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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Schlüssel zuiir Verständnis bieten muß. Daß Fürst Bismarck in der verant¬
wortlichen Stellung, die er ein volles Menschenalter lang behauptet hat, wie
kein deutscher Staatsmann vor ihm, sich einen festgeschlossenen Kreis von
politischen Überzeugungen gebildet hatte, an denen er mit all der Entschieden¬
heit festhielt, die seiner gewaltigen Willenskraft gemäß ist, sicherte ihm diese
Stellung, solange er den Willen seines Königs und Kaisers in derselben Rich¬
tung zu erhalten vermochte, solange nicht "ur über die letzten Ziele, sondern
auch über die Mittel und Wege, sie zu erreichen, zwischen Kaiser und Kanzler
Einklang bestand. Es ist ja bekannt, wie zu Zeiten des alten Kaisers hin und
wieder dieser Einklang getrübt erschien, wie er aber schließlich stets wieder¬
hergestellt wurde, und wenn heute die Zeit noch nicht gekommen ist, um
historisch-kritisch festzustellen, wer in dem einen, nud wer in dein andern Falle
"achgegeben hat, läßt doch das berühmte Niemals! Kaiser Wilhelms keinen
Zweifel darüber, daß in dem Augenblick der Entscheidung der Kanzler, seinen
Platz uuter Umständen behaupten konnte, die ihm keine Schmälerung seiner
berechtigten Eigenart bedeutete". Wer erinnert sich nicht der Besorgnis, die
sich beim. Beginn der Regierung Kaiser Friedrichs aller derer bemächtigte, die
in der fortdauernde" Machtstellung des Kanzlers eine Bürgschaft sahen für die
Behauptung der -nationalen Errungenschaften, welche die sechziger nud siebziger
Jahre uns gebracht hatten? Die Broschüre: "Auch ein Programm aus deu
neunundneunzig Tagen" hat ein so abschreckendes Bild dessen entrollt, was
uus bedrohte, und dabei so viel Glauben gefunden, daß es verständlich ist,
wenn mit dein Antritt der Regierung Kaiser Wilhelms des Zweiten, von dem ja
allbekannt war, daß er gewissermaßen als Schüler des Knnzlers, jedenfalls
aber als begeisterter Verehrer seiner staatsuuinnischen Größe zum Minne
herangewachsen war, diese eine Sorge völlig und für immer beseitigt schien.
Die Flitterwochen der "enen Regierung schienen diesen Glauben zu bestätigen.
Aber das eine stellte sich doch sehr bald heraus: ein eutschieduer Wille lebte
auch in dem jungen Kaiser, und damit war die Frage gestellt, ob die neue
Regierung in ihrem Gange einen Weg einschlagen würde, wie ihn etwa
im Reiche der Natur das Gesetz von Parallelogramm der Kräfte vor¬
zeichnet, oder aber, ob die eine Kraft sich mit der andern zu gleichgerichteter
Arbeitsleistung vereinigen würde. Die ersten großen politischen Kundgebungen
Kaiser Wilhelms des Zweiten schienen das letztere zu verheißen: Die Friedensreise
vor allem, die er an die fremden Höfe, und zwar zuerst nach Rußland hin
unternahm, konnte so recht als der werkthätige Ausdruck der Gedanken des
Fürsten Bismarck erscheinen; es ging kein Anlaß vorüber, bei dem sich der
Kaiser nicht zu der Friedenspolitik des Kanzlers bekannt Hütte. Nun geschah
aber zweierlei: Kaiser Wilhelm schritt mit dein vollen Feuereifer seiner Natur
an die Durchführung des Programmes, das er sich zur Abwendung der dem
Staate vouseite" der Sozialdemokratie drohenden Gefahren gesetzt hatte, und


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Schlüssel zuiir Verständnis bieten muß. Daß Fürst Bismarck in der verant¬
wortlichen Stellung, die er ein volles Menschenalter lang behauptet hat, wie
kein deutscher Staatsmann vor ihm, sich einen festgeschlossenen Kreis von
politischen Überzeugungen gebildet hatte, an denen er mit all der Entschieden¬
heit festhielt, die seiner gewaltigen Willenskraft gemäß ist, sicherte ihm diese
Stellung, solange er den Willen seines Königs und Kaisers in derselben Rich¬
tung zu erhalten vermochte, solange nicht »ur über die letzten Ziele, sondern
auch über die Mittel und Wege, sie zu erreichen, zwischen Kaiser und Kanzler
Einklang bestand. Es ist ja bekannt, wie zu Zeiten des alten Kaisers hin und
wieder dieser Einklang getrübt erschien, wie er aber schließlich stets wieder¬
hergestellt wurde, und wenn heute die Zeit noch nicht gekommen ist, um
historisch-kritisch festzustellen, wer in dem einen, nud wer in dein andern Falle
»achgegeben hat, läßt doch das berühmte Niemals! Kaiser Wilhelms keinen
Zweifel darüber, daß in dem Augenblick der Entscheidung der Kanzler, seinen
Platz uuter Umständen behaupten konnte, die ihm keine Schmälerung seiner
berechtigten Eigenart bedeutete». Wer erinnert sich nicht der Besorgnis, die
sich beim. Beginn der Regierung Kaiser Friedrichs aller derer bemächtigte, die
in der fortdauernde» Machtstellung des Kanzlers eine Bürgschaft sahen für die
Behauptung der -nationalen Errungenschaften, welche die sechziger nud siebziger
Jahre uns gebracht hatten? Die Broschüre: „Auch ein Programm aus deu
neunundneunzig Tagen" hat ein so abschreckendes Bild dessen entrollt, was
uus bedrohte, und dabei so viel Glauben gefunden, daß es verständlich ist,
wenn mit dein Antritt der Regierung Kaiser Wilhelms des Zweiten, von dem ja
allbekannt war, daß er gewissermaßen als Schüler des Knnzlers, jedenfalls
aber als begeisterter Verehrer seiner staatsuuinnischen Größe zum Minne
herangewachsen war, diese eine Sorge völlig und für immer beseitigt schien.
Die Flitterwochen der »enen Regierung schienen diesen Glauben zu bestätigen.
Aber das eine stellte sich doch sehr bald heraus: ein eutschieduer Wille lebte
auch in dem jungen Kaiser, und damit war die Frage gestellt, ob die neue
Regierung in ihrem Gange einen Weg einschlagen würde, wie ihn etwa
im Reiche der Natur das Gesetz von Parallelogramm der Kräfte vor¬
zeichnet, oder aber, ob die eine Kraft sich mit der andern zu gleichgerichteter
Arbeitsleistung vereinigen würde. Die ersten großen politischen Kundgebungen
Kaiser Wilhelms des Zweiten schienen das letztere zu verheißen: Die Friedensreise
vor allem, die er an die fremden Höfe, und zwar zuerst nach Rußland hin
unternahm, konnte so recht als der werkthätige Ausdruck der Gedanken des
Fürsten Bismarck erscheinen; es ging kein Anlaß vorüber, bei dem sich der
Kaiser nicht zu der Friedenspolitik des Kanzlers bekannt Hütte. Nun geschah
aber zweierlei: Kaiser Wilhelm schritt mit dein vollen Feuereifer seiner Natur
an die Durchführung des Programmes, das er sich zur Abwendung der dem
Staate vouseite» der Sozialdemokratie drohenden Gefahren gesetzt hatte, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/59>, abgerufen am 26.06.2024.