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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Verklärung"), die ihn bis zu seinem Lebensende nicht verlassen haben, einer
"Ghismonda" (nach Boeeaeeios Novelle), eines "Eckart," die ersten Schatten
eines Marino Faliero suchten ihn in dem bescheidnen Stübchen des Leipziger
Thvmasgäßchens heim. Je stärker in seiner gegenwärtigen Lage die äußern
Aufforderungen zu rein musikalischen Leben und Schaffen waren, um so stärker
wurde die innere Lust des Einsamen am dichterischen Träumen und Bilden.
Es war eine unwiderstehliche, wenn auch von Ludwig selbst erst halbver¬
standene Offenbarung der eigentlichen Natur seiner Phantasie und seines
künstlerischen Triebes, die in diesem Winter über ihn kam.

Im Februar begann Ludwig neben andern krankhaften Erscheinungen An¬
schwellungen seiner Hände, eine bedenkliche Versteifung der Finger wahrzunehmen,
die ihn zwangen, alle Mavierübnngeu vor der Hand einzustellen. Am 1. März
ließ er das gemietete Klavier aus seiner Wohnung wegschaffen, um nicht die
kostspielige Miete für das Instrument umsonst zu zahlen. Was einen andern
Musiker entschieden unglücklich gemacht habe" würde, lies; ihn zunächst um so
kühler, als er eben jetzt in einer Fülle poetischer Gedanken und Entwürfe den
reichsten Ersatz für die versagten musikalischen Eindrücke vor sich sah. Er
freute sich, der krankhaften Besorgnis ledig zu werden, die er einigemale bei
nächtigem Feuerlärm wegen des fremden Gutes empfunden hatte, und versenkte
sich immer tiefer in seine Phantasien und Studien, unbekümmert um den Wider¬
spruch in dem sie zu seinem augenblicklichen Beruf und nächstem Zweck standen.
In dein schon erwähnten Briefe vom März l 840 an Schalter schreibt er:
"Die Zeit, die zwischen diesen Briefen liegt, war eine Zeit geistiger Erhebung,
ich hatte keine Ansprache, brauchte sie aber auch nicht. Arbeiten, Pläne, be¬
sonders Poetische, füllten sie aus. Jeden Abend wünscht' ich den kommenden
Tag gleicher Art, mit einem Wort, ich führte ein so zufriedenes Stillleben,
als ich nie geführt habe." Neben den dramatischen Entwürfen gingen epische
her, zu den Tragvdienstoffen, die er in besondern Planheften bereits auszu-
gestalten begann, gesellte sich ein Mysterium, das die Legende vom heiligen
Christophorus behandeln und in eigentümlicher Weise erweitern nud vertiefen
sollte, der Plan zu einem großen nationale" Heldengedicht, das unmittelbar
Ottos des Großen Sieg über die llugarn darstelle", mittelbar aber alle Lebens¬
fülle des deutsche" Mittelalters in Glauben und Thatkraft, Sagen und Sitten,
auch prophetische Ausblicke auf die Zukunft in sich aufnehmen sollte. Be¬
scheidnere Aufgaben setzte er sich mit der Ausarbeitung einiger noch in Eisfeld
entworfenen Novellen und dem Entwurf zu einigen neuen, mit der Volle"d""g
eines Heftes volkstümlicher Lieder und mit der Skizze eines satirischen
Gespräches mit der deutschen Muse in Hans Sachsens Manier, i" dem die
Muse ihrer Schicksale von urältesten Zeiten bis auf die elende Gegenwart
gedenkt, wo sie ein Jakobiuerkäppel ans dem Haupte und ein englisches Plaid
um den Leib hat, auch schon abgetragen, da es noch von Walter Scott herrührt.


Verklärung"), die ihn bis zu seinem Lebensende nicht verlassen haben, einer
„Ghismonda" (nach Boeeaeeios Novelle), eines „Eckart," die ersten Schatten
eines Marino Faliero suchten ihn in dem bescheidnen Stübchen des Leipziger
Thvmasgäßchens heim. Je stärker in seiner gegenwärtigen Lage die äußern
Aufforderungen zu rein musikalischen Leben und Schaffen waren, um so stärker
wurde die innere Lust des Einsamen am dichterischen Träumen und Bilden.
Es war eine unwiderstehliche, wenn auch von Ludwig selbst erst halbver¬
standene Offenbarung der eigentlichen Natur seiner Phantasie und seines
künstlerischen Triebes, die in diesem Winter über ihn kam.

Im Februar begann Ludwig neben andern krankhaften Erscheinungen An¬
schwellungen seiner Hände, eine bedenkliche Versteifung der Finger wahrzunehmen,
die ihn zwangen, alle Mavierübnngeu vor der Hand einzustellen. Am 1. März
ließ er das gemietete Klavier aus seiner Wohnung wegschaffen, um nicht die
kostspielige Miete für das Instrument umsonst zu zahlen. Was einen andern
Musiker entschieden unglücklich gemacht habe» würde, lies; ihn zunächst um so
kühler, als er eben jetzt in einer Fülle poetischer Gedanken und Entwürfe den
reichsten Ersatz für die versagten musikalischen Eindrücke vor sich sah. Er
freute sich, der krankhaften Besorgnis ledig zu werden, die er einigemale bei
nächtigem Feuerlärm wegen des fremden Gutes empfunden hatte, und versenkte
sich immer tiefer in seine Phantasien und Studien, unbekümmert um den Wider¬
spruch in dem sie zu seinem augenblicklichen Beruf und nächstem Zweck standen.
In dein schon erwähnten Briefe vom März l 840 an Schalter schreibt er:
„Die Zeit, die zwischen diesen Briefen liegt, war eine Zeit geistiger Erhebung,
ich hatte keine Ansprache, brauchte sie aber auch nicht. Arbeiten, Pläne, be¬
sonders Poetische, füllten sie aus. Jeden Abend wünscht' ich den kommenden
Tag gleicher Art, mit einem Wort, ich führte ein so zufriedenes Stillleben,
als ich nie geführt habe." Neben den dramatischen Entwürfen gingen epische
her, zu den Tragvdienstoffen, die er in besondern Planheften bereits auszu-
gestalten begann, gesellte sich ein Mysterium, das die Legende vom heiligen
Christophorus behandeln und in eigentümlicher Weise erweitern nud vertiefen
sollte, der Plan zu einem großen nationale» Heldengedicht, das unmittelbar
Ottos des Großen Sieg über die llugarn darstelle», mittelbar aber alle Lebens¬
fülle des deutsche» Mittelalters in Glauben und Thatkraft, Sagen und Sitten,
auch prophetische Ausblicke auf die Zukunft in sich aufnehmen sollte. Be¬
scheidnere Aufgaben setzte er sich mit der Ausarbeitung einiger noch in Eisfeld
entworfenen Novellen und dem Entwurf zu einigen neuen, mit der Volle»d»»g
eines Heftes volkstümlicher Lieder und mit der Skizze eines satirischen
Gespräches mit der deutschen Muse in Hans Sachsens Manier, i» dem die
Muse ihrer Schicksale von urältesten Zeiten bis auf die elende Gegenwart
gedenkt, wo sie ein Jakobiuerkäppel ans dem Haupte und ein englisches Plaid
um den Leib hat, auch schon abgetragen, da es noch von Walter Scott herrührt.


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[0094] Verklärung"), die ihn bis zu seinem Lebensende nicht verlassen haben, einer „Ghismonda" (nach Boeeaeeios Novelle), eines „Eckart," die ersten Schatten eines Marino Faliero suchten ihn in dem bescheidnen Stübchen des Leipziger Thvmasgäßchens heim. Je stärker in seiner gegenwärtigen Lage die äußern Aufforderungen zu rein musikalischen Leben und Schaffen waren, um so stärker wurde die innere Lust des Einsamen am dichterischen Träumen und Bilden. Es war eine unwiderstehliche, wenn auch von Ludwig selbst erst halbver¬ standene Offenbarung der eigentlichen Natur seiner Phantasie und seines künstlerischen Triebes, die in diesem Winter über ihn kam. Im Februar begann Ludwig neben andern krankhaften Erscheinungen An¬ schwellungen seiner Hände, eine bedenkliche Versteifung der Finger wahrzunehmen, die ihn zwangen, alle Mavierübnngeu vor der Hand einzustellen. Am 1. März ließ er das gemietete Klavier aus seiner Wohnung wegschaffen, um nicht die kostspielige Miete für das Instrument umsonst zu zahlen. Was einen andern Musiker entschieden unglücklich gemacht habe» würde, lies; ihn zunächst um so kühler, als er eben jetzt in einer Fülle poetischer Gedanken und Entwürfe den reichsten Ersatz für die versagten musikalischen Eindrücke vor sich sah. Er freute sich, der krankhaften Besorgnis ledig zu werden, die er einigemale bei nächtigem Feuerlärm wegen des fremden Gutes empfunden hatte, und versenkte sich immer tiefer in seine Phantasien und Studien, unbekümmert um den Wider¬ spruch in dem sie zu seinem augenblicklichen Beruf und nächstem Zweck standen. In dein schon erwähnten Briefe vom März l 840 an Schalter schreibt er: „Die Zeit, die zwischen diesen Briefen liegt, war eine Zeit geistiger Erhebung, ich hatte keine Ansprache, brauchte sie aber auch nicht. Arbeiten, Pläne, be¬ sonders Poetische, füllten sie aus. Jeden Abend wünscht' ich den kommenden Tag gleicher Art, mit einem Wort, ich führte ein so zufriedenes Stillleben, als ich nie geführt habe." Neben den dramatischen Entwürfen gingen epische her, zu den Tragvdienstoffen, die er in besondern Planheften bereits auszu- gestalten begann, gesellte sich ein Mysterium, das die Legende vom heiligen Christophorus behandeln und in eigentümlicher Weise erweitern nud vertiefen sollte, der Plan zu einem großen nationale» Heldengedicht, das unmittelbar Ottos des Großen Sieg über die llugarn darstelle», mittelbar aber alle Lebens¬ fülle des deutsche» Mittelalters in Glauben und Thatkraft, Sagen und Sitten, auch prophetische Ausblicke auf die Zukunft in sich aufnehmen sollte. Be¬ scheidnere Aufgaben setzte er sich mit der Ausarbeitung einiger noch in Eisfeld entworfenen Novellen und dem Entwurf zu einigen neuen, mit der Volle»d»»g eines Heftes volkstümlicher Lieder und mit der Skizze eines satirischen Gespräches mit der deutschen Muse in Hans Sachsens Manier, i» dem die Muse ihrer Schicksale von urältesten Zeiten bis auf die elende Gegenwart gedenkt, wo sie ein Jakobiuerkäppel ans dem Haupte und ein englisches Plaid um den Leib hat, auch schon abgetragen, da es noch von Walter Scott herrührt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/94>, abgerufen am 01.07.2024.