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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche Einheit

Komödiantin, schämt man sich nicht der Bewunderung preiszugeben, und ich
wette, wenn sie hier aufträte, sie würde mit Gold und Lorbeerkränzen beladen
heimkehren. Auf den Theaterzetteln der königlichen Bühnen machen sich die
Chabrier, Ohnet, Pailleron und Sardon neben andern Ausländern wie Mascagui,
Björnson und Ibsen breit, und vorigen Herbst konnte es geschehen, daß ich
fünf oder sechs Tage lang mit einem Freunde, dem ich die vollendeten Auf¬
führungen des Residenztheaters hatte zeigen wollen, nicht ein einziges deutsches
Stück zu sehen bekam. Das jüngste "Kind der Musen" von Bedeutung war
Ibsens "Hedda Gabler"; bei der unglaublichen Erscheinung, daß ein solches
Machwerk Eingang ans einer Hofbühne gefunden hat, fragt man sich nur, warum
dann Dumas berühmter und jedenfalls kurzweiligerer "Fall Clemeneeau" aus¬
geschlossen bleibt? An Verworrenheit und Versunkenheit aller sittlichen Begriffe
find beide Werke einander völlig ebenbürtig.

Mit der knechtischen Bewunderung für Paris geht ein eifersüchtiger Haß
gegen Berlin Hand in Hand -- schon das obige Beispiel zeigte es. München
ist Hauptstadt und Residenz, so gut wie Berlin. Berlin hat die fünffache
Einwohnerzahl; das ist leider nicht wegzuleugnen. In allen übrigen Stücken
kann und soll und muß es aber Jsar-Athen der Nebenbuhlerin an der Spree
mindestens gleich thun. Ja in den Köpfen echt bajuvarischer Bierphilister
übertrifft es die Kaiserstadt bei weitem. Die Eifersucht raubt den Münchnern
derart die Besinnung, daß sie auch vor der Lächerlichkeit nicht zurückschenen.
Daß Berlin dnrch musterhafte Verwaltung eine der reinlichsten Städte ist,
weiß die Welt. Ebenso bekannt und von den Münchnern selbst dnrch zahl¬
reiche Spott- und Klagerufe bestätigt ist der -- gelinde gesagt -- zweifelhafte
Zustand der Münchner Straßen. Wagt es aber ein Fremder, diese öffentlichen
Geheimnisse in Gegenwart eines Münchner Kindes zur Sprache zu bringen,
dann wird ihm mit eindringlichster und nicht immer sanfter Beredsamkeit nach¬
gewiesen, daß es in Berlin bei Regenwetter mindestens ebenso naß sei wie in
München, um das in den engen Straßen schier unerträgliche Geräusch zu
mildern, würde mau gern Asphaltpflaster einführen. Aber Berlin hat dieses
Auskunftsmittel vorweggenommen, und Berlin etwas nachmachen -- lieber
stellt mau den Münchner Gäulen ein Armutszeugnis aus, indem man Unglücks¬
fälle vorhersagt auf einem Boden, an den sich die Berliner Nvßwelt nach kurzer
Anpassung längst gewöhnt hat.

Das sind kleine, aber bezeichnende Züge für die Münchner Denkungsart,
um so bezeichnender, wenn man das gegenseitige Verhältnis der Städte andrer
Länder betrachtet. Ganz zu schweigen von Frankreich und England, wo die
länger bestehende staatliche Einheit den Hauptstädten ein erdrückendes Über¬
gewicht verschafft hat, möchte ich mir auf Italien hinweisen, dessen Einigungs¬
geschichte der unsrigen in so wesentlichen Stücken gleicht. Gewiß sind Mailand,
Neapel und Florenz an sich nicht "veniger bedeutend als Rom, in der Be-


Die deutsche Einheit

Komödiantin, schämt man sich nicht der Bewunderung preiszugeben, und ich
wette, wenn sie hier aufträte, sie würde mit Gold und Lorbeerkränzen beladen
heimkehren. Auf den Theaterzetteln der königlichen Bühnen machen sich die
Chabrier, Ohnet, Pailleron und Sardon neben andern Ausländern wie Mascagui,
Björnson und Ibsen breit, und vorigen Herbst konnte es geschehen, daß ich
fünf oder sechs Tage lang mit einem Freunde, dem ich die vollendeten Auf¬
führungen des Residenztheaters hatte zeigen wollen, nicht ein einziges deutsches
Stück zu sehen bekam. Das jüngste „Kind der Musen" von Bedeutung war
Ibsens „Hedda Gabler"; bei der unglaublichen Erscheinung, daß ein solches
Machwerk Eingang ans einer Hofbühne gefunden hat, fragt man sich nur, warum
dann Dumas berühmter und jedenfalls kurzweiligerer „Fall Clemeneeau" aus¬
geschlossen bleibt? An Verworrenheit und Versunkenheit aller sittlichen Begriffe
find beide Werke einander völlig ebenbürtig.

Mit der knechtischen Bewunderung für Paris geht ein eifersüchtiger Haß
gegen Berlin Hand in Hand — schon das obige Beispiel zeigte es. München
ist Hauptstadt und Residenz, so gut wie Berlin. Berlin hat die fünffache
Einwohnerzahl; das ist leider nicht wegzuleugnen. In allen übrigen Stücken
kann und soll und muß es aber Jsar-Athen der Nebenbuhlerin an der Spree
mindestens gleich thun. Ja in den Köpfen echt bajuvarischer Bierphilister
übertrifft es die Kaiserstadt bei weitem. Die Eifersucht raubt den Münchnern
derart die Besinnung, daß sie auch vor der Lächerlichkeit nicht zurückschenen.
Daß Berlin dnrch musterhafte Verwaltung eine der reinlichsten Städte ist,
weiß die Welt. Ebenso bekannt und von den Münchnern selbst dnrch zahl¬
reiche Spott- und Klagerufe bestätigt ist der — gelinde gesagt — zweifelhafte
Zustand der Münchner Straßen. Wagt es aber ein Fremder, diese öffentlichen
Geheimnisse in Gegenwart eines Münchner Kindes zur Sprache zu bringen,
dann wird ihm mit eindringlichster und nicht immer sanfter Beredsamkeit nach¬
gewiesen, daß es in Berlin bei Regenwetter mindestens ebenso naß sei wie in
München, um das in den engen Straßen schier unerträgliche Geräusch zu
mildern, würde mau gern Asphaltpflaster einführen. Aber Berlin hat dieses
Auskunftsmittel vorweggenommen, und Berlin etwas nachmachen — lieber
stellt mau den Münchner Gäulen ein Armutszeugnis aus, indem man Unglücks¬
fälle vorhersagt auf einem Boden, an den sich die Berliner Nvßwelt nach kurzer
Anpassung längst gewöhnt hat.

Das sind kleine, aber bezeichnende Züge für die Münchner Denkungsart,
um so bezeichnender, wenn man das gegenseitige Verhältnis der Städte andrer
Länder betrachtet. Ganz zu schweigen von Frankreich und England, wo die
länger bestehende staatliche Einheit den Hauptstädten ein erdrückendes Über¬
gewicht verschafft hat, möchte ich mir auf Italien hinweisen, dessen Einigungs¬
geschichte der unsrigen in so wesentlichen Stücken gleicht. Gewiß sind Mailand,
Neapel und Florenz an sich nicht »veniger bedeutend als Rom, in der Be-


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[0588] Die deutsche Einheit Komödiantin, schämt man sich nicht der Bewunderung preiszugeben, und ich wette, wenn sie hier aufträte, sie würde mit Gold und Lorbeerkränzen beladen heimkehren. Auf den Theaterzetteln der königlichen Bühnen machen sich die Chabrier, Ohnet, Pailleron und Sardon neben andern Ausländern wie Mascagui, Björnson und Ibsen breit, und vorigen Herbst konnte es geschehen, daß ich fünf oder sechs Tage lang mit einem Freunde, dem ich die vollendeten Auf¬ führungen des Residenztheaters hatte zeigen wollen, nicht ein einziges deutsches Stück zu sehen bekam. Das jüngste „Kind der Musen" von Bedeutung war Ibsens „Hedda Gabler"; bei der unglaublichen Erscheinung, daß ein solches Machwerk Eingang ans einer Hofbühne gefunden hat, fragt man sich nur, warum dann Dumas berühmter und jedenfalls kurzweiligerer „Fall Clemeneeau" aus¬ geschlossen bleibt? An Verworrenheit und Versunkenheit aller sittlichen Begriffe find beide Werke einander völlig ebenbürtig. Mit der knechtischen Bewunderung für Paris geht ein eifersüchtiger Haß gegen Berlin Hand in Hand — schon das obige Beispiel zeigte es. München ist Hauptstadt und Residenz, so gut wie Berlin. Berlin hat die fünffache Einwohnerzahl; das ist leider nicht wegzuleugnen. In allen übrigen Stücken kann und soll und muß es aber Jsar-Athen der Nebenbuhlerin an der Spree mindestens gleich thun. Ja in den Köpfen echt bajuvarischer Bierphilister übertrifft es die Kaiserstadt bei weitem. Die Eifersucht raubt den Münchnern derart die Besinnung, daß sie auch vor der Lächerlichkeit nicht zurückschenen. Daß Berlin dnrch musterhafte Verwaltung eine der reinlichsten Städte ist, weiß die Welt. Ebenso bekannt und von den Münchnern selbst dnrch zahl¬ reiche Spott- und Klagerufe bestätigt ist der — gelinde gesagt — zweifelhafte Zustand der Münchner Straßen. Wagt es aber ein Fremder, diese öffentlichen Geheimnisse in Gegenwart eines Münchner Kindes zur Sprache zu bringen, dann wird ihm mit eindringlichster und nicht immer sanfter Beredsamkeit nach¬ gewiesen, daß es in Berlin bei Regenwetter mindestens ebenso naß sei wie in München, um das in den engen Straßen schier unerträgliche Geräusch zu mildern, würde mau gern Asphaltpflaster einführen. Aber Berlin hat dieses Auskunftsmittel vorweggenommen, und Berlin etwas nachmachen — lieber stellt mau den Münchner Gäulen ein Armutszeugnis aus, indem man Unglücks¬ fälle vorhersagt auf einem Boden, an den sich die Berliner Nvßwelt nach kurzer Anpassung längst gewöhnt hat. Das sind kleine, aber bezeichnende Züge für die Münchner Denkungsart, um so bezeichnender, wenn man das gegenseitige Verhältnis der Städte andrer Länder betrachtet. Ganz zu schweigen von Frankreich und England, wo die länger bestehende staatliche Einheit den Hauptstädten ein erdrückendes Über¬ gewicht verschafft hat, möchte ich mir auf Italien hinweisen, dessen Einigungs¬ geschichte der unsrigen in so wesentlichen Stücken gleicht. Gewiß sind Mailand, Neapel und Florenz an sich nicht »veniger bedeutend als Rom, in der Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/588>, abgerufen am 25.08.2024.