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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Fürst Bismarck, dein die eingeschlagenen Wege nicht die richtigen schienen, zog
sich nach Friedrichsruh zurück, offenbar in der Vorstellung, von dort aus
einem ihm bedenklichen zu raschen Vorschreiten ans der Basil der Sozialreform
besser entgegenwirke" zu können als von Berlin ans. Wir irren wohl nicht,
wenn wir behaupten, das; die Zeit dieses freiwilligen Verzichtes ans jeden un¬
mittelbaren und persönlichen Einfluß den später folgenden Rücktritt des Kanzlers
bereits unvermeidlich gemacht hat. Ein Versuch des Kaisers, in der Richtung
vorzuschreiten, die einen Kompromiß ergeben hätte, und mit einem wesentlich
abgeschwächten Svzialisteugesetz weiterzuarbeiten, scheiterte um dein Widerspruch
des Fürsten, nicht ohne einen Stachel zu hinterlassen; der Gegensatz steigerte
sich an der verschiednen Stellung, die Kaiser und Kanzler zu der internationalen
Konferenz einnahmen, welche in Berlin die Arbeiterfrage beriet, und die
Tagnngen des Stnatsrates über deu Arbeitsschutz können gleichfalls als wei¬
teres Anzeichen der auseinandergehenden grundsätzlichen Anschauungen über die
große Frage betrachtet werden, ob die Sozialdemokratie gewaltsam zu unter¬
drücken oder durch eine Reformgesetzgebung großen Stiles in ihren Grundlagen
zu entwurzeln sei. Es war eine logische Folge, wenn diese Gegensätze sich
schließlich zu einer Machtfrage zuspitzten, die bekanntlich in dein Entlassnngs-
gesuch des Fürsten vom 18. März durch die Frage von der Aufrechterhaltung
oder Beseitigung der Kabinetsordre vom 8. September 1852 über die Stellung
des Ministerpräsidenten ihrem entscheidenden Ausdruck fand. Die Genehmigung
des Gesundes am 20. März entschied, wie nicht anders zu erwarten war, die
Machtfrage zu Gunsten des Kaisers; wie die Dinge sich einmal gewandt hatten,
war eine andre Entscheidung nicht mehr deutbar.

Wer nachträglich die Entwicklung überblickt, die Dentschland in der soziale"
Frage genommen hat, kaun mir bedauern, daß der Fürst in Pessimistischer
Auffassung es nicht für möglich hielt, den vom Kaiser in Sicht genommenen
Weg einer Svzialreform mitzugehen; denn die befürchteten Gefahren sind nicht
eingetreten.

Prüfen wir das, was von der gegenwärtigen Regierung erreicht worden
ist, so können wir der Ansicht derer nicht beipflichten, die da meine",
daß die Beratungen der Berliner internationalen Konferenz wirkungslos ver¬
pufft seien. Es ist ja richtig, daß keinerlei bindende Abmachungen von Staat
zu Staat getroffen worden sind. Der Entschluß Deutschlands aber, auf dem
Wege der Sozialresorm und des Arbeiterschutzes vorzugehen, hat doch insofern
eine positive Wirkung gehabt, als die mit uns in den Fragen des wirtschaft¬
lichen Lebens konkurrirenden Staaten, eben infolge jener Beratungen und ihrer
weiten Öffentlichkeit, nicht in der Lage sind, durch eine härtere Anspannung
der Arbeiierbevölkeruug eine Lohn- und Arbeitskonturrenz z" behaupten, die
unsre Industrie und unsre sonstige wirtschaftliche Produktion nicht zu ertragen
imstande wäre. Dafür sorgt der internationale Zusanunenhang, in dem die


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Fürst Bismarck, dein die eingeschlagenen Wege nicht die richtigen schienen, zog
sich nach Friedrichsruh zurück, offenbar in der Vorstellung, von dort aus
einem ihm bedenklichen zu raschen Vorschreiten ans der Basil der Sozialreform
besser entgegenwirke» zu können als von Berlin ans. Wir irren wohl nicht,
wenn wir behaupten, das; die Zeit dieses freiwilligen Verzichtes ans jeden un¬
mittelbaren und persönlichen Einfluß den später folgenden Rücktritt des Kanzlers
bereits unvermeidlich gemacht hat. Ein Versuch des Kaisers, in der Richtung
vorzuschreiten, die einen Kompromiß ergeben hätte, und mit einem wesentlich
abgeschwächten Svzialisteugesetz weiterzuarbeiten, scheiterte um dein Widerspruch
des Fürsten, nicht ohne einen Stachel zu hinterlassen; der Gegensatz steigerte
sich an der verschiednen Stellung, die Kaiser und Kanzler zu der internationalen
Konferenz einnahmen, welche in Berlin die Arbeiterfrage beriet, und die
Tagnngen des Stnatsrates über deu Arbeitsschutz können gleichfalls als wei¬
teres Anzeichen der auseinandergehenden grundsätzlichen Anschauungen über die
große Frage betrachtet werden, ob die Sozialdemokratie gewaltsam zu unter¬
drücken oder durch eine Reformgesetzgebung großen Stiles in ihren Grundlagen
zu entwurzeln sei. Es war eine logische Folge, wenn diese Gegensätze sich
schließlich zu einer Machtfrage zuspitzten, die bekanntlich in dein Entlassnngs-
gesuch des Fürsten vom 18. März durch die Frage von der Aufrechterhaltung
oder Beseitigung der Kabinetsordre vom 8. September 1852 über die Stellung
des Ministerpräsidenten ihrem entscheidenden Ausdruck fand. Die Genehmigung
des Gesundes am 20. März entschied, wie nicht anders zu erwarten war, die
Machtfrage zu Gunsten des Kaisers; wie die Dinge sich einmal gewandt hatten,
war eine andre Entscheidung nicht mehr deutbar.

Wer nachträglich die Entwicklung überblickt, die Dentschland in der soziale»
Frage genommen hat, kaun mir bedauern, daß der Fürst in Pessimistischer
Auffassung es nicht für möglich hielt, den vom Kaiser in Sicht genommenen
Weg einer Svzialreform mitzugehen; denn die befürchteten Gefahren sind nicht
eingetreten.

Prüfen wir das, was von der gegenwärtigen Regierung erreicht worden
ist, so können wir der Ansicht derer nicht beipflichten, die da meine»,
daß die Beratungen der Berliner internationalen Konferenz wirkungslos ver¬
pufft seien. Es ist ja richtig, daß keinerlei bindende Abmachungen von Staat
zu Staat getroffen worden sind. Der Entschluß Deutschlands aber, auf dem
Wege der Sozialresorm und des Arbeiterschutzes vorzugehen, hat doch insofern
eine positive Wirkung gehabt, als die mit uns in den Fragen des wirtschaft¬
lichen Lebens konkurrirenden Staaten, eben infolge jener Beratungen und ihrer
weiten Öffentlichkeit, nicht in der Lage sind, durch eine härtere Anspannung
der Arbeiierbevölkeruug eine Lohn- und Arbeitskonturrenz z» behaupten, die
unsre Industrie und unsre sonstige wirtschaftliche Produktion nicht zu ertragen
imstande wäre. Dafür sorgt der internationale Zusanunenhang, in dem die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/60>, abgerufen am 29.06.2024.