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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Allerhand Sxrachdummheiten

oder einen adverbiellen Ausdruck zu bilden. Im Griechischen kann man sagen:
das jetzt Geschlecht (170 vno-sivos) für: das jetzige Geschlecht, der heute
Tag (^ i-^.sszov ^.ijz") für: der heutige Tag, der jedesmal König
(ö "el ^"F^-!^) für: der jedesmalige König, die augenblicklich Lust
(-5 Tra^van'rlx" ^c.v^) für: die augenblickliche Lust, die dazwischen Zeit
(ö ^.T?"^ x?6vo<;) für: die dazwischenliegende Zeit, der zurück Weg
(-5 ?r">to für: der zurückführende Weg, die allzusehr Freiheit
(v "''/"v s^Tüll'T^") für: die allzugroße Freiheit. Mit unsern Adverbien
auf -weise lassen sich im Griechischen namentlich gewisse mit der Prä¬
position xon" und dem Akkusativ gebildete Wendungen vergleichen, wie
^i,x^vo (stückweise), x<x^' sol.ixul'so (jahrweise, alljährlich), x"ä' ^s^vno
(lageweise), so" (einer auf einmal), z. B. ^ x"l)> -^^.s^-xv -?f>o^, wörtlich:
die lageweise Nahrung. Im Deutschen sind derartige Verbindungen ganz
unmöglich. Dem Zeitungsschreiber, der sie braucht, fällt es auch gar nicht
ein, in einer Verbindung wie: die schrittweise Vervollkommnung das
schrittweise als Adverbium zu fühlen, er meint, er schreibe wirklich ein
Adjektivnm hin. Das ist aber eben der Unsinn. Die Zusammensetzungen mit
-weise sind schlechterdings keine Adjektiva, es sind Adverbia, die aus Genetiven
entstanden sind. Man sagte zunächst: glücklicher Weise, thörichter Weise,
verkehrter Weise, wie man auch sagte: gewisser Maßen (die Maße heißt
es ursprünglich). Dann dachte man nicht mehr an den Genetiv, sondern wagte
auch alle erdenklichen andern Zusammensetzungen (versuchsweise ist eigentlich:
nach oder auf Versuchs Weise), und jetzt bildet man sich gar ein, vielleicht
verführt dnrch den Gleichklang mit weise (sapiens, diese Zusammensetzungen
wären Adjektiva! Nein, man kann sich wohl schrittweise vervollkommnen,
aber die schrittweise Vervollkommnung ist und bleibt ein Greuel, es ist
eine Verirrung des Sprachgefühls, die um nichts bester ist, als der extrae
Teller, den sich der Gast beim Kellner bestellt, oder der entzweie Stuhl, oder
die bekannten bisweilen im Scherz gebildeten Ausdrücke, in denen mau Prä¬
positionen wie Adjektiva behandelt: ein durcher Käse, eine zue Droschke, ein
auses Heft.

Der Germauist wird vielleicht sagen: Wozu der Lärm? Daß ein Ad¬
verbium zum Adjektivum wird, ist doch weder ein Unglück, noch eine Selten¬
heit, es ist auch sonst geschehen. Mit ungefähr ist es ja geradeso gegangen;
erst sagte man: ich kann mir das ungefähr vorstellen, dann wagte man
auch: ich habe davon eine ungefähre Vorstellung. Andre werden ein¬
wenden: Dieser Mißbrauch, wenn es denn durchaus einer sein soll, schafft uus
doch eine unleugbare Bequemlichkeit; wo soll man denn einen Ersatz dafür
hernehmen? Früher sagte man: die partielle Renovation, die fragmen¬
tarische Publikation, die obligatorische Desinfektion -- Fremdwörter
sollen wir auch nicht mehr brauchen, nun sagen wir: die teilweise Er-


Allerhand Sxrachdummheiten

oder einen adverbiellen Ausdruck zu bilden. Im Griechischen kann man sagen:
das jetzt Geschlecht (170 vno-sivos) für: das jetzige Geschlecht, der heute
Tag (^ i-^.sszov ^.ijz«) für: der heutige Tag, der jedesmal König
(ö «el ^«F^-!^) für: der jedesmalige König, die augenblicklich Lust
(-5 Tra^van'rlx« ^c.v^) für: die augenblickliche Lust, die dazwischen Zeit
(ö ^.T?«^ x?6vo<;) für: die dazwischenliegende Zeit, der zurück Weg
(-5 ?r«>to für: der zurückführende Weg, die allzusehr Freiheit
(v «''/«v s^Tüll'T^«) für: die allzugroße Freiheit. Mit unsern Adverbien
auf -weise lassen sich im Griechischen namentlich gewisse mit der Prä¬
position xon« und dem Akkusativ gebildete Wendungen vergleichen, wie
^i,x^vo (stückweise), x<x^' sol.ixul'so (jahrweise, alljährlich), x«ä' ^s^vno
(lageweise), so« (einer auf einmal), z. B. ^ x«l)> -^^.s^-xv -?f>o^, wörtlich:
die lageweise Nahrung. Im Deutschen sind derartige Verbindungen ganz
unmöglich. Dem Zeitungsschreiber, der sie braucht, fällt es auch gar nicht
ein, in einer Verbindung wie: die schrittweise Vervollkommnung das
schrittweise als Adverbium zu fühlen, er meint, er schreibe wirklich ein
Adjektivnm hin. Das ist aber eben der Unsinn. Die Zusammensetzungen mit
-weise sind schlechterdings keine Adjektiva, es sind Adverbia, die aus Genetiven
entstanden sind. Man sagte zunächst: glücklicher Weise, thörichter Weise,
verkehrter Weise, wie man auch sagte: gewisser Maßen (die Maße heißt
es ursprünglich). Dann dachte man nicht mehr an den Genetiv, sondern wagte
auch alle erdenklichen andern Zusammensetzungen (versuchsweise ist eigentlich:
nach oder auf Versuchs Weise), und jetzt bildet man sich gar ein, vielleicht
verführt dnrch den Gleichklang mit weise (sapiens, diese Zusammensetzungen
wären Adjektiva! Nein, man kann sich wohl schrittweise vervollkommnen,
aber die schrittweise Vervollkommnung ist und bleibt ein Greuel, es ist
eine Verirrung des Sprachgefühls, die um nichts bester ist, als der extrae
Teller, den sich der Gast beim Kellner bestellt, oder der entzweie Stuhl, oder
die bekannten bisweilen im Scherz gebildeten Ausdrücke, in denen mau Prä¬
positionen wie Adjektiva behandelt: ein durcher Käse, eine zue Droschke, ein
auses Heft.

Der Germauist wird vielleicht sagen: Wozu der Lärm? Daß ein Ad¬
verbium zum Adjektivum wird, ist doch weder ein Unglück, noch eine Selten¬
heit, es ist auch sonst geschehen. Mit ungefähr ist es ja geradeso gegangen;
erst sagte man: ich kann mir das ungefähr vorstellen, dann wagte man
auch: ich habe davon eine ungefähre Vorstellung. Andre werden ein¬
wenden: Dieser Mißbrauch, wenn es denn durchaus einer sein soll, schafft uus
doch eine unleugbare Bequemlichkeit; wo soll man denn einen Ersatz dafür
hernehmen? Früher sagte man: die partielle Renovation, die fragmen¬
tarische Publikation, die obligatorische Desinfektion — Fremdwörter
sollen wir auch nicht mehr brauchen, nun sagen wir: die teilweise Er-


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[0104] Allerhand Sxrachdummheiten oder einen adverbiellen Ausdruck zu bilden. Im Griechischen kann man sagen: das jetzt Geschlecht (170 vno-sivos) für: das jetzige Geschlecht, der heute Tag (^ i-^.sszov ^.ijz«) für: der heutige Tag, der jedesmal König (ö «el ^«F^-!^) für: der jedesmalige König, die augenblicklich Lust (-5 Tra^van'rlx« ^c.v^) für: die augenblickliche Lust, die dazwischen Zeit (ö ^.T?«^ x?6vo<;) für: die dazwischenliegende Zeit, der zurück Weg (-5 ?r«>to für: der zurückführende Weg, die allzusehr Freiheit (v «''/«v s^Tüll'T^«) für: die allzugroße Freiheit. Mit unsern Adverbien auf -weise lassen sich im Griechischen namentlich gewisse mit der Prä¬ position xon« und dem Akkusativ gebildete Wendungen vergleichen, wie ^i,x^vo (stückweise), x<x^' sol.ixul'so (jahrweise, alljährlich), x«ä' ^s^vno (lageweise), so« (einer auf einmal), z. B. ^ x«l)> -^^.s^-xv -?f>o^, wörtlich: die lageweise Nahrung. Im Deutschen sind derartige Verbindungen ganz unmöglich. Dem Zeitungsschreiber, der sie braucht, fällt es auch gar nicht ein, in einer Verbindung wie: die schrittweise Vervollkommnung das schrittweise als Adverbium zu fühlen, er meint, er schreibe wirklich ein Adjektivnm hin. Das ist aber eben der Unsinn. Die Zusammensetzungen mit -weise sind schlechterdings keine Adjektiva, es sind Adverbia, die aus Genetiven entstanden sind. Man sagte zunächst: glücklicher Weise, thörichter Weise, verkehrter Weise, wie man auch sagte: gewisser Maßen (die Maße heißt es ursprünglich). Dann dachte man nicht mehr an den Genetiv, sondern wagte auch alle erdenklichen andern Zusammensetzungen (versuchsweise ist eigentlich: nach oder auf Versuchs Weise), und jetzt bildet man sich gar ein, vielleicht verführt dnrch den Gleichklang mit weise (sapiens, diese Zusammensetzungen wären Adjektiva! Nein, man kann sich wohl schrittweise vervollkommnen, aber die schrittweise Vervollkommnung ist und bleibt ein Greuel, es ist eine Verirrung des Sprachgefühls, die um nichts bester ist, als der extrae Teller, den sich der Gast beim Kellner bestellt, oder der entzweie Stuhl, oder die bekannten bisweilen im Scherz gebildeten Ausdrücke, in denen mau Prä¬ positionen wie Adjektiva behandelt: ein durcher Käse, eine zue Droschke, ein auses Heft. Der Germauist wird vielleicht sagen: Wozu der Lärm? Daß ein Ad¬ verbium zum Adjektivum wird, ist doch weder ein Unglück, noch eine Selten¬ heit, es ist auch sonst geschehen. Mit ungefähr ist es ja geradeso gegangen; erst sagte man: ich kann mir das ungefähr vorstellen, dann wagte man auch: ich habe davon eine ungefähre Vorstellung. Andre werden ein¬ wenden: Dieser Mißbrauch, wenn es denn durchaus einer sein soll, schafft uus doch eine unleugbare Bequemlichkeit; wo soll man denn einen Ersatz dafür hernehmen? Früher sagte man: die partielle Renovation, die fragmen¬ tarische Publikation, die obligatorische Desinfektion — Fremdwörter sollen wir auch nicht mehr brauchen, nun sagen wir: die teilweise Er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/104>, abgerufen am 25.07.2024.