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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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(Otto Ludwig in Leipzig

der Opern "Die beiden Schlitzen" und "Zar und Zimmermann" erleichtert
haben. Ludwig unterließ es jedoch, Lvrtzings persönliche Bekanntschaft zu
suchen, teils aus gewohnheitsmäßiger, von ihm selbst in den Tagebüchern
mehrfach beklagter Menschenscheu, teils weil ihn der vorwiegend theatralische
Nmgangskreis Lortziugs noch weniger anzog, als die Genossen - und Gefolg¬
schaft der "Neuen Zeitschrift für Musik" im "Kasseebaum."

So blieb der Eisfelder, der mit so entschiednen Hoffnungen eines völligen
Umschwungs seiner Existenz nach Leipzig gekommen war, auch nach Monaten
auf ganz vereinzelte Anknüpfungen meist ans Waldrichs Wirtschaft beschränkt.
Einigen Wert legte er selbst nur der Bekanntschaft mit dem blinden Lyriker
Theodor Apel, dem Sohne August Apels, bei. Ludwig hatte sich im März
entschlossen, dein Dichter, der der Angehörige einer angesehenen altpatrizischen
Familie und Besitzer des ohnweit Leipzigs gelegnen Rittergutes Ermlitz war,
seinen Besuch zu machen, und bemerkte im Tagebuch: "Gestern bei Dr. Apel
gewesen. Ein sehr lieber Mann, durch deu ich in manches schöne Verhältnis
gelangen kann." Es scheint, daß Theodor Apel zu den "Litteraten" gehörte,
denen Ludwig nach einem Briefe an Schalter (Leipzig, 2. Mai 1840) einige
seiner kleinen Gedichte mitteilte, die "sehr gut ausgenommen" wurden. Die
Anknüpfung litterarischer Verbindungen aber hing mit Borgängen in dem
Seelen- und Phantasieleben Otto Ludwigs zusammen, die in den Winter von
18Z!> zu 1840 fielen.

In dem stockenden Verkehr zwischen Mendelssohn und Ludwig waltete
von Aufang an ein Element des Geheimnisses und der Zurückhaltung mit.
Der Meister mußte nach allem, was ihm von Meiningen her berichtet war,
annehmen, daß er einen ausschließlichen Musiker vor sich habe, und wenn ihm
auch schwerlich unbekannt blieb, daß sich Ludwig die Texte zu seinen Opern
selbst gedichtet hatte, so legte doch Mendelssohn hierauf wahrscheinlich uicht
mehr Gewicht, als anf seine eignen gelegentlichen poetischen und litterarischen
Versuche. Soweit der schweigsame Thüringer etwas von seinen. Lebensplänen
verriet, wünschte er in seiner Heimat eine musikalische Stellung zu finden,
zeigte sich anch nicht abgeneigt, sobald er sich selbst einigermaßen vervoll¬
kommnet habe, Klavierunterricht zu geben. Wie Hütte Mendelssohn ahnen können,
daß gerade in diesem Winter, der ganz und gar musikalischen Studien, musi¬
kalischen Eindrücken gehöre" sollte, bei Otto Ludwig die poetische Ader, die
gestalteuschaffende Phantasie übermächtig walteten und der Musik anch schon
zu einer Zeit gefährlich wurde", wo dieser sich noch ausschließlich als Musik¬
student fühlte. Die tagebuchartigen Aufzeichnungen Ludwigs, vom September
bis zum Anfang Dezember 183!" unterbrochen. sprechen auch im Dezember und
Januar (1840), wo er noch viel Klavier spielte und selbst einige Fortschritte
zu machen meinte, von poetischen Vorstellungen und Plänen aller Art. Die
Gestalten der Tragödie "Agnes Bernaner" (noch unter dem Titel "Der Liebe


(Otto Ludwig in Leipzig

der Opern „Die beiden Schlitzen" und „Zar und Zimmermann" erleichtert
haben. Ludwig unterließ es jedoch, Lvrtzings persönliche Bekanntschaft zu
suchen, teils aus gewohnheitsmäßiger, von ihm selbst in den Tagebüchern
mehrfach beklagter Menschenscheu, teils weil ihn der vorwiegend theatralische
Nmgangskreis Lortziugs noch weniger anzog, als die Genossen - und Gefolg¬
schaft der „Neuen Zeitschrift für Musik" im „Kasseebaum."

So blieb der Eisfelder, der mit so entschiednen Hoffnungen eines völligen
Umschwungs seiner Existenz nach Leipzig gekommen war, auch nach Monaten
auf ganz vereinzelte Anknüpfungen meist ans Waldrichs Wirtschaft beschränkt.
Einigen Wert legte er selbst nur der Bekanntschaft mit dem blinden Lyriker
Theodor Apel, dem Sohne August Apels, bei. Ludwig hatte sich im März
entschlossen, dein Dichter, der der Angehörige einer angesehenen altpatrizischen
Familie und Besitzer des ohnweit Leipzigs gelegnen Rittergutes Ermlitz war,
seinen Besuch zu machen, und bemerkte im Tagebuch: „Gestern bei Dr. Apel
gewesen. Ein sehr lieber Mann, durch deu ich in manches schöne Verhältnis
gelangen kann." Es scheint, daß Theodor Apel zu den „Litteraten" gehörte,
denen Ludwig nach einem Briefe an Schalter (Leipzig, 2. Mai 1840) einige
seiner kleinen Gedichte mitteilte, die „sehr gut ausgenommen" wurden. Die
Anknüpfung litterarischer Verbindungen aber hing mit Borgängen in dem
Seelen- und Phantasieleben Otto Ludwigs zusammen, die in den Winter von
18Z!> zu 1840 fielen.

In dem stockenden Verkehr zwischen Mendelssohn und Ludwig waltete
von Aufang an ein Element des Geheimnisses und der Zurückhaltung mit.
Der Meister mußte nach allem, was ihm von Meiningen her berichtet war,
annehmen, daß er einen ausschließlichen Musiker vor sich habe, und wenn ihm
auch schwerlich unbekannt blieb, daß sich Ludwig die Texte zu seinen Opern
selbst gedichtet hatte, so legte doch Mendelssohn hierauf wahrscheinlich uicht
mehr Gewicht, als anf seine eignen gelegentlichen poetischen und litterarischen
Versuche. Soweit der schweigsame Thüringer etwas von seinen. Lebensplänen
verriet, wünschte er in seiner Heimat eine musikalische Stellung zu finden,
zeigte sich anch nicht abgeneigt, sobald er sich selbst einigermaßen vervoll¬
kommnet habe, Klavierunterricht zu geben. Wie Hütte Mendelssohn ahnen können,
daß gerade in diesem Winter, der ganz und gar musikalischen Studien, musi¬
kalischen Eindrücken gehöre» sollte, bei Otto Ludwig die poetische Ader, die
gestalteuschaffende Phantasie übermächtig walteten und der Musik anch schon
zu einer Zeit gefährlich wurde», wo dieser sich noch ausschließlich als Musik¬
student fühlte. Die tagebuchartigen Aufzeichnungen Ludwigs, vom September
bis zum Anfang Dezember 183!» unterbrochen. sprechen auch im Dezember und
Januar (1840), wo er noch viel Klavier spielte und selbst einige Fortschritte
zu machen meinte, von poetischen Vorstellungen und Plänen aller Art. Die
Gestalten der Tragödie „Agnes Bernaner" (noch unter dem Titel „Der Liebe


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[0093] (Otto Ludwig in Leipzig der Opern „Die beiden Schlitzen" und „Zar und Zimmermann" erleichtert haben. Ludwig unterließ es jedoch, Lvrtzings persönliche Bekanntschaft zu suchen, teils aus gewohnheitsmäßiger, von ihm selbst in den Tagebüchern mehrfach beklagter Menschenscheu, teils weil ihn der vorwiegend theatralische Nmgangskreis Lortziugs noch weniger anzog, als die Genossen - und Gefolg¬ schaft der „Neuen Zeitschrift für Musik" im „Kasseebaum." So blieb der Eisfelder, der mit so entschiednen Hoffnungen eines völligen Umschwungs seiner Existenz nach Leipzig gekommen war, auch nach Monaten auf ganz vereinzelte Anknüpfungen meist ans Waldrichs Wirtschaft beschränkt. Einigen Wert legte er selbst nur der Bekanntschaft mit dem blinden Lyriker Theodor Apel, dem Sohne August Apels, bei. Ludwig hatte sich im März entschlossen, dein Dichter, der der Angehörige einer angesehenen altpatrizischen Familie und Besitzer des ohnweit Leipzigs gelegnen Rittergutes Ermlitz war, seinen Besuch zu machen, und bemerkte im Tagebuch: „Gestern bei Dr. Apel gewesen. Ein sehr lieber Mann, durch deu ich in manches schöne Verhältnis gelangen kann." Es scheint, daß Theodor Apel zu den „Litteraten" gehörte, denen Ludwig nach einem Briefe an Schalter (Leipzig, 2. Mai 1840) einige seiner kleinen Gedichte mitteilte, die „sehr gut ausgenommen" wurden. Die Anknüpfung litterarischer Verbindungen aber hing mit Borgängen in dem Seelen- und Phantasieleben Otto Ludwigs zusammen, die in den Winter von 18Z!> zu 1840 fielen. In dem stockenden Verkehr zwischen Mendelssohn und Ludwig waltete von Aufang an ein Element des Geheimnisses und der Zurückhaltung mit. Der Meister mußte nach allem, was ihm von Meiningen her berichtet war, annehmen, daß er einen ausschließlichen Musiker vor sich habe, und wenn ihm auch schwerlich unbekannt blieb, daß sich Ludwig die Texte zu seinen Opern selbst gedichtet hatte, so legte doch Mendelssohn hierauf wahrscheinlich uicht mehr Gewicht, als anf seine eignen gelegentlichen poetischen und litterarischen Versuche. Soweit der schweigsame Thüringer etwas von seinen. Lebensplänen verriet, wünschte er in seiner Heimat eine musikalische Stellung zu finden, zeigte sich anch nicht abgeneigt, sobald er sich selbst einigermaßen vervoll¬ kommnet habe, Klavierunterricht zu geben. Wie Hütte Mendelssohn ahnen können, daß gerade in diesem Winter, der ganz und gar musikalischen Studien, musi¬ kalischen Eindrücken gehöre» sollte, bei Otto Ludwig die poetische Ader, die gestalteuschaffende Phantasie übermächtig walteten und der Musik anch schon zu einer Zeit gefährlich wurde», wo dieser sich noch ausschließlich als Musik¬ student fühlte. Die tagebuchartigen Aufzeichnungen Ludwigs, vom September bis zum Anfang Dezember 183!» unterbrochen. sprechen auch im Dezember und Januar (1840), wo er noch viel Klavier spielte und selbst einige Fortschritte zu machen meinte, von poetischen Vorstellungen und Plänen aller Art. Die Gestalten der Tragödie „Agnes Bernaner" (noch unter dem Titel „Der Liebe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/93>, abgerufen am 29.06.2024.