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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Zu unsrer auswärtigen Politik

worden, die Finanzmacht des Staates ganz in die Hände des Ministers
gegeben, der es wie kein andrer vor ihm verstanden hat, jeden Wunsch der
Aktionspartei im voraus zu befriedigen -- man mag sich den Kopf zermartern
wie man will, es giebt kein Schlagwort mehr, um die Ungeduld zu beruhigen
oder abzufinden. So bleibt als letztes die lauge angekündigte Aktion nach
außen, und eben darin liegt die Gefahr der Lage.

Wir sind damit an den zweiten Punkt unsrer Beobachtung gekommen, an
die orientalische Krisis. Daß sich eine Aktion im Orient vorbereitet, haben
die jüngsten Ereignisse in Sofia, deren Ursprung wohl mit Recht in Rußland
gesucht wird, höchst wahrscheinlich gemacht. Ob in Bulgarien oder in Ägypten
oder sonstwo ans dem weiten orientalischen Kvnfliktsfelde, ist gleichgiltig. Noch
heute gilt der Satz, deu Fürst Bismarck in einem Rundschreiben vom 6. Januar
1885 aussprach: "Die Vertrage, die die Staats- und Rechtsverhältnisse im
Orient ordnen, bilden ein solidarisches Ganzes. Wenn der Vrnch eines der¬
selben stillschweigend zugelassen wird, so kann daraus jede Macht in Zukunft
die Berechtigung ableiten, auch ihrerseits vou den Verträge" nach eignem Be¬
dürfnis abzuweichen." Nun gehen Rußland und Frankreich augenblicklich in
der orientalische" Frage vor: Rußland in Bulgarien, Frankreich in Ägypten.
Beides bedeutet eine allgemeine Gefahr, und es wird sich wohl in nicht allzu
ferner Zukunft entscheide", ob wir die Krisis friedlich durchlebe" oder nicht.
Deutschland kommt i" diese" Dinge" mir so weit mit ins Spiel, als Lebens¬
interesse" Österreichs ernstlich gefährdet sind. Die ägyptische Aktion würde
also zunächst von geringerer Bedeutung sein.

Es liegt nun aus der Hciud, daß sobald diese im engern Sinne des
Wortes politischen Fragen die Lage beherrschen, der dritte Punkt, von dem
wir ausginge", praktisch in den Hintergrund gedrängt wird. Sollte es, was
wir nicht hoffen wollen, in Europa zu ernsten Konflikten kommen, so fällt die
Ernte Amerika zu, das sich schon jetzt die Hände reibt, wenn es solche
Möglichkeiten ins A"ge faßt. Das große Wirtschaftsproblem, dessen vor¬
läufige Lösung unsre Verhandlungen mit Österreich angebahnt haben, kommt
erst zu seinem Rechte, wenn wir für den wirtschaftlichen Kampf die Hände
frei haben.

In der Götter Schoße ruht die Zukunft. Die Zeichen der Zukunft aber
sind ernst, u"d mehr als je gilt darum für uns das Wort: Einigkeit macht
stark.




Zu unsrer auswärtigen Politik

worden, die Finanzmacht des Staates ganz in die Hände des Ministers
gegeben, der es wie kein andrer vor ihm verstanden hat, jeden Wunsch der
Aktionspartei im voraus zu befriedigen — man mag sich den Kopf zermartern
wie man will, es giebt kein Schlagwort mehr, um die Ungeduld zu beruhigen
oder abzufinden. So bleibt als letztes die lauge angekündigte Aktion nach
außen, und eben darin liegt die Gefahr der Lage.

Wir sind damit an den zweiten Punkt unsrer Beobachtung gekommen, an
die orientalische Krisis. Daß sich eine Aktion im Orient vorbereitet, haben
die jüngsten Ereignisse in Sofia, deren Ursprung wohl mit Recht in Rußland
gesucht wird, höchst wahrscheinlich gemacht. Ob in Bulgarien oder in Ägypten
oder sonstwo ans dem weiten orientalischen Kvnfliktsfelde, ist gleichgiltig. Noch
heute gilt der Satz, deu Fürst Bismarck in einem Rundschreiben vom 6. Januar
1885 aussprach: „Die Vertrage, die die Staats- und Rechtsverhältnisse im
Orient ordnen, bilden ein solidarisches Ganzes. Wenn der Vrnch eines der¬
selben stillschweigend zugelassen wird, so kann daraus jede Macht in Zukunft
die Berechtigung ableiten, auch ihrerseits vou den Verträge» nach eignem Be¬
dürfnis abzuweichen." Nun gehen Rußland und Frankreich augenblicklich in
der orientalische» Frage vor: Rußland in Bulgarien, Frankreich in Ägypten.
Beides bedeutet eine allgemeine Gefahr, und es wird sich wohl in nicht allzu
ferner Zukunft entscheide», ob wir die Krisis friedlich durchlebe» oder nicht.
Deutschland kommt i» diese» Dinge» mir so weit mit ins Spiel, als Lebens¬
interesse» Österreichs ernstlich gefährdet sind. Die ägyptische Aktion würde
also zunächst von geringerer Bedeutung sein.

Es liegt nun aus der Hciud, daß sobald diese im engern Sinne des
Wortes politischen Fragen die Lage beherrschen, der dritte Punkt, von dem
wir ausginge», praktisch in den Hintergrund gedrängt wird. Sollte es, was
wir nicht hoffen wollen, in Europa zu ernsten Konflikten kommen, so fällt die
Ernte Amerika zu, das sich schon jetzt die Hände reibt, wenn es solche
Möglichkeiten ins A»ge faßt. Das große Wirtschaftsproblem, dessen vor¬
läufige Lösung unsre Verhandlungen mit Österreich angebahnt haben, kommt
erst zu seinem Rechte, wenn wir für den wirtschaftlichen Kampf die Hände
frei haben.

In der Götter Schoße ruht die Zukunft. Die Zeichen der Zukunft aber
sind ernst, u»d mehr als je gilt darum für uns das Wort: Einigkeit macht
stark.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/114>, abgerufen am 24.07.2024.