu machen-

In dein norddeutschen Reichstage hielt sich Windthorst anfangs sehr
zurück. Er sprach uur selteu. Wenn er aber redete, so zielten seine Worte nur
darauf, die Entwicklung des Reiches zu hemmen. Gleich in der ersten
Sitzung führte er sich damit ein, daß, als von vielen Seiten die Aufstellung
einer Rednertribüne im Sitzungsraume des Reichstages verlangt wurde, er
sich lebhaft dagegen erklärte. "Ich glaube, daß dadurch den Beratungen unsers
Hauses ein absolut andrer Charakter gegeben wird." Bei Beratung der Ver¬
fassung trat er eifrig für ein neben dein Reichstag und dem Bundesrat zu
schaffendes Oberhaus ein (28. März 18K7). Natürlich! mit einem solchen
würde der Gesetzgebung des Reiches ein arger Hemmschuh augelegt gewesen


Windthorst

zu. Ob er überhaupt auf sachlichen Gebiete schöpferische Gedanken gehabt habe,
ist höchst zweifelhaft. Jedenfalls war es ihm nicht der Mühe wert, an die
öffentlichen Dinge ernste Arbeit zu wenden. Seine Stärke bestand nur in
der Kritik und in der Kunst des Pladirens. Unter Umstanden traf er dabei den
Nagel auf deu Kopf. Aber er verstand auch mit einer Dialektik ohne Gleichen
zu übertreiben und zu entstellen, zu schmeicheln und zu verlocken, zu ver¬
dächtigen und Furcht einzuflößen. Er verstand ein Gift in seine Worte zu
legen, daß schwer dagegen auszukommen war. Dabei fesselte er aber wieder
die Menge seiner Zuhörer durch die Einfachheit und Natürlichkeit seines Aus¬
druckes, durch die Witze und Scherze, die er stets in seine Reden einflocht,
und durch die Schlagfertigkeit, mit der er eingeworfene Zwischenrufe beant¬
wortete. Und selbst die, die vielleicht über die Absicht seiner Rede tief empört
waren, mußten doch die Kunst bewundern, die es ermöglichte, so falsche Dinge
in so einleuchtender Weise darzustellen.

Es kann uns aber nicht genügen, es bei dieser allgemeinen Schilderung
von Windthorsts Wesen bewenden zu lassen. Wir wollen etwas näher in die
Einzelheiten seiner Thätigkeit eingehen, weil erst hierdurch ein lebendiges Bild
von dem Manne gewonnen wird. Wir müssen in dieser Veziehuug zwei
Perioden unterscheiden, die Zeit von 18L7 bis 1870 und die Zeit von 1871
an. Windthorst selbst war in beiden Perioden derselbe. Aber Umstünde und
Verhältnisse änderten sich mit dem Jahre 1871 in der Art, daß von da an
die eigentliche Bedeutung des Mannes begann und fortwährend wuchs.

Für jene erste Periode müssen wir zwischen Landtag und Reichstag unter¬
scheiden. In dem preußischen Abgeordnetenhause war Windthorst von Anfang
an sehr regsam. Er vertrat vor allem, wozu er ja vollkommen berechtigt
war, die Interessen seines Heimatlandes Hannover und war zugleich ein
Lvbpreiser hannöverscher Verhältnisse. Eine bedeutende Wirksamkeit hat er
damit nicht geübt. Die Provinz Hannover wurde von der preußischem Re¬
gierung ohnehin möglichst berücksichtigt und begünstigt. Die Beschlagnahme
des Vermögens des Königs Georg aber vermochte Windthorst auch mit der
glänzendsten Rede nicht rückgängig zu machen-

In dein norddeutschen Reichstage hielt sich Windthorst anfangs sehr
zurück. Er sprach uur selteu. Wenn er aber redete, so zielten seine Worte nur
darauf, die Entwicklung des Reiches zu hemmen. Gleich in der ersten
Sitzung führte er sich damit ein, daß, als von vielen Seiten die Aufstellung
einer Rednertribüne im Sitzungsraume des Reichstages verlangt wurde, er
sich lebhaft dagegen erklärte. „Ich glaube, daß dadurch den Beratungen unsers
Hauses ein absolut andrer Charakter gegeben wird." Bei Beratung der Ver¬
fassung trat er eifrig für ein neben dein Reichstag und dem Bundesrat zu
schaffendes Oberhaus ein (28. März 18K7). Natürlich! mit einem solchen
würde der Gesetzgebung des Reiches ein arger Hemmschuh augelegt gewesen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/14>, abgerufen am 24.07.2024.