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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Zu unsrer auswärtigen Politik

Liegen nun aber die Verhältnisse in Araukreich und Nußland so, daß
sich eine Aktion in nicht zu weiter Zukunft erwarten läßt? Wir glauben
nach eingehender Erwägung für beide Staaten die Frage bejahen zu müssen.
In Frankreich haben die Kriegsrüstungen ihren Höhepunkt erreicht. Der letzte
Mann und fast könnte mau sagen der letzte Groschen ist herangezogen worden,
sodaß selbst der natürliche Reichtum Frankreichs die Last des Wartens, Ge¬
wehr bei Fuß, uicht ohne völlige wirtschaftliche Erschöpfung auf die Dauer
wird ertragen können. Dazu kommt ein ehrgeiziger Kriegsminister, der vielleicht
bald Minister des Auswärtigen ist, und der darnach lechzt, die Früchte seiner
vieljährigen organisatorischen Arbeit zu pflücken, endlich ein nach Aufregung
verlangender hauptstädtischer Pöbel, der von je den Anspruch erhoben und
behauptet hat, die Politik des Staates zu den entscheidenden Schritten zu
bestimmen. Frankreich glaubt heute fertig zu sein und ist es gewiß mehr
als 1870 -- dieser Glaube bedeutet, darüber dürfen wir uns nicht täuschen,
eine ernste Gefahr. Sobald von russischer Seite das Signal dazu gegeben
wird, schlägt Frankreich los. Bis dahin wartet es, ungeduldig, zähneknirschend,
aber es wartet, denn bei aller Zuversicht zu seiner Armee, auch dem toll-
köpfigsten französischen Chauvinisten graut vor dem Abenteuer, uns allein
gegenüberzutreten.

Wie sieht es uun in Nußland aus? Der Zar will den Frieden -- dies
Schlagwort hört mau von allen Seiten, und es wäre plausibel, wenn der
Satz: 81 öl8 xnoom, xanr dolium unbedingte Geltung hätte, auch wenn man
ihn umkehrt. Denn noch nie hat ein russischer Herrscher das vellnm xiuaro
mit gleicher Zähigkeit und in gleich ungeheuerm Maßstabe betriebe". Noch
nie, so lauge es eine geschichtliche Erinnerung giebt, hat ein gleich großes
Kriegsheer in Friedenszeiten an unsern Grenzen gestanden, und nie ist in
übermütigerm Ton auf allen Gassen das Geheimnis verkündigt worden, daß
dieses Heer zum Kampfe gegen Deutschland bestimmt sei. Denn wenn auch
der Zar den Frieden will, so will ihn doch sein Volk nicht, und die Frage ist
nur, welcher von beiden Teilen der stärkere sein wird. Alle Wahrscheinlichkeit
spricht aber dafür, daß die zum Kriege drängenden Elemente schließlich die
Entscheidung in ihre Hunde spielen werden. Was wir von der Politik des
Zaren sehen, kann kaum einen Zweifel darüber weiter bestehen lassen, daß er
bemüht gewesen ist, dnrch Abschlagszahlungen, die dem panslawistischen Ge¬
danken geleistet wurden, eine Entscheidung hinauszuschieben, die ihm im Grunde
verhaßt ist. Die Palliative sind aber eines nach dem andern verbraucht
worden: die Aufstellung der russischen Waffenmacht an den Grenzen hat sich
vollzogen, die Nussisiziruug Polens und der Ostseeprovinzen ist -- so weit es
sich ans dein Wege von Verordnungen erreichen läßt - vollendet, Finnland
but sein nationales Todesurteil in feierlichster Weise verkündigen hören, der
nirvpciische Liberalismus im Innern des Reiches ist gründlich beseitigt


Grenzboten II 1891 14
Zu unsrer auswärtigen Politik

Liegen nun aber die Verhältnisse in Araukreich und Nußland so, daß
sich eine Aktion in nicht zu weiter Zukunft erwarten läßt? Wir glauben
nach eingehender Erwägung für beide Staaten die Frage bejahen zu müssen.
In Frankreich haben die Kriegsrüstungen ihren Höhepunkt erreicht. Der letzte
Mann und fast könnte mau sagen der letzte Groschen ist herangezogen worden,
sodaß selbst der natürliche Reichtum Frankreichs die Last des Wartens, Ge¬
wehr bei Fuß, uicht ohne völlige wirtschaftliche Erschöpfung auf die Dauer
wird ertragen können. Dazu kommt ein ehrgeiziger Kriegsminister, der vielleicht
bald Minister des Auswärtigen ist, und der darnach lechzt, die Früchte seiner
vieljährigen organisatorischen Arbeit zu pflücken, endlich ein nach Aufregung
verlangender hauptstädtischer Pöbel, der von je den Anspruch erhoben und
behauptet hat, die Politik des Staates zu den entscheidenden Schritten zu
bestimmen. Frankreich glaubt heute fertig zu sein und ist es gewiß mehr
als 1870 — dieser Glaube bedeutet, darüber dürfen wir uns nicht täuschen,
eine ernste Gefahr. Sobald von russischer Seite das Signal dazu gegeben
wird, schlägt Frankreich los. Bis dahin wartet es, ungeduldig, zähneknirschend,
aber es wartet, denn bei aller Zuversicht zu seiner Armee, auch dem toll-
köpfigsten französischen Chauvinisten graut vor dem Abenteuer, uns allein
gegenüberzutreten.

Wie sieht es uun in Nußland aus? Der Zar will den Frieden — dies
Schlagwort hört mau von allen Seiten, und es wäre plausibel, wenn der
Satz: 81 öl8 xnoom, xanr dolium unbedingte Geltung hätte, auch wenn man
ihn umkehrt. Denn noch nie hat ein russischer Herrscher das vellnm xiuaro
mit gleicher Zähigkeit und in gleich ungeheuerm Maßstabe betriebe». Noch
nie, so lauge es eine geschichtliche Erinnerung giebt, hat ein gleich großes
Kriegsheer in Friedenszeiten an unsern Grenzen gestanden, und nie ist in
übermütigerm Ton auf allen Gassen das Geheimnis verkündigt worden, daß
dieses Heer zum Kampfe gegen Deutschland bestimmt sei. Denn wenn auch
der Zar den Frieden will, so will ihn doch sein Volk nicht, und die Frage ist
nur, welcher von beiden Teilen der stärkere sein wird. Alle Wahrscheinlichkeit
spricht aber dafür, daß die zum Kriege drängenden Elemente schließlich die
Entscheidung in ihre Hunde spielen werden. Was wir von der Politik des
Zaren sehen, kann kaum einen Zweifel darüber weiter bestehen lassen, daß er
bemüht gewesen ist, dnrch Abschlagszahlungen, die dem panslawistischen Ge¬
danken geleistet wurden, eine Entscheidung hinauszuschieben, die ihm im Grunde
verhaßt ist. Die Palliative sind aber eines nach dem andern verbraucht
worden: die Aufstellung der russischen Waffenmacht an den Grenzen hat sich
vollzogen, die Nussisiziruug Polens und der Ostseeprovinzen ist — so weit es
sich ans dein Wege von Verordnungen erreichen läßt - vollendet, Finnland
but sein nationales Todesurteil in feierlichster Weise verkündigen hören, der
nirvpciische Liberalismus im Innern des Reiches ist gründlich beseitigt


Grenzboten II 1891 14
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/113>, abgerufen am 24.07.2024.