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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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in das hohle, leere Gesellschaftstreiben, in die Lüge der Salons unterzutauchen,
lauter Äußerungen, die eine bewußte und unbewußte Beziehung zu dem Gegen¬
satz hatten, in dem sich Ludwig zu Mendelssohn, zu dein ganzen musikalischen
Leipzig, ja zu der Stadt und ihren Bewohnern befand. Die Besuche bei dem
Meister wurden immer seltener. Als Mendelssohn am 11. April die Noten,
die er Ludwig in den ersten Monaten geliehen hatte, abholen ließ, konnte
dieser, der sich schon sehr unwohl fühlte, sich nicht mehr selbst zu einem Be¬
suche aufraffen, sondern schrieb ein paar entschuldigende Zeilen und erklärte
sein längeres Wegbleiben mit seinein körperlichen Zustande.

Noch weniger als zu Mendelssohn fühlte sich der achtundzwanzigjährige,
schwer mit sich selbst und der Welt ringende Kunstjünger zu den Musikern
des Schnmcmnischen Kreises hingezogen. Der Zufall hatte ihn in den ersten
Tagen in eine auf dem ThomaStirchhof gelegene "Gastwirtschaft von Waldrich"
geführt, nach der sein täglicher Ausgang gerichtet blieb, und wo er einige zunächst
auch zufällige Bekanntschaften machte. Nur hundert Schritte von dieser seiner
"Stammkneipe" fand sich am Eingang der Fleischergasse Pvppes Wirtschaft "Zum
Kasseebanm," wo sich beinahe allabendlich Robert Schumann und seine Freunde
versammelten. Aber Ludwig, obschon er sich uach der Lesung einzelner Num-
mern der "Neuen Zeitschrift für Musik" wiederholt vornahm, Schumann seinen
Besuch zu machen, stand in allen seinen musikalischen Anschauungen und Ge¬
wöhnungen -- denn auch Gewöhnungen spielen bei solchen Verhältnissen eine
Rolle -- der musikalische" Prodnktivnslnst und Produktionsweise Schumanns
und aller ihm verwandten Naturen zu fern, um sich mit ihr rasch befreunden
zu können. Er versuchte sich in einige der eben damals erscheinenden Schöpfungen
Schumanns einzuleben, aber es wollte ihm nicht gelingen. Die "Novelletten"
(<zx. 2t) dünkten ihn -- höchst ungerecht -- ein "Produkt der Musikiudustrie,
die auf neue, seltsame Wendungen denke, wie die Coiffeurs oder Friseurs auf
neuen, originellen Lockenschmuck." Im Juni schrieb er in sein Tagebuch, daß
er sich mit den Kompositionen der "romantischen Schule" namentlich Schu¬
manns "nicht recht befreunden könne," fügte aber hinzu: "Doch jeder lebe
seines Glaubens." Auch hier erschien ihm "die Musik vornehm geworden,
darf also nicht mehr vom Herzen reden; ists doch in der vornehmen Welt
eine Schande, wenn mans nur merken läßt, daß man ein Herz hat!" ein Vor-
wurf, dessen Unanwendbarkeit auf Schumann die eben im reichsten Strahl
emporquellende Liebeslhrik des musikalischen Meisters bald genug erweisen
sollte. Zwischen der noch gährenden, aber poetisch reichen und poetisch echten
Innerlichkeit Otto Ludwigs und der Robert Schumanns Hütten sich ans alle
Fälle Berührnngs- und Verstäudigungspunkte ergeben, wenn eine persönliche
Bekanntschaft angeknüpft worden wäre.

Die Opern und Singspiele, die Ludwig in Eisfeld vollendet und ent¬
worfen hatte, würden ohne Frage auch eine Annäherung an den Komponisten


in das hohle, leere Gesellschaftstreiben, in die Lüge der Salons unterzutauchen,
lauter Äußerungen, die eine bewußte und unbewußte Beziehung zu dem Gegen¬
satz hatten, in dem sich Ludwig zu Mendelssohn, zu dein ganzen musikalischen
Leipzig, ja zu der Stadt und ihren Bewohnern befand. Die Besuche bei dem
Meister wurden immer seltener. Als Mendelssohn am 11. April die Noten,
die er Ludwig in den ersten Monaten geliehen hatte, abholen ließ, konnte
dieser, der sich schon sehr unwohl fühlte, sich nicht mehr selbst zu einem Be¬
suche aufraffen, sondern schrieb ein paar entschuldigende Zeilen und erklärte
sein längeres Wegbleiben mit seinein körperlichen Zustande.

Noch weniger als zu Mendelssohn fühlte sich der achtundzwanzigjährige,
schwer mit sich selbst und der Welt ringende Kunstjünger zu den Musikern
des Schnmcmnischen Kreises hingezogen. Der Zufall hatte ihn in den ersten
Tagen in eine auf dem ThomaStirchhof gelegene „Gastwirtschaft von Waldrich"
geführt, nach der sein täglicher Ausgang gerichtet blieb, und wo er einige zunächst
auch zufällige Bekanntschaften machte. Nur hundert Schritte von dieser seiner
„Stammkneipe" fand sich am Eingang der Fleischergasse Pvppes Wirtschaft „Zum
Kasseebanm," wo sich beinahe allabendlich Robert Schumann und seine Freunde
versammelten. Aber Ludwig, obschon er sich uach der Lesung einzelner Num-
mern der „Neuen Zeitschrift für Musik" wiederholt vornahm, Schumann seinen
Besuch zu machen, stand in allen seinen musikalischen Anschauungen und Ge¬
wöhnungen — denn auch Gewöhnungen spielen bei solchen Verhältnissen eine
Rolle — der musikalische» Prodnktivnslnst und Produktionsweise Schumanns
und aller ihm verwandten Naturen zu fern, um sich mit ihr rasch befreunden
zu können. Er versuchte sich in einige der eben damals erscheinenden Schöpfungen
Schumanns einzuleben, aber es wollte ihm nicht gelingen. Die „Novelletten"
(<zx. 2t) dünkten ihn — höchst ungerecht — ein „Produkt der Musikiudustrie,
die auf neue, seltsame Wendungen denke, wie die Coiffeurs oder Friseurs auf
neuen, originellen Lockenschmuck." Im Juni schrieb er in sein Tagebuch, daß
er sich mit den Kompositionen der „romantischen Schule" namentlich Schu¬
manns „nicht recht befreunden könne," fügte aber hinzu: „Doch jeder lebe
seines Glaubens." Auch hier erschien ihm „die Musik vornehm geworden,
darf also nicht mehr vom Herzen reden; ists doch in der vornehmen Welt
eine Schande, wenn mans nur merken läßt, daß man ein Herz hat!" ein Vor-
wurf, dessen Unanwendbarkeit auf Schumann die eben im reichsten Strahl
emporquellende Liebeslhrik des musikalischen Meisters bald genug erweisen
sollte. Zwischen der noch gährenden, aber poetisch reichen und poetisch echten
Innerlichkeit Otto Ludwigs und der Robert Schumanns Hütten sich ans alle
Fälle Berührnngs- und Verstäudigungspunkte ergeben, wenn eine persönliche
Bekanntschaft angeknüpft worden wäre.

Die Opern und Singspiele, die Ludwig in Eisfeld vollendet und ent¬
worfen hatte, würden ohne Frage auch eine Annäherung an den Komponisten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/92>, abgerufen am 26.06.2024.