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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Ein lächerliches Gegenstück übrigens zu Verbindungen wie: die schritt¬
weise Vervollkommnung, das nun freilich durch eine ganz andre Sprach-
dununheit entsteht, bilden Verbindungen, wie: der tiefer Denkende, der un¬
ermüdlich Schaffende, das bisher darüber Gedachte, die von Arbeits¬
last Erdrückten, die auf Gymnasien Vorgebildeten u. tgi. Hier liegt
der Fehler nicht im Ausdruck, sondern in der Orthographie, nämlich in dem
thörichten großen Anfangsbuchstaben, mit dem man ganz allgemein die Ad-
jektiva und Partizipin solcher Verbindungen schreibt und druckt. Was soll
der große Buchstabe? Er soll ausdrücken, daß die Adjektiva oder Partizipia
zu Substantiven geworden seien! Ist denn das aber richtig? Wenn ich sage:
die gebildeten, die mnsikkundige", so mögen das meinetwegen Sub¬
stantiv" sein. Aber wie kann man solchen Unsinn lehren, wie er doch allge¬
mein in unseru Schulen gelehrt wird, daß in Verbindungen, wie: die höher
gebildeten, die wirklich musikknndigen, Substantiv" enthalten seien? Es
kann kaum ein beschämenderes Beispiel geben von der gedankenlosen Äußerlich¬
keit, mit der unser Sprachunterricht zum guten Teil betriebe" wird, als diese
Lehre. Wenn in solchen Verbindungen, wie: die auf preußischen Universitäten
studirenden, der neben mir reitende, alles bisher erforschte, die durch
die Überschwemmung beschädigten, der wegen einer geringfügigen Übertretung
angeklagte, das mühsam auf dem Wege eiues unablässigen Fortschritts
errungene u. s. w. die Partizipia wirklich Substautiva wären, wenn eS
möglich wäre, sie als Substautiva zu fühle" -- und darauf kommt es doch
um! -- dann müßte man ja auch sagen können: die ans preußischen Universi¬
täten Studenten, der neben mir Reiter, alle bisher Forscher, der dnrch
die Überschwemmung Schade, die wegen einer geringfügigen Übertretung
Anklage, die mühsam auf dein Wege eines unablässigen Fortschrittes Er¬
rungenschaften. Wenn durchaus ein großer Anfangsbuchstabe geschrieben
werden soll, so kann vernünftigerweise nur geschrieben werden: das Rein¬
malerische, die Höhcrgebildeten, die Wirklichod erangeblichminderbe-
gabteu u. s. w. Noch viel vernünftiger aber wäre es natürlich, man
beschränkte die großen Anfangsbuchstaben überhaupt auf die wirklichen Sub¬
stautiva, oder -- mau machte sich, wie alle andern Sprachen, von dieser Kinderei
endlich frei. Aber zu schreiben: das durch redlichen Fleiß Gewonnene
und sich und andern einzureden, Gewonnene sei hier ein Substantiv, ist doch
eine Tollheit. Es kann kein Substantivum sein, weil es im Deutschen unmög¬
lich ist, ein Adverbium oder einen adverbiellen Ausdruck zwischen Artikel und Sub¬
stantiv zu setzen. Wäre das möglich, dann müßte man auch sagen können: der
durch redlichen Fleiß Gewinn. Aber auch das schrittweise Gewonnene
ist unter allen Umstanden falsch. Denn wäre Gewonnene wirklich ein Haupt¬
wort, dann könnte schrittweise nnr ein Adjectivum sein, und das ist es nicht;
ist aber schrittweise ein Adverbium, dann kann Gewonnene nnr eine


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Ein lächerliches Gegenstück übrigens zu Verbindungen wie: die schritt¬
weise Vervollkommnung, das nun freilich durch eine ganz andre Sprach-
dununheit entsteht, bilden Verbindungen, wie: der tiefer Denkende, der un¬
ermüdlich Schaffende, das bisher darüber Gedachte, die von Arbeits¬
last Erdrückten, die auf Gymnasien Vorgebildeten u. tgi. Hier liegt
der Fehler nicht im Ausdruck, sondern in der Orthographie, nämlich in dem
thörichten großen Anfangsbuchstaben, mit dem man ganz allgemein die Ad-
jektiva und Partizipin solcher Verbindungen schreibt und druckt. Was soll
der große Buchstabe? Er soll ausdrücken, daß die Adjektiva oder Partizipia
zu Substantiven geworden seien! Ist denn das aber richtig? Wenn ich sage:
die gebildeten, die mnsikkundige», so mögen das meinetwegen Sub¬
stantiv« sein. Aber wie kann man solchen Unsinn lehren, wie er doch allge¬
mein in unseru Schulen gelehrt wird, daß in Verbindungen, wie: die höher
gebildeten, die wirklich musikknndigen, Substantiv« enthalten seien? Es
kann kaum ein beschämenderes Beispiel geben von der gedankenlosen Äußerlich¬
keit, mit der unser Sprachunterricht zum guten Teil betriebe» wird, als diese
Lehre. Wenn in solchen Verbindungen, wie: die auf preußischen Universitäten
studirenden, der neben mir reitende, alles bisher erforschte, die durch
die Überschwemmung beschädigten, der wegen einer geringfügigen Übertretung
angeklagte, das mühsam auf dem Wege eiues unablässigen Fortschritts
errungene u. s. w. die Partizipia wirklich Substautiva wären, wenn eS
möglich wäre, sie als Substautiva zu fühle» — und darauf kommt es doch
um! — dann müßte man ja auch sagen können: die ans preußischen Universi¬
täten Studenten, der neben mir Reiter, alle bisher Forscher, der dnrch
die Überschwemmung Schade, die wegen einer geringfügigen Übertretung
Anklage, die mühsam auf dein Wege eines unablässigen Fortschrittes Er¬
rungenschaften. Wenn durchaus ein großer Anfangsbuchstabe geschrieben
werden soll, so kann vernünftigerweise nur geschrieben werden: das Rein¬
malerische, die Höhcrgebildeten, die Wirklichod erangeblichminderbe-
gabteu u. s. w. Noch viel vernünftiger aber wäre es natürlich, man
beschränkte die großen Anfangsbuchstaben überhaupt auf die wirklichen Sub¬
stautiva, oder — mau machte sich, wie alle andern Sprachen, von dieser Kinderei
endlich frei. Aber zu schreiben: das durch redlichen Fleiß Gewonnene
und sich und andern einzureden, Gewonnene sei hier ein Substantiv, ist doch
eine Tollheit. Es kann kein Substantivum sein, weil es im Deutschen unmög¬
lich ist, ein Adverbium oder einen adverbiellen Ausdruck zwischen Artikel und Sub¬
stantiv zu setzen. Wäre das möglich, dann müßte man auch sagen können: der
durch redlichen Fleiß Gewinn. Aber auch das schrittweise Gewonnene
ist unter allen Umstanden falsch. Denn wäre Gewonnene wirklich ein Haupt¬
wort, dann könnte schrittweise nnr ein Adjectivum sein, und das ist es nicht;
ist aber schrittweise ein Adverbium, dann kann Gewonnene nnr eine


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[0106] Allerhand öprachdiimmheitett Ein lächerliches Gegenstück übrigens zu Verbindungen wie: die schritt¬ weise Vervollkommnung, das nun freilich durch eine ganz andre Sprach- dununheit entsteht, bilden Verbindungen, wie: der tiefer Denkende, der un¬ ermüdlich Schaffende, das bisher darüber Gedachte, die von Arbeits¬ last Erdrückten, die auf Gymnasien Vorgebildeten u. tgi. Hier liegt der Fehler nicht im Ausdruck, sondern in der Orthographie, nämlich in dem thörichten großen Anfangsbuchstaben, mit dem man ganz allgemein die Ad- jektiva und Partizipin solcher Verbindungen schreibt und druckt. Was soll der große Buchstabe? Er soll ausdrücken, daß die Adjektiva oder Partizipia zu Substantiven geworden seien! Ist denn das aber richtig? Wenn ich sage: die gebildeten, die mnsikkundige», so mögen das meinetwegen Sub¬ stantiv« sein. Aber wie kann man solchen Unsinn lehren, wie er doch allge¬ mein in unseru Schulen gelehrt wird, daß in Verbindungen, wie: die höher gebildeten, die wirklich musikknndigen, Substantiv« enthalten seien? Es kann kaum ein beschämenderes Beispiel geben von der gedankenlosen Äußerlich¬ keit, mit der unser Sprachunterricht zum guten Teil betriebe» wird, als diese Lehre. Wenn in solchen Verbindungen, wie: die auf preußischen Universitäten studirenden, der neben mir reitende, alles bisher erforschte, die durch die Überschwemmung beschädigten, der wegen einer geringfügigen Übertretung angeklagte, das mühsam auf dem Wege eiues unablässigen Fortschritts errungene u. s. w. die Partizipia wirklich Substautiva wären, wenn eS möglich wäre, sie als Substautiva zu fühle» — und darauf kommt es doch um! — dann müßte man ja auch sagen können: die ans preußischen Universi¬ täten Studenten, der neben mir Reiter, alle bisher Forscher, der dnrch die Überschwemmung Schade, die wegen einer geringfügigen Übertretung Anklage, die mühsam auf dein Wege eines unablässigen Fortschrittes Er¬ rungenschaften. Wenn durchaus ein großer Anfangsbuchstabe geschrieben werden soll, so kann vernünftigerweise nur geschrieben werden: das Rein¬ malerische, die Höhcrgebildeten, die Wirklichod erangeblichminderbe- gabteu u. s. w. Noch viel vernünftiger aber wäre es natürlich, man beschränkte die großen Anfangsbuchstaben überhaupt auf die wirklichen Sub¬ stautiva, oder — mau machte sich, wie alle andern Sprachen, von dieser Kinderei endlich frei. Aber zu schreiben: das durch redlichen Fleiß Gewonnene und sich und andern einzureden, Gewonnene sei hier ein Substantiv, ist doch eine Tollheit. Es kann kein Substantivum sein, weil es im Deutschen unmög¬ lich ist, ein Adverbium oder einen adverbiellen Ausdruck zwischen Artikel und Sub¬ stantiv zu setzen. Wäre das möglich, dann müßte man auch sagen können: der durch redlichen Fleiß Gewinn. Aber auch das schrittweise Gewonnene ist unter allen Umstanden falsch. Denn wäre Gewonnene wirklich ein Haupt¬ wort, dann könnte schrittweise nnr ein Adjectivum sein, und das ist es nicht; ist aber schrittweise ein Adverbium, dann kann Gewonnene nnr eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/106>, abgerufen am 04.07.2024.