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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Neuerung, die bruchstückweise Veröffentlichung, und da ist es wieder
nicht recht. So stehen die Dinge aber doch nicht. Der sprachgeschichtliche
Einwand ist hinfällig, sowie es noch Menschen giebt, die das Falsche als falsch
empfinden, schmerzlich empfinden. Nur wo das Falsche von niemand mehr als
falsch empfunden wird, da ist es überflüssig und vergeblich, sich ster das Richtige
zu ereifern. Das ist der Standpunkt, ans dem alle diese Betrachtungen stehen.
Ich bekämpfe Fehler, die sich festzusetzen drohen, weil ich glaube, daß es noch
Zeit sei, uns wieder davon zu befreien, daß nur das Sprachgewifsen größerer
Kreise einmal aufgerüttelt zu werden brauche. Aber auch der andre Einwand
ist hinfällig. Daß sich der Fehler so reißend schnell verbreitet hat, das hängt
mit einem Vorgänge zusammen, der zu den allcrverhängnisvollsten in unserm
ganzen Sprachleben gehört, nämlich mit der immer schlimmer werdenden Sucht,
den Hauptsiun eines Satzes nicht mehr durchs Verbum, sondern durch ein Sub-
stantivum auszudrücken. Was für häßliche Erscheinungen diese Sucht schon im
Gefolge gehabt hat, ist gar nicht zu sagen. Sie hat unsre Sprache mit einer
Masse der schauderhaftesten Snbftantivbildungen, wie Außerachtlassung,
Inbetriebsetzung, Inanspruchnahme und ähnlichen überschwemmt, sie hat
es dahin gebracht, daß alle Handlungen und Ereignisse fast nur noch durch
zwei Zeitwörter ausgedrückt werden: durch stattfinde" und erfolgen (für
den Zeitungsschreiber giebt es kaum noch irgend ein andres Zeitwort!), sie hat
uns die scheußliche Präposition seitens gebracht, dieses Jammerding, das
überall herhalten muß, wo es gilt, die durch die ungeschickte Häufung von
Substantiven verfahrene und verfitzte Konstruktion wieder ein bischen aufzu¬
lockern, sie hat unsern ganzen Ausdruck schleppend und schwerfällig gemacht, sie
hat uns auch mit den schönen Adjektiven auf -weise beglückt. Wir müssen eben
wieder Verba schreiben lernen, statt Snbstautiva, wir müssen vor allen Dingen
den Satz wieder mit dem Verbum anfangen lernen, statt mit dem Substantiv",",
wieder de" Mut haben, zu schreiben: Gestorben ist er am 17., begraben wurde
er am 20., statt: der Tod erfolgte (!) am 17., die Beerdigung fand
am 20. statt, dann wird anch all der andre Unrat wieder verschwinden.
Anstatt zu schreiben: ihre teilweise Begründung mag diese Gleichgiltigkeit
darin finden, schreibe man doch: begründet mag diese Gleichgiltigkeit teil¬
weise darin sein -- und alles ist in bester Ordnung! Ist es aber nicht ge¬
rade wieder die Schule, die in ihren Übersetzuugsiibungen dergleichen hätschelt
und großzieht? Wie oft steht in den alten Sprachen die leichte, flüssige Ver-
balfvrm da -- man brauchte nur wörtlich zu übersetzen, und man Hütte das
beste Deutsch. Aber nein, es wird dem Jungen vorgeredet, im Deutschen
sei es besser, "feiner," "gewählter," das Verbum "in ein Substantiv","
z" verwandeln" n. s. w. Hat unser Kaiser da nicht Recht, wenn er sagt,
die Muttersprache müsse zum Mittelpunkt unsers Sprachnnterrichts gemacht
werden?


Grenzten II 1891 13

Neuerung, die bruchstückweise Veröffentlichung, und da ist es wieder
nicht recht. So stehen die Dinge aber doch nicht. Der sprachgeschichtliche
Einwand ist hinfällig, sowie es noch Menschen giebt, die das Falsche als falsch
empfinden, schmerzlich empfinden. Nur wo das Falsche von niemand mehr als
falsch empfunden wird, da ist es überflüssig und vergeblich, sich ster das Richtige
zu ereifern. Das ist der Standpunkt, ans dem alle diese Betrachtungen stehen.
Ich bekämpfe Fehler, die sich festzusetzen drohen, weil ich glaube, daß es noch
Zeit sei, uns wieder davon zu befreien, daß nur das Sprachgewifsen größerer
Kreise einmal aufgerüttelt zu werden brauche. Aber auch der andre Einwand
ist hinfällig. Daß sich der Fehler so reißend schnell verbreitet hat, das hängt
mit einem Vorgänge zusammen, der zu den allcrverhängnisvollsten in unserm
ganzen Sprachleben gehört, nämlich mit der immer schlimmer werdenden Sucht,
den Hauptsiun eines Satzes nicht mehr durchs Verbum, sondern durch ein Sub-
stantivum auszudrücken. Was für häßliche Erscheinungen diese Sucht schon im
Gefolge gehabt hat, ist gar nicht zu sagen. Sie hat unsre Sprache mit einer
Masse der schauderhaftesten Snbftantivbildungen, wie Außerachtlassung,
Inbetriebsetzung, Inanspruchnahme und ähnlichen überschwemmt, sie hat
es dahin gebracht, daß alle Handlungen und Ereignisse fast nur noch durch
zwei Zeitwörter ausgedrückt werden: durch stattfinde» und erfolgen (für
den Zeitungsschreiber giebt es kaum noch irgend ein andres Zeitwort!), sie hat
uns die scheußliche Präposition seitens gebracht, dieses Jammerding, das
überall herhalten muß, wo es gilt, die durch die ungeschickte Häufung von
Substantiven verfahrene und verfitzte Konstruktion wieder ein bischen aufzu¬
lockern, sie hat unsern ganzen Ausdruck schleppend und schwerfällig gemacht, sie
hat uns auch mit den schönen Adjektiven auf -weise beglückt. Wir müssen eben
wieder Verba schreiben lernen, statt Snbstautiva, wir müssen vor allen Dingen
den Satz wieder mit dem Verbum anfangen lernen, statt mit dem Substantiv»,»,
wieder de» Mut haben, zu schreiben: Gestorben ist er am 17., begraben wurde
er am 20., statt: der Tod erfolgte (!) am 17., die Beerdigung fand
am 20. statt, dann wird anch all der andre Unrat wieder verschwinden.
Anstatt zu schreiben: ihre teilweise Begründung mag diese Gleichgiltigkeit
darin finden, schreibe man doch: begründet mag diese Gleichgiltigkeit teil¬
weise darin sein — und alles ist in bester Ordnung! Ist es aber nicht ge¬
rade wieder die Schule, die in ihren Übersetzuugsiibungen dergleichen hätschelt
und großzieht? Wie oft steht in den alten Sprachen die leichte, flüssige Ver-
balfvrm da — man brauchte nur wörtlich zu übersetzen, und man Hütte das
beste Deutsch. Aber nein, es wird dem Jungen vorgeredet, im Deutschen
sei es besser, „feiner," „gewählter," das Verbum „in ein Substantiv»,»
z» verwandeln" n. s. w. Hat unser Kaiser da nicht Recht, wenn er sagt,
die Muttersprache müsse zum Mittelpunkt unsers Sprachnnterrichts gemacht
werden?


Grenzten II 1891 13
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[0105] Neuerung, die bruchstückweise Veröffentlichung, und da ist es wieder nicht recht. So stehen die Dinge aber doch nicht. Der sprachgeschichtliche Einwand ist hinfällig, sowie es noch Menschen giebt, die das Falsche als falsch empfinden, schmerzlich empfinden. Nur wo das Falsche von niemand mehr als falsch empfunden wird, da ist es überflüssig und vergeblich, sich ster das Richtige zu ereifern. Das ist der Standpunkt, ans dem alle diese Betrachtungen stehen. Ich bekämpfe Fehler, die sich festzusetzen drohen, weil ich glaube, daß es noch Zeit sei, uns wieder davon zu befreien, daß nur das Sprachgewifsen größerer Kreise einmal aufgerüttelt zu werden brauche. Aber auch der andre Einwand ist hinfällig. Daß sich der Fehler so reißend schnell verbreitet hat, das hängt mit einem Vorgänge zusammen, der zu den allcrverhängnisvollsten in unserm ganzen Sprachleben gehört, nämlich mit der immer schlimmer werdenden Sucht, den Hauptsiun eines Satzes nicht mehr durchs Verbum, sondern durch ein Sub- stantivum auszudrücken. Was für häßliche Erscheinungen diese Sucht schon im Gefolge gehabt hat, ist gar nicht zu sagen. Sie hat unsre Sprache mit einer Masse der schauderhaftesten Snbftantivbildungen, wie Außerachtlassung, Inbetriebsetzung, Inanspruchnahme und ähnlichen überschwemmt, sie hat es dahin gebracht, daß alle Handlungen und Ereignisse fast nur noch durch zwei Zeitwörter ausgedrückt werden: durch stattfinde» und erfolgen (für den Zeitungsschreiber giebt es kaum noch irgend ein andres Zeitwort!), sie hat uns die scheußliche Präposition seitens gebracht, dieses Jammerding, das überall herhalten muß, wo es gilt, die durch die ungeschickte Häufung von Substantiven verfahrene und verfitzte Konstruktion wieder ein bischen aufzu¬ lockern, sie hat unsern ganzen Ausdruck schleppend und schwerfällig gemacht, sie hat uns auch mit den schönen Adjektiven auf -weise beglückt. Wir müssen eben wieder Verba schreiben lernen, statt Snbstautiva, wir müssen vor allen Dingen den Satz wieder mit dem Verbum anfangen lernen, statt mit dem Substantiv»,», wieder de» Mut haben, zu schreiben: Gestorben ist er am 17., begraben wurde er am 20., statt: der Tod erfolgte (!) am 17., die Beerdigung fand am 20. statt, dann wird anch all der andre Unrat wieder verschwinden. Anstatt zu schreiben: ihre teilweise Begründung mag diese Gleichgiltigkeit darin finden, schreibe man doch: begründet mag diese Gleichgiltigkeit teil¬ weise darin sein — und alles ist in bester Ordnung! Ist es aber nicht ge¬ rade wieder die Schule, die in ihren Übersetzuugsiibungen dergleichen hätschelt und großzieht? Wie oft steht in den alten Sprachen die leichte, flüssige Ver- balfvrm da — man brauchte nur wörtlich zu übersetzen, und man Hütte das beste Deutsch. Aber nein, es wird dem Jungen vorgeredet, im Deutschen sei es besser, „feiner," „gewählter," das Verbum „in ein Substantiv»,» z» verwandeln" n. s. w. Hat unser Kaiser da nicht Recht, wenn er sagt, die Muttersprache müsse zum Mittelpunkt unsers Sprachnnterrichts gemacht werden? Grenzten II 1891 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/105>, abgerufen am 04.07.2024.